Schwierige Aufarbeitung der blutigen Revolution
07:07 Minuten
Vor 30 Jahren wurde der rumänische Diktator Ceausescu gestürzt. Erst jetzt werden die Geschehnisse von damals auch juristisch aufgearbeitet. Ovidiu Gant vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien erlebte die Gewalt damals hautnah.
Shanli Anwar: Erst galt er als Hoffnungsträger des rumänischen Volkes, dann wurde er zum Diktator: Nicolae Ceausescu, vor 30 Jahren wurde er gestürzt und hingerichtet. Wir haben darüber und auch über die späte juristische Aufarbeitung mit einem Abgeordneten des rumänischen Parlaments gesprochen, Ovidiu Gant vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien. Der Sturz Ceausescus wurde ja von Fernsehkameras eingefangen, war für Rumäninnen und Rumänen, für die ganze Welt live verfolgbar. Und ich wollte von Ovidiu Gant wissen, wie er diese Zeit vor 30 Jahren erlebt hat.
Ovidiu Gant: Ich war damals ein junger, frischgebackener Lehrer in einer Kleinstadt, Lugosch, östlich von Temeswar. Ich bin am 16. Dezember von dort nach Hause gefahren und dann ging es schon los, also ich war die ganze Zeit in Temeswar … Es waren Tage der Angst erst mal, der großen Angst, dass Ceausescu zurückschlagen wird mithilfe des Militärs, der Securitate. Wir wussten schnell, es hat sich rumgesprochen in der Stadt, dass viele Leute erschossen wurden.
Man hat auch gegen die Fenster unserer Wohnungen geschossen, ich habe das direkt zu Hause erlebt, zwei Einschüsse im Schlafzimmer meiner Eltern. Also erst mal hat es eine große Angst gegeben, bis sich dann die Revolution ausgebreitet hat und die Bukarester auch auf die Straße gegangen sind, und als Ceausescu mit dem Hubschrauber geflohen ist, war uns klar, dass die Sache gelaufen ist.
Herta Müller: "In Rumänien gab es keine Dissidenz"
Anwar: Also eine Zeit des Tumults. Wir haben dazu auch die Schriftstellerin Herta Müller gesprochen, sie sagte generell zur Ära Ceausescus:
Herta Müller: Rumänien war ja das finsterste Land in Osteuropa, auch von der Verelendung ausgehend, der Verwahrlosung der Bevölkerung durch diese Armut und dass es nicht einmal Grundnahrungsmittel gab, keine Heizung seit Jahren. In Rumänien gab es ja auch wirklich keine Dissidenz, es gab keinen Widerstand, der den Namen verdient, oder immer nur einzelne Personen. Es gab keine Solidarność und es gab auch keinen Václav Havel.
Anwar: Herr Gant, als dann die Revolution, der Aufstand entstand, Sie haben es ja beschrieben, 16. Dezember 1989, ist er in Rumänien schnell in Gewalt umgeschlagen. Wie haben Sie das denn erlebt? War da ganz klar, wer auf welcher Seite steht, wer für die Gewalt verantwortlich ist, welche Motive es gab?
Gant: Also es war ganz deutlich, dass die repressiven Kräfte des Staates für diese Gewalt zuständig waren. Es war offensichtlich, dass das Militär, die Miliz und irgendwelche Zivilleute in schwarzen Ledermänteln herumgelaufen sind. Das waren für uns Indizien auf die Securitate. Also es war sonnenklar, dass es das kommunistische Regime war, und auf der anderen Seite die Bürger Temeswars, die Bürger Rumäniens. Also die zwei Lager waren sonnenklar getrennt. Und es war auch klar, wer auf wen geschossen hat, völlig sinnlos. Die Leute waren friedlich, haben nur gegen das Regime protestiert, ohne gewaltsam zu werden. Also man hat sie völlig sinnlos, grundlos erschossen.
Aufarbeitung – besser spät als nie
Anwar: Diese Geschehnisse, die Sie jetzt beschreiben, werden juristisch jetzt erst so richtig aufgearbeitet, werden jetzt erst vor Gericht gebracht. Warum erst jetzt?
Gant: Zur großen Schande der rumänischen Justiz, das habe ich auch in meiner Rede vor dem Parlament neulich gesagt, geschieht das tatsächlich erst jetzt und erst infolge der Tatsache, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof drauf bestanden hat. Es ist meines Erachtens so gekommen, weil die Postkommunisten 1990 an die Macht gekommen sind und alles getan haben, um die Taten, die Fakten zu vertuschen, und sie auch die Möglichkeit gehabt haben, auf die Justiz einzuwirken, die ja erst mal gemeint hat, jetzt machen wir Schluss, wir suchen nicht nach Schuldigen. Jetzt sind sie doch geholt worden. Ich würde sagen, besser spät als nie, aber wer weiß, inwiefern die Justiz jetzt, 30 Jahre danach, in der Lage sein wird, die wahren Geschehnisse und die Täter irgendwie zu identifizieren. Es wird schwierig sein.
Anwar: Wichtigster Angeklagter ist Ceausescus Nachfolger, Ion Iliescu, der mittlerweile 89 Jahre alt ist. Wie werden denn er und auch seine politische Rolle im Land heute von den Rumänen, wenn man das überhaupt verallgemeinern kann, so beurteilt?
Gant: Also ich glaube, die Meinungen sind getrennt. Wir, die meisten, glauben, dass er eine äußerst negative Rolle während der Revolution und danach gespielt hat. Ich möchte auch dran erinnern, dass er ein Jahr später, also ein halbes Jahr später die Bergarbeiter nach Bukarest gerufen hat, um die Intellektuellen und Studenten zu verprügeln, die seine politischen Gegner waren. Also ich glaube, das ist die Mehrheit in der rumänischen Bevölkerung. Und dann gibt es natürlich Mitglieder seiner Partei und Anhänger seiner Partei, die glauben, dass er irgendwie so ein Anführer der Revolution war und ein Demokrat. Ich bin der Ansicht, dass er die Verantwortung übernehmen müsste.
Staatsanwälte könnten aufklären
Anwar: Was erwarten Sie denn eben, wenn Sie jetzt von Verantwortung sprechen, von den Prozessen, die momentan laufen? Also könnte das wirklich eine Form von Gerechtigkeit bringen, die Aufarbeitung dieser Geschichte?
Gant: Also Aufarbeitung der Geschichte sowieso. Die Staatsanwälte könnten der Öffentlichkeit mal alles präsentieren, was sie herausgefunden haben. Natürlich müsste man die Angeklagten vor Gericht bringen, sie müssten auch verurteilt werden, wenn die Richter das so entscheiden. Ich glaube, ähnlich wie in anderen Situationen, nach dem Zweiten Weltkrieg, wo Jahrzehnte später Schuldige noch vor Gericht gebracht worden sind, ist es auch in Rumänien möglich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.