Rumänien

Monsanto und Lidl verdrängen Wochenmarkt

Ein Arbeiter mit einer Stiege Kirschen in der Marmeladenfabrik von Bibiana Stanciolov
Ein Arbeiter in der Marmeladenfabrik von Bibiana Stanciolov © Deutschlandradio / Leila Knüppel
Von Manfred Götzke und Leila Knüppel |
Goldene Zeiten für Investoren: Günstige Arbeitskräfte, Kredite und EU-Subventionen versprechen in Rumänien reichlich Profit. Die Leidtragenden sind die rumänischen Kleinbauern. Sie bleiben auf der Strecke.
Bevor Toader Coman selbst frühstückt sind die Schweine dran. Morgens um halb sieben in Moisei, einem kleinen Dorf in den rumänischen Karpaten.
"Wir haben zwei Schweine, sieben Schafe, eine Kuh, ein Kalb und eine Ziege – da vorne ist die – ja, und dann haben wir noch so ungefähr anderthalb Hektar Land, da bauen wir Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen und Gurken an. Wir müssen eigentlich nur Öl, Zucker und Brot kaufen."
Fast jeder in dem 5.000-Einwohner-Dorf Moisei hat ein Schwein, ein paar Hühner und baut seine Kartoffeln selbst an.
Nur so können viele hier überleben, erzählt Coman, greift sich die Futtereimer und geht rüber zum Schafsstall hinter seinem Holzhaus, füllt Heu in die Futterraufe.
Früher hat Coman in einer LPG als Traktor-Mechaniker gearbeitet, heute bekommt er eine kleine Rente.
"Ich hab 220 Euro Rente, davon allein kann man nicht leben. Die Preise sind wie bei euch in Deutschland - verglichen mit dem, was man hier verdient, sind die Preise sehr hoch."

EU-Subventionen gibt es erst ab drei Kühen

Fast fünf Millionen Rumänen, etwa 30 Prozent der Erwerbstätigen, leben wie Toader und seine Frau Maria Coman von ihren eigenen Produkten.
Während Toader die Schafe füttert, melkt Maria ihre einzige Kuh "Mirela". 15 Liter gibt die Kuh jeden Tag – eigentlich zu viel für die Familie.
"So, fertig! Tja, wir geben die restliche Milch den Schweinen. Wem soll ich sie verkaufen? Wem? Letztes Jahr hab ich die Milch mal ins Dorf gebracht, zur Molkerei, 17 Cent pro Liter haben die gezahlt. Das lohnt sich nicht."
EU-Subventionen erhalten sie für ihre Milchproduktion nicht, die gibt es erst ab drei Kühen. Auch in anderen Fällen bekommen Kleinbauern in Rumänien wenig bis keine Unterstützung: Sie gelten als Hobbybauern, wenn sie weniger als einen Hektar Land bewirtschaften oder ihr Landbesitz aus vielen kleinen, auseinander liegende Parzellen besteht. Geld gibt es dann keines.
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Maria Coman mit ihrem Enkel© Deutschlandradio / Leila Knüppel
Die Regierung kümmere sich nicht viel um die Kleinbauern, meint Maria. Sie greift sich ihren Milcheimer, muss zurück ins Haus, um auf ihren kleinen Enkel aufzupassen. Seit die Milchpreise im Keller sind, gibt es für ihn eine Extraportion Milch.

Nach der Revolution wurden viele Rumänen wieder Bauern

In Jogginghose und labberigem T-Shirt sitzt Ramona Duminicioiu in einem kleinen Hinterhofbüro in Cluj, Rumäniens zweitgrößter Stadt. Vor sieben Jahren hat sie gemeinsam mit anderen Aktivisten und Bauern "Ecoruralis" gegründet. Die Organisation soll den knapp fünf Millionen Kleinbauern in Rumänien Gehör in der Politik verschaffen.
"Jede Stunde machen drei kleine Bauernhöfe in Rumänien dicht. Das ist enorm. Ein Grund dafür ist die bisherige Agrarpolitik und die totale Fantasielosigkeit der Regierung. Für sie sind Kleinbauern etwas, das entfernt werden muss, dass uns wirtschaftlich runterzieht. Sie sehen nicht den Wert und das Potenzial, das bäuerliche Landwirtschaft hat."
Die 33-Jährige ist selbst auf einem kleinen Hof groß geworden, weiß, mit welchen Problemen die Bauern zu kämpfen haben.
"Bis ich 18 war, habe ich auf dem Land gelebt. Nach der Revolution sind viele zurück aufs Land gezogen, mehr als 16 Prozent. Viele hatten keine Arbeit mehr und gleichzeitig wurde das ehemals kollektivierte Land an seine Besitzer zurückgegeben. Und die Leute haben dann gesagt: Ich geh zurück aufs Land, wie meine Eltern. Sie haben sich gesagt, wir werden, was wir früher waren: Bauern."

