Immersiv und performativ in die Zwischenzeit
Im Sommer wird die erste Ruhrtriennale unter Leitung von Stefanie Carp stattfinden. Christoph Marthaler ist einer der wenigen bekannten Namen, sonst setzt Carp auf Internationalität und die Neugier des Publikums, sagt Kunstkritiker Stefan Keim.
Bekannte Titel gibt es nicht im ersten Programm der Ruhrtriennale unter Leitung von Stefanie Carp. Nur "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter", den Abschlussabend Christoph Marthalers von der Castorf-Volksbühne, der nun auch im Ruhrgebiet gezeigt wird. Sonst setzt die neue Festivalchefin ausschließlich auf Neues, Ungewöhnliches, Zeitgenössisches. Und hat neben ihrem künstlerischen Gefährten Marthaler nur Sasha Waltz als weithin bekannten Namen im Programm.
Die Gegenwart als Zwischenzeit
Gewiss, Theaterfans können auch mit dem Südafrikaner William Kentridge oder dem Ungarn Kornél Mundruczo etwas anfangen. Doch insgesamt erinnert Stefanie Carps Programm an die drei Jahre Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels, der bewiesen hat, dass manche Elemente der Avantgarde inzwischen ein großes Publikum anziehen können. Allerdings war Goebbels auch ein temperamentvoller und charmanter Entertainer, der viele Leute zur Neugierde verführte.
Das ist bei Stefanie Carp schwer vorstellbar, die bei der Präsentation ihres Programms schüchtern wirkte und kluge Texte eher stockend vortrug. Sie sieht unsere Gegenwart als "Zwischenzeit", in der gerade eben noch Veränderung möglich ist. Deshalb setzt sie den Betriff als Titel über ihre Intendanz.
Einige Projekte klingen hochinteressant. Marthaler wird die gesamte Bochumer Jahrhunderthalle bespielen und mit seinem bekannten Ensemble die Klangwelt von Charles Ives erkunden. "Universe, incomplete" heißt der viel versprechende Abend. Und der argentinische Theatermacher Mariano Pensotti erzählt in "Diamante" die Geschichte einer ehemaligen Vorzeigestadt, in der alle Einwohner miteinander musizierten. Heute ist sie ein Ort alltäglicher Gewalt. Er verwandelt die Kraftzentrale in Duisburg in einen "begehbaren Film", durch den sich die Zuschauer von Szene zu Szene bewegen.
Verkopfte Präsentation
Publikum auf Wanderschaft, performative und immersive Formen, manchmal sogar eine Geschichte – das bleibt als erster Eindruck vom Programm der nächsten Ruhrtriennale. Den Industrieräumen scheinen sich die Künstler zu stellen. Ob die Leitung auch den Charakter des Festivals begriffen hat, scheint nach der sehr verkopften Präsentation fraglich. 105 Minuten prasselten meist akademisch steif formulierte und wenig eindrucksvoll präsentierte Texte auf die Anwesenden herab.
Die Ruhrtriennale sollte und wollte nie ein Jet-Set-Festival wie viele andere sein, sondern höchste Kunst mit Bodenständigkeit verbinden. Dafür ist die Kommunikation enorm wichtig, auch – wie Johan Simons es immer versucht hat – mit Menschen, die sonst nicht von den Kulturangeboten erreicht werden. Das scheint die neue Leitung noch nicht begriffen zu haben. Die Ruhrtriennale darf kein closed shop der Connaisseure werden.