Rumänischer Autor Mircea Cărtărescu

Zwischen Idealen und Niedertracht

Der Autor Mircea Cărtărescu
Mircea Cărtărescu wird für seine Romantrilogie "Orbitor" ausgezeichnet. © Imago Stock & People
Von Katrin Hillgruber |
Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse erhält Mircea Cărtărescu den Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Der rumänische Schriftsteller sagt, ihm gehe es darum, den "Raum zwischen Obszönität, Niedertracht und höchstem Ideal" auszumessen. Ein Porträt.
"Es war im Jahr des Herrn 1989. Die Menschen hörten von Kriegen und von Aufständen, doch sie ängstigten sich nicht, denn das alles musste sich ereignen. Es war wie in Noahs Tagen: Alle tranken, aßen, Männer und Frauen vermählten sich, wie sie es seit Nimrods, des berühmten Jägers, Zeiten getan hatten und wie es auch ihre Kinder tun sollten, so hofften sie, und ebenso ihre Kindeskinder, Jahrhunderte und Jahrtausende fürderhin. Keiner von ihnen würde altern und sterben, sein Geschlecht würde in alle Ewigkeit nicht erlöschen, der Mensch würde jedem Kataklysmus trotzen und ihn überwinden bis ans Ende der Zeit."
In diesem alttestamentarischen Duktus beginnt Mircea Cărtărescus Roman „Die Flügel", der abschließende Band seiner "Orbitor"-Trilogie. "Mein Buch gleicht mir selbst, ich selbst bin sein Plan", sagt Cărtărescu über sein Opus magnum, an dem er 14 Jahre lang schrieb und das er 2007 abschloss.
Mit 30 entdeckte er Bibel für sich
Das an die 2000 Seiten starke Romanwerk, das vor allem eine Hymne auf Bukarest ist, entstand zu großen Teilen während Stipendienaufenthalten in Amsterdam, Berlin und auf Schloss Solitude bei Stuttgart. Mircea Cărtărescu ist ein echter Kosmopolit. Der drahtige Mann mit den kräftigen dunklen Haaren strahlt eine enorme Energie und typisch rumänische Herzlichkeit aus. Cărtărescu sagt, er freue sich besonders über deutsche Literaturpreise, da diese immer ehrlich gemeint seien.
"Manchmal kommen mir bestimmte Szenen oder Schauplätze aus dem Buch in den Sinn. Und das bewegt mich dann sehr, es ist, wie wenn man sich an Begebenheiten aus seiner Kindheit oder Jugend erinnert, die man für vergessen hielt. Das ist sehr, sehr kostbar für mich. Ich weiß, dass Orbitor einmal als mein wichtigstes Werk gelten wird, und ich bin hochzufrieden, dass ich es abschließen konnte."
Mircea Cărtărescu kam am 1. Juni 1956 in Bukarest zur Welt. Seine Eltern stammten vom Lande und erzogen ihn zum Atheisten. Nach einer Jugend als Freak – soweit das in der Diktatur möglich war - entdeckte er mit dreißig die Bibel für sich. Das betrachtet er im Nachhinein als Glücksfall:
"Ich habe die Bibel eben nicht als ein Glaubensbuch gelesen, sondern als den größten Roman der Menschheit. Eben weil ich keine religiöse Erziehung genossen und die Bibel sehr spät gelesen habe, war ich so beeindruckt von ihr. Nicht nur mein Buch, sondern die ganze europäische Kultur fußt auf der Bibel – auf der Bibel und den griechischen Philosophen. Ich habe vor allem Motive aus dem Alten Testament entnommen, weil diese so stark sind, dass sie als Stützbalken für ein Dach dienen könnten."
Sein künstlerisches Leben geht weiter
Cărtărescu sagt, die Gewaltherrschaft des Ceauşescu-Clans habe ihm seine Jugend gestohlen: Eine ganze Generation habe weder ins Ausland reisen noch frei sprechen können. Er arbeitete als Hauptschullehrer und später als Lektor für rumänische Sprache und Literatur an der Universität seiner Heimatstadt. Unter den Studenten befand sich seine zukünftige Frau, die Lyrikerin Ioana Nicolaie; zur Familie gehört mittlerweile auch Sohn Gabriel. Seit 1978 veröffentlicht Cărtărescu Prosa und Gedichte, doch nach Ceauşescus Sturz im Dezember 1989 verschrieb er sich ganz der Prosa. Auch "Orbitor" mündet im Revolutionswinter in einem schwindelerregenden rhapsodischen Finale: mit einem verzwölffachten Diktator und einer Riesen-Rumänin in der Tradition von Jonathan Swifts "Gullivers Reisen".
"Mein Interesse war nicht, diese kriminelle Diktatur zu beschreiben und noch einmal zu kritisieren, was andere schon vielfach gemacht haben, ich wollte sie in der Verachtung versenken und dadurch ihre diabolische Struktur und walpurgische Qualität noch kenntlicher machen."
Als literarisches Chamäleon beherrscht Mircea Cărtărescu mannigfache, immer wieder überraschende Tonfälle, auch leichtere als in "Orbitor". Von hinreißendem Charme sind etwa die Erzählungen aus dem Band "Warum wir die Frauen lieben". Und für seine Übersetzer gibt es einen weiteren Schatz zu heben, wie er verrät:
"'Orbitor' bedeutet nicht das Ende meines künstlerischen Lebens. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich keine Fortsetzung dieses Buches schreiben kann. Aber während dieser ganzen Entstehungszeit habe ich auch Bücher anderer Stilrichtungen verfasst. Übrigens hält man in Rumänien nicht die Trilogie für mein Hauptwerk, sondern ein anderes Buch, ein Langgedicht von 7000 Versen, das mittlerweile in allen Schulbüchern präsent ist und "Levantul" heißt, die Levante. Es ist einem alten, levantinischen Rumänisch geschrieben, das ich mir dafür ausgedacht habe."
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