Mainzer Theater verhebt sich an einem Koloss
Das Theaterstück "Paradies Fluten" des Kleist-Förderpreisträgers Thomas Köcks ist ein maßloser, faszinierender Text. Und offenbar eine Nummer zu groß für das Staatstheater Mainz: Mit seiner Uraufführung scheitert es grandios.
Dieses Stück ist ein Koloss. Die Klimakatastrophe, die Geschichte von Kolonialismus und Ausbeutung, ein scheiternder Kleinunternehmer, eine freie Künstlerin, die sich durchbeißt, die Flüchtlinge – all das packt Thomas Köck in sein Werk "Paradies Fluten (verirrte Sinfonie)". Es soll der erste Teil einer Klimatrilogie sein. Ein faszinierender Text, doch die Uraufführung bei den Ruhrfestspielen scheiterte auf ganzer Linie.
Köck stellt dem Theater gewaltige Herausforderungen. Die Besetzung, schreibt er, sei zwar "ad libitum". Aber er empfiehlt "ein erschöpftes Tanzensemble, ein ertrinkendes Symphonieorchester, zwei Überlebende in Klimakapseln, Postparzen nennen wir sie". Und das geht so weiter. Die Regieanweisungen verlangen ein riesiges Schiffswrack und einen Szenenwechsel nach Brasilien anno 1890. Natürlich weiß Köck, dass keine Inszenierung das leisten kann. Aber er will Fantasien frei setzen, auch "Erinnerungen, die die Bühne überfluten dürfen und sollen auch sehr gerne solche der Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Intendantinnen, Musikerinnen, Regisseurinnen etc. sein."
Zwischen "Fitzcarraldo" und Christoph Schlingensief
Zwei Geschichten ziehen sich durch das Stück. Ein Vater reibt sich in seiner Selbstständigkeit auf und verliert dabei Frau und Tochter aus dem Blick. Schließlich versinkt er in der Demenz. Und ein junger, idealistischer Architekt will in Brasilien 1890 die Indios von der Ausbeutung durch die Kautschukfirmen befreien und sie mit einer Oper beglücken. Dieser Handlungsstrang oszilliert zwischen den Zeiten, erinnert an "Fitzcarraldo" wie an Christoph Schlingensief und diskutiert die Unmöglichkeit, für andere Menschen zu sprechen. Auch der Architekt verhält sich auf gutmeinende Weise imperialistisch. Aber welche Alternative hat er?
Der Text erinnert in seiner Maßlosigkeit und seinem Mut an Elfriede Jelinek und Wolfram Lotz, in der historisch-poetischen Analyse auch an Heiner Müller. Dabei gelingt es Köck, eine eigene Sprache zu entwickeln und immer wieder zu überraschen. Denn Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker hat er völlig zu Recht bekommen. Dieses Stück verlangt eine große Bühne, leidenschaftliche Darsteller, Künstler, die es wagen, sich mit ganzer Persönlichkeit in die Aufführung zu werfen. Wer sich keinen Aufwand traut, sollte die Finger davon lassen.
Alles bleibt hohl und oberflächlich
Und nun das: Das Staatstheater Mainz zeigt "Paradies Fluten" nach den drei Aufführungen bei den Ruhrfestspielen in der Kellerbühne U 17. Es gibt kein Bühnenbild, drei Schauspieler, einen E-Gitarristen und ein kleines, dünnes Mädchen im Ballettoutfit. Die Regisseurin Sara Ostertag liest die Regieanweisungen uninspiriert ins Mikroport und sitzt dabei versteckt ganz hinten. Das ist symptomatisch für den Umgang mit Thomas Köcks Stück. Die Theatermacher halten es sich vom Hals, plappern die Texte meist mit billiger Ironie herunter und verstehen rein gar nichts. Sie probieren ein paar formale Spielchen aus, verdoppeln mal einen Text, indem zwei ihn leicht zeitversetzt sprechen, aber das alles bleibt hohl und oberflächlich.
Diese Aufführung ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Theater keinesfalls mit neuen Stücken umgehen sollten. Das Staatstheater Mainz blamiert sich bis auf die Knochen, ein großer Wurf verendet in den zitternden Händen kleiner Geister. Bleibt nur zu hoffen, dass andere Theater die Herausforderung dieses Stückes annehmen. Denn das war nicht die Uraufführung, das hieß nur so.