"Lidl und Kaufland bekommen Millionen-Kredite"

Noch vor einigen Jahren haben Kleinbauern im ganzen Land auf den Märkten Tomaten, Auberginen, Milch und Honig verkauft, erzählt Duminicioiu. Jetzt stehen auf dem Marktplatz sehr viel weniger Stände. Die Menschen kaufen in den Supermärkten und Lebensmitteldiscountern wie Lidl und Penny, die in Rumänien überall aus dem Boden gestampft werden und oft günstiger sind.
"Die großen Unternehmen profitieren von öffentlichen Geldern. Lidl und Kaufland bekommen Millionen-Kredite, um hier Supermärkte aufzumachen, damit wir mit Essen versorgt werden. Als ob wir kein Essen haben. Sie schaffen so einen unfairen Wettbewerb. Das ist kein freier Wettbewerb."
Am liebsten würde Ramona Duminicioiu staatliche Hilfen und Agrarsubventionen ganz abschaffen. Dann würde sich ja zeigen, ob die Kleinbauern wirklich so viel ineffizienter seien.
Doch erstmal fordert die Aktivistin einen besseren Marktzugang für die Kleinbauern: Das heißt, die privatisierten Bauernmärkte sollten wieder verstaatlicht werden, damit sich die Kleinbauern die Standmieten wieder leisten können.
"Peasant" - "Kleinbauern", "Landarbeiter", sagt Ramona ganz bewusst. Nicht etwa Farmer oder Landwirt.
"Wir sind ein Land von Kleinbauern, nicht Fußballspielern, Philosophen oder Künstlern. Wir sind ein Land der Kleinbauern."
Und so soll es aus ihrer Sicht auch bleiben.
"Dann ist es auch nicht so wichtig, wie es um die globalen Märkte steht, weil man auf lokaler Ebene stark ist. Industrielle Landwirtschaft in Rumänien exportiert alles, schafft keine Jobs im Land, produziert kein gutes Essen, verbraucht unsere natürlichen Ressourcen. Das wird irgendwann nicht mehr funktionieren."

75 Prozent der Investoren kommen aus dem Ausland

Einmal die Woche kommt Josef Maierhofer ins "Deutsche Cafe" in Bukarest. Mindestens. Maierhofer heißt eigentlich anders – will seinen richtigen Namen aber nicht im Radio hören. Nur so viel: Er stammt aus Österreich, ist Mitte 70 und kam mit den ersten internationalen Konzernen nach Rumänien, die kurz nach der Wende in großem Maßstab Land kauften.
"Rumänien war einmal die Kornkammer Europas, und der Weg geht dorthin. Viele Großinvestoren, viele österreichische Firmen, dänische Firmen - Dänemark ist im Agrarsektor ziemlich führend hier - kaufen sehr viel auf. Meistens Finanzfirmen. Hier ist schon noch goldener Boden."
Früher hat der Österreicher bei einem internationalen Agrarkonzern in Rumänien gearbeitet, heute verkauft er an die großen Investoren Landmaschinen.
"Ich würde sagen, 75 Prozent sind Investoren von außen."
Und sie haben Rumänien in den vergangenen zwei Jahrzehnten sichtlich verändert: Felder bis zum Horizont, Betriebe mit bis zu 60.000 Hektar – die Fläche von Hamburg. Hochleistungs- und Hybridpflanzen von Monsanto, Pioneer und Syngenta.
"Das ist Wahnsinn. Da können Sie stundenlang durchfahren. Wenn Sie Richtung Constanza fahren, die Felder, stundenlang sehen Sie nur Sonnenblumen. Das sind Bauern mit 50.000, 60.000 Hektar. Das kann man mit Deutschland nicht vergleichen, die Größenordnungen. Es gibt keinen Bauern mehr, der keinen Computer mehr stehen hat und über GPS die Sachen abwickelt."

