Im Schwall der Worte
Auf den diesjährigen Ruhrfestspielen Recklinghausen beschwört die Berliner Volksbühne die "Apokalypse". Das Stück von Regisseur Herbert Fritsch wartet auf mit ausgeklügelter Bühnenarchitektur und einem überzeugenden Wolfram Koch.
Der gefährlichste Stolperstein ist mit Sternchen markiert auf dem Programmzettel – "Apokalypse", die neue Produktion des Regisseurs Herbert Fritsch für die Ost-Berliner Volksbühne, folgt ungekürzt dem Original jener Fassung, die Martin Luther von der Apokalypse des Propheten Johannes 1545 entwarf. Ein Beitrag also zum Luther-Jahr?
Luthers Sprache ist im originalen Ton natürlich heutzutage weithin unverständlich, Wortstämme, Betonungen und Grammatik haben unzählige Veränderungen erfahren in viereinhalb Jahrhunderten seither. Und weil also ein solcher Text in diesem Ton unmöglich Platz finden könnte in der lebendigen Erinnerung eines Schauspielers, wird aus der gewollten Not eine ebenso gewollte Tugend – Wolfram Koch, ein bewährter Darsteller der exzentrischen Monomanien des Regisseurs Herbert Fritsch, wird auf der Bühne 90 Minuten lang von einem sprechenden Schatten verfolgt; genauer: der Schatten geht ihm voraus.
Fritsch strebt nach "magischer Deliranz"
Die in Rene Polleschs Arbeiten überaus bewährte junge Souffleuse Elisabeth Zumpe trippelt dem natürlich fritsch-typisch wild und wirr umher geisternden Koch immer voran, oft rückwärts und mit dem Textbuch in der Hand. Sie spricht (leise) vor, er spricht (laut) nach; nur so kann der Strom der Worte stets im Fluss gehalten werden – und ohne ihn würde es ja nichts mit der magischen Deliranz, die Fritsch anstrebt mit dem menetekelnden Text von allen denkbaren Plagen, die über der Welt ausgeschüttet werden, damit die Menschheit richtig glaubt.
Vor vielen Jahren schon (da war er noch gar kein Regisseur!) hat Herbert Fritsch erzählt, dass dies einer der Lieblingstexte sei im heimischen Bücherregal; schon dieser einen von Engeln verordneten Plage wegen, in der dem Propheten ein Buch zu essen gegeben wird … Hat er es verschlungen, bricht (durch "das Wort") aus ihm eine Orgie der Vernichtung, ein würgender Blutstrom aus Hass hervor. Wenn Fritsch das nun schon nicht selbst spielt, dann hat er in Koch allemal ein sehr überzeugendes "alter ego" gefunden.
Darüber hinaus folgt auch dieser Abend natürlich den Regeln des Fritsch-Theaters. Victoria Behr steckt den Protagonisten ganz in schrilles Glanz-und-Glitzer-Gelb, im Kontrast zum Schwarz von Souffleuse und Musiker Ingo Günther, der die Szenerie mit einem handlichen Tablet umschleicht, von dem aus er Live-Sounds steuert; gegen Ende wird auch noch eine Harfe gezupft: wie Engelshaar. Naja. Wolfram Koch tobt also in Gelb aus einem Loch hervor: der Hölle? Dem Grab? Und er predigt Litaneien – "Wer Ohren hat zu hören", der höre das Wort des Propheten. Bald hängt er sich in eine Flugvorrichtung und schwebt gen Bühnenhimmel – von dort kommt er auf einer ebenso herabschwebenden Show-Treppe zurück, die ihrerseits exakt ins Bodenloch passt. Derlei Architektur ist übrigens gar nicht so leicht herzustellen im Theater.
Reichlich Beifall, einige Buhs
Von der Treppe herab feuert er nun das fundamentale Vernichtungstheater des Untergangspropheten Johannes ins Publikum; und häutet sich mittendrin – der gelbe Anzug kommt weg, und darunter trägt er ein Clownskostüm, wie es der historische Hans Wurst im Theater des späten Mittelalters trug. Und der ist bekanntlich eins der wichtigsten Vorbilder des Regisseurs und Humor-Strategen Fritsch.
All das passt in grellbunt wechselnden Bühnenfarben sehr fritsch-gerecht zusammen. Nicht, dass das Publikum der Ruhrfestspiele all dem nun aber widerspruchslos folgen wollte – aber die Faszination reicht aus für reichlich Beifall neben einigen Buhs. In der heimischen Volksbühne allerdings ist in knapp zwei Wochen vermutlich ein kultisch-rituelles Fest zum Spielzeitausklang zu erwarten.