Rumänien

Wo Ethno-Spießer auf Grandezza treffen

Schauspieler laufen verkleidet durch den Herastrau Park in Bukarest. Es sind die Bucharest City Days.
Schauspieler laufen verkleidet durch den Herastrau Park in Bukarest. Es sind die Bucharest City Days. © Imago / Xinhua
Von Matthias Buth · 19.04.2016
Rumänien sei seit 250 Jahren ein weltoffenes Land, erinnert der Schriftsteller Matthias Buth. Mit ganz Europa, besonders mit Frankreich und Deutschland, habe es Sprache und Literatur, Musik wie Geschichte geteilt.
Manche Länder sind weit weg und doch vertraut. Rumänien ist ein solches Land. Fern in den Karpaten gelegen, zwischen Serbien, Ungarn, Ukraine, der Republik Moldau und Bulgarien. Durchzogen von der Donau, die im Delta ins Schwarzen Meer ausläuft, und bewohnt von 20 Millionen Menschen.

Konzert der Volksgruppen inmitten von Reinheitsapologeten

Immer schon fragen sie sich: Was sind wir als Land und Nation? Es ist - an sich - eine offene Welt und ein Binnenmeer an Kulturen und Schönheit im Konzert vieler Volksgruppen, Stimmen und Kompetenzen. Alle wandelten sich und darin das Rumänische, das eben nicht auf einen Begriff zu bringen ist. Und doch sind die Ethnospießbürger, die Reinheitsapologeten, überall zur Stelle.
Ganz anders erschien Klaus Johannis, Staatspräsident aus der deutschen Minderheit Siebenbürgens. 2014 noch galt er als Retter, der sein Land weg von Korruption und Kriminalität hin zu demokratisch transparenter Teilhabe führen würde.
Und doch vollstreckte er jüngst die Rache der Alt-Kader, als er dem Bürgerrechtler László Tökés einen angesehenen Orden aberkannte. Der prominente reformierte Pfarrer von Temeswar, Symbolfigur des Aufstandes gegen den Diktator Ceausescu, hatte "gefrevelt", indem er Ungarn als Schutzmacht der ungarischen Minderheit ausrief.
Nun ist die Empörung der Intellektuellen groß. Zu Recht. Denn sie erleben ihr Rumänien auch ganz anders. Es hat seit 250 Jahren eine westliche Grandezza und ist mit Deutschland und Frankreich verschwistert.

Kulturelles Bukarest als "Paris des Ostens"

Wer sich auf die Reise macht ins "Paris des Ostens", nach Bukarest, wird an Clara Haskil denken, an die wunderbare Brahms- und Mozartpianistin aus der deutsch-jüdischen Welt Bukarests, die in Paris begraben ist, wird George Enescu mitklingen lassen, der in seinem Leben und Wirken als Komponist, Geiger und Pianist so sehr für das steht, was Rumänien ausmacht.
Dinu Lipatti, der große Schumann-Interpret beendete seine Konzerte immer mit dem Bach-Choral "Jesus, meine Freude". Und in den 150 Kirchenburgen Siebenbürgens - sieben gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe - leben die Sauer- und Buchholz-Orgeln aus Deutschland weiter.
Durch Rumänien verläuft zudem die Seelenachse des Exils. Sie beginnt in Tomis, in der Stadt, in die der römische Dichter Ovid verbannt wurde und vor 2000 Jahren starb er. Die Stadt am Schwarzen Meer heißt heute Constanţa.

"Europa hat die Form meines Gehirns"

1941 war sie Ausgangsort für die Flucht nach Palästina. Nur wenige schafften es zum rettenden Exil. 200.000 jüdische Mitbürger aus Rumänien verloren in der Shoa ihr Leben, denn Rumäniens Schwarze Garde kooperierte mit den Nazis.
"Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" dichtete aus dem (damals) rumänischen Czernowitz Paul Celan. Auch er starb im Exil, 1970 in Paris. Allerdings organisierte die kommunistische Geheimpolizei Securitate nach dem Krieg den nächsten Exodus von 250.000 jüdischen Rumänen – gegen Geld.
Gedächtnis und Melancholie, Klang und Klage - das intoniert Rumänien, weil Dichtung dort eine Heimat hat. Wer könnte den Dadaismus verstehen ohne Tristan Tzara? Auch vor Herta Müller aus dem Banat gab es bedeutende Literatur aus Rumänien, meist pessimistisch und im Werk von Emil Cioran noch dunkler als die von Nietzsche.
Und nicht von ungefähr stellt der Bukarester Romancier Mircea Cartarescu fest: "Europa hat die Form meines Gehirns."

Matthias Buth, geboren 1951 in Wuppertal, hat eine Doppelexistenz als Schriftsteller und Jurist. Im Kanzleramt leitet er bei der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) das Justiziariat.
Er veröffentlicht seit 1973 Gedichte, Essays und Rezensionen. Seine Lyrik wurde ins Arabische, Englische, Französische, Polnische, Rumänische und Tschechische übersetzt sowie vertont in Kammermusik- und Chorwerken. Matthias Ruth ist Mitglied des PEN und gehört zu den Gründern der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft (Wuppertal).
Als Vorsitzender des Kuratoriums des Zentrums für verfolgte Künste (Solingen) organisiert er 2017 die Tagungen in Solingen und Constanţa (Rumänien) zum Thema "Nur Ewigkeit ist kein Exil / 2000 Jahre Europa von Ovid bis in die Gegenwart in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle, dem PEN-Zentrum Deutschland und der Ovid Universität in Constanţa.

Der Jurist und Schriftsteller Matthias Buth
© Quelle: privat
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