Für die Rumänen ist der Zug abgefahren, sagt der Investor

Seit 2014 ist es für Investoren aus dem Ausland noch einfacher geworden, in Rumänien zu investieren: Sie können jetzt ohne rumänische Mittelsmänner Flächen aufkaufen. Und profitieren von den günstigen Boden- und Lohnkosten. Ein Hektar Land kostet in Rumänien zwischen 1.000 und 3.000 Euro. In Österreich oder Deutschland zahlt man im Schnitt das Sechs- bis Zehnfache.
Reporterin: "Für mich ist die Essenz: Alle verdienen gut daran, außer die Rumänen."
Maierhofer: "So ist es, so ist es, ja. Ich will mich da gar nicht ausschließen, ich verdiene auch gut hier. Die Leute, die hier die ganzen Grundstücke aufkaufen, das ist reine Ausbeutung."
Reporter: "Was müsste sich ändern, damit die Rumänen profitieren?"
Maierhofer: "Ich glaube, das ist zu spät jetzt, das ist schon verkauft."
Maierhofer bestellt sich noch ein Helles im "Deutschen Café", er muss nicht fahren. Er hat einen Chauffeur. "Kostet ja nichts", sagt der Österreicher.

Fehlt es den rumänischen Bauern an Unternehmergeist?

Dorin Bota erklärt, wie es funktioniert, mit den Agrarsubventionen in Rumänien. An seinem Rechner tippt er Zahlen in ein Antragsformular:
"Vier Hektar Zuckerrüben, zwei Hektar Weizen, zehn Kühe. Macht 17.000 Standardeinheiten."
Bota ist Projektmanager bei AFIR, der staatlichen "Agentur für Finanzierung und Investition ländlicher Regionen". Er vergibt Projektsubventionen aus dem Fonds der Europäischen Union für ländliche Entwicklung und will aus rumänischen Bauern international konkurrenzfähige Geschäftsleute machen.
"Wenn man in ein Dorf geht, wird 100 Prozent von der Landwirtschaft abhängen, aber man wird nur drei oder vier finden, die Unternehmergeist haben, nicht jeder traut sich das zu, manche haben Angst."
Denn nur wer wächst, bekommt Subventionen – und habe langfristig eine Chance gegen die internationalen Großkonzerne im Land und in Europa zu bestehen, glaubt Dorin Bota.
Er schnappt sich seine Autoschlüssel, will einige seiner Vorzeigeprojekte zeigen.
In Serpentinen geht es raus aus der Stadt, vorbei an knorrigen Apfelbäumen. Alte Obstplantagen aus kommunistischer Zeit, die längst nicht mehr abgeerntet werden. Etwa 40 Prozent der Agrarflächen Rumäniens liegen brach, der Grund: die unklaren Besitzverhältnisse nach der Wende.
"Vor 1945 war das Land in Privateigentum. Der kommunistische Staat hat sich dann das ganze Land genommen. Und dann, nach 50 Jahren weiß keiner mehr so genau, was sein Land war."

"Rumänien hat beim EU-Beitritt sehr schlecht verhandelt"

Nach knapp zwei Stunden Fahrt parkt Bota seinen Wagen vor langgezogenen Kuhställen, Scheunen, Silos. Direkt neben dem Jeep von Landwirt Ovidiu Onisor.
Dann legt der durchtrainierte, drahtige 46-Jährige gleich los, kann kaum aufhören, von den Kühen, seiner neuen Futtermischanlage und seinen zwei Nagelneuen Mähdreschern zu erzählen.
"Das sind die beiden Mähdrescher, ich hab sie alle mit Hilfe von EU-Projektgeldern angeschafft."
1.200 Hektar Land hat Onisor - und 280 Milchkühe.
Anfang der 90-er hat er die ehemalige LPG gekauft, peu à peu modernisiert - mit geliehenem Geld von seinem Vater. Damals war er erst 22 Jahre alt, hat an der Uni Mathematik und Agrarwissenschaften studiert.
"Tja, anfangs standen von den Ställen hier nur ein paar Wände, die Dächer waren weg, das war alles völlig zerstört. Das waren turbulente Zeiten damals. Das größte Problem war, überhaupt an Kredite zu kommen. Die Zinsen waren unglaublich hoch, und selbst wenn man den Mut hatte, einen Kredit mit 50 manchmal 120 Prozent Zinsen aufzunehmen, bekam man schwer einen."
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Der Kuhstall von Landwirt Ovidiu Onisor© Deutschlandradio / Leila Knüppel
Auch heute ist es für rumänische Bauern noch schwer, Kredite für neue Maschinen zu bekommen. Unter zehn Prozent laufe nichts, sagt Onisor. Nur einer der Wettbewerbsnachteile gegenüber Bauern aus anderen EU-Ländern.
"Meine Konkurrenten aus dem Westen können ihre Produkte viel billiger verkaufen: Sie kriegen mehr Subventionen. Manche bekommen direkte staatliche Hilfen. Außerdem bekommen sie auch mehr EU-Subventionen pro Hektar. Die Deutschen oder Griechen bekommen dreimal so viel wie wir. Rumänien hat beim EU-Beitritt sehr schlecht verhandelt."
Einige seiner Nachbarn haben längst aufgegeben, erzählt Landwirt Onisor. Rumäniens Landwirtschaft kennt nur die Extreme: Die Riesenplantagen der internationalen Konzerne oder der sensende Bauer, der sich für den Eigenbedarf eine Kuh, ein Schwein hält. Mittelständische Agrarbetriebe wie die von Ovidiu Onisor sind selten.

