Luk Perceval startet seine Zola-Trilogie mit "Liebe"
Regisseur Luk Perceval bearbeitet Emile Zolas Romanwerk in "Liebe – Trilogie meiner Familie 1" sehr persönlich. Das Publikum hat dies trotzdem kalt gelassen - und das lag nicht nur an den 14 Grad in der Gießhalle des alten Stahlwerks als Spielort in Duisburg-Meiderich.
Wenn es um Mehrteiler epischen Ausmaßes geht, ist der Regisseur Luk Perceval ein ausgewiesener Experte. Seine Shakespeare-"Schlachten" sind auch nach fast 20 Jahren noch Theaterlegende. Wenn es um Romandramatisierungen geht, hat der belgische Theatermann auch reichlich Erfahrungen gesammelt. Vor einigen Monaten erst hat er "Die Blechtrommel" von Günter Grass in Hamburg auf die Bühne gebracht.
Nun hat die Ruhrtriennale Luk Perceval eingeladen, eines der gewaltigsten Romanwerke der Literaturgeschichte auf die Bühne zu bringen: "Die Rougon-Macquard" von Emile Zola. Allerdings hat er dazu drei Festivalsaisons – über die ganze Intendanz von Johan Simons hinweg – Zeit. "Liebe – Trilogie meiner Familie 1" hat Perceval die erste Folge genannt. In der Gießhalle des alten Stahlwerks in Duisburg-Meiderich kam sie zur Premiere. Das ist eine überdachte Halle ohne durchgängige Wände, ein riesiger Hochofen steht direkt vor den Zuschauern. Durchbrochenes Mauerwerk sorgte früher für ausreichende Belüftung an diesem glutheißen Arbeitsplatz; das wäre jetzt nicht nötig gewesen. Das Publikum erlebte, mit Decken auf den Knien und doch langsam klamm vor Kälte, eine Open-Air-Vorstellung bei 14 Grad.
Das ist aber bestimmt nicht der einzige Grund dafür, dass einen dieser Abend völlig kalt lässt. Luk Perceval nennt seine Bearbeitung zwar sehr persönlich "Trilogie meiner Familie" und erzählt im Programmheft, dass er ähnlich wie Zolas Figuren in einer Bergarbeiterfamilie aufgewachsen sei. Aber die Aufführung bleibt immer distanziert, fremd, fern. Die Probleme fangen damit an, dass Perceval ein Kostümstück auf einer hölzernen Stadttheaterbühne aufführen lässt, die wie von einem anderen Stern in diese Industriehalle versetzt wirkt. Der Abend ist eine Koproduktion mit dem Hamburger Thalia-Theater – dorthin wird das alles schmerzlos passen. Im Stahlwerk von Duisburg-Meiderich wirken Herren im Gehrock und Damen mit Krinolinen und Schotenhüten direkt vor einem rostigen Hochofen absurd. Keine Sekunde lang entsteht eine Schwingung zwischen dem Spielort und dem Stück.
Hervorragendes Schauspiel-Ensemble
Und man fragt sich auch vergeblich, welche Fragen, welche drängenden Probleme der Regisseur und Bearbeiter Luk Perceval in dieser Geschichte sieht. Zola erzählt von Menschen ganz unterschiedlicher Lebenskreise, die dennoch einer Familie angehören: die Großbürger und die "schwarzen Schafe", meist illegitime Kinder, die bis ins proletarische oder gar kriminelle Milieu abgesunken sind.
Für diesen ersten Teil schneidet Perceval Situationen aus den Romanen "Dr. Pascal" und "Der Totschläger" zusammen. Ein großbürgerlicher Arzt verfolgt besessen die Theorie der Vererbungslehre und nimmt seine verkommenen Verwandten als lebende Beispiele. Sie alle enden im Elend, so seine These, denn in ihren Genen sind sexuelle Triebhaftigkeit, Trunksucht und Brutalität angelegt. Und so kommt es. Darüber ist die Zeit zum Glück hinweg – warum spielt Luk Perceval ausgerechnet diese Thematik in epischer Breite durch? Es ist wie ein hoffnungsloser Versuch, Emile Zola ausgerechnet da wiederzubeleben, wo er am totesten ist: in seinem Glauben an Theorien, die vor 150 Jahren viele Anhänger hatten, von deren Unsinnigkeit aber heute kein Theaterpublikum der Welt mehr überzeugt werden muss. So breitet sich ein zunehmend lähmendes Vakuum aus im Zentrum des ganzen Unternehmens.
Dagegen kann auch das hervorragende Schauspiel-Ensemble des Thalia-Theaters nicht anspielen. Da stehen Stars auf der Bühne wie Stephan Bissmeier, Barbara Nüsse, Gabriela-Maria Schmeide, Tilo Nest, Marie Jung. Man sieht sie spielen, aber nicht leben. Sie bleiben stecken in ihren an diesem Ort fast komisch wirkenden Kostümen, in ihren verqueren Argumentationen, in der mechanistischen Vorsehbarkeit, mit der die Geschichte die schlechtestmögliche Wendung nimmt. Wenn Luk Perceval die "Trilogie seiner Familie" weiter erzählen will, dann sollte er sich vielleicht dem politischen Analysten, dem scharfen Gesellschaftskritiker Zola zuwenden. Dieser erste Teil bringt nur überholte Klischees. Und wenn er sie bei der Ruhrtriennale weiter erzählen will, dann wäre es wünschenswert, dass ihre Spielorte eine Chance bekämen, in die künstlerische Konzeption einzugehen. Eine Stadttheateraufführung, in die sich ein Hochofen verirrt, ist ärgerlich.