Rumänisches RSO mit Cristian Mandeal

Beethoven in der Walachei

Der Komponist Ludwig van Beethoven in einem historischen Stich von 1820
Ludwig van Beethoven (1820) © IMAGO/imagebroker
Moderation: Volker Michael |
In Bukarest spielte das Rumänische Radio-Sinfonieorchester sein erstes Konzert in diesem Jahr - ohne Publikum, aber mit einem exquisiten Programm, das Ludwig van Beethoven gewidmet war. Cristian Mandeal dirigierte.
Walachei bezeichnet - ganz wertungsfrei - den südlichen Teil Rumäniens jenseits der Karpaten. Die Hauptstadt Bukarest liegt inmitten dieser Region. Sie ist das musikalische Zentrum des Landes, das wie alle Metropolen auf der Welt vom Input aus allen Landesteilen lebt. Aus Siebenbürgen/Transsilvanien stammt der Dirigent Cristian Mandeal, genauso wie der Komponist Wilhelm Georg Berger. Dessen 4. Sinfonie erklingt in dieser Sendung nach der Sinfonie gleicher Ordnungszahl von Ludwig van Beethoven.
Der Dirigent Cristian Mandeal bei einem Konzert in Belgrad im Jahr 2007
Der Dirigent Cristian Mandeal bei einem Konzert in Belgrad im Jahr 2007© IMAGO/ZUMA Wire
Das Programm des Rumänischen Radio-Sinfonieorchesters war ganz und gar dem Schaffen Ludwig van Beethovens gewidmet. Keine schlechte Idee, auch zu Beginn des Jahres 2021, sind doch die meisten Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr des Komponisten 2020 den Corona-Beschränkungen zum Opfer gefallen. Zwei Romanzen Beethovens spielt der Geiger Gabriel Croitoru. Er und Mandeal gehören zur Generation von etablierten rumänischen Künstlern, international bekannt und mit Preisen ausgezeichnet, und dennoch fest verwurzelt in der einheimischen Musiklandschaft.

Aufklärungsballett

Am Beginn steht eine Ouvertüre Beethovens, und zwar die zu seiner einzigen Ballettmusik "Die Geschöpfe des Prometheus". Diese Tanzmusik wurde 1801 in Wien vor kaiserlichem Publikum aufgeführt und hatte stark aufklärerischen Charakter. Bereits sieben Jahre später erklang das gesamte Ballett in NYC. Prometheus will die von ihm geschaffenen Menschen weiterentwickeln durch kulturelle und wissenschaftliche Bildung. Deshalb macht er sie mit den verschiedenen Gottheiten und Gestalten wie Apollon, Orpheus, Terpsichore oder Thalia bekannt.
Die beiden Romanzen für Violine und Orchester op. 40 und 50 zeigen einen leichten, geradezu unterhaltsamen und schwungvollen Ton im Schaffen des Komponisten. Es gibt keine Belege, für welchen Geiger Beethoven diese beiden Romanzen in Rondo-Form geschrieben haben könnte. Relativ sicher ist, dass sie in seinen Anfangsjahren in Wien entstanden, obwohl auch klar ist, dass er aus Bonn Vorarbeiten dazu mitgebracht haben dürfte. Gesanglich und nicht so sehr virtuos präsentiert sich die Geige hier.

Enescus warme Wundergeige

Der Ton in