Keine Chance gegen Lidl & Co

Keine Kirsche darf zerdrückt werden, prall und ganz müssen sie bleiben für den Brotaufstrich. So will es die Marmeladen-Fabrikantin Bibiana Stanciulov.
Deswegen schöpfen die Mitarbeiter von Sonimplex die dunkelrote Masse ganz vorsichtig, von Hand in die Gläser.
Die Besitzerin der kleinen Marmeladenfabrik mit 33 Mitarbeitern zeigt auf die zahlreichen Zertifikate, die hinten an der Hallenwand hängen: Alle für ihr Magiun, ein traditionelles Pflaumenmus hier aus der Region, aus Topoloveni, 100 Kilometer nördlich von Bukarest
"Hier haben wir zwei von drei Michelinsternen für unser Produkt - und das ist unser Zertifikat für unsere EU- Herkunftsbezeichnung."
Doch die Auszeichnungen spielen keine Rolle mehr. Seit große Lebensmittel-Discounter in fast jedem rumänischen Städtchen eine Filiale haben, wird sie ihr heimisches Mus nicht mehr los. In den Regalen von Lidl, dem Marktführer in Rumänien, steht stattdessen die billige Alternative aus Polen. Für ein Drittel des Preises.
"Die machen das aus Pflaumenkonzentrat aus Polen, manschen da Zucker rein und Konservierungsstoffe und anderen Wahnsinn. Das ist überhaupt nicht vergleichbar."

Brief an Angela Merkel: Zivilisiert die Discounter

Der deutsche Lebensmittel-Discounter Lidl hat sogar in Rumänien einen Entwicklungshilfe-Kredit über knapp 67 Millionen US-Dollar erhalten, um neue Filialen zu eröffnen, die "Anzahl lokaler Zulieferer zu erhöhen" und "regionalen Lebensmittelproduzenten neue Vertriebswege zu eröffnen". Genau das Gegenteil ist offenbar geschehen:
"Lidl und Co kommen hierhin mit Produkten ohne Qualität, die billiger sind als die rumänischen. Es sind schlechte Produkte - stark konserviert. Unser Obst und Gemüse, das hochwertiger und deshalb etwas teurer ist, kommt bei denen nicht ins Regal. Und die gleichen Leute kaufen hier rumänischen Boden auf, kultivieren hier Produkte von hoher Qualität und bringen sie dann in ihre Länder – die stehen dann in Deutschland im Bio-Regal."
In rumänischen Regalen liegen dagegen billige Tomaten, Äpfel und Kartoffeln aus anderen EU-Ländern. Auch Fabrikantin Stanciulov wird ihr Pflaumenmus nur noch schwer los. Der Umsatz ist seit 2002 um 90 Prozent eingebrochen, erzählt sie, während sie ins Büro führt.
"Zum Thema Lidl habe ich Angela Merkel geschrieben. Ich habe sie gebeten, dass der deutsche Staat seine Discounter zivilisiert, bevor er sie in die Welt hinausschickt."
Immerhin: Einen Trost hat die Unternehmerin. Ihr spezielles Mus namens Magiun darf nur sie verkaufen. Lidl hatte zuvor sein Billig-Mus genauso genannt und vor Gericht verloren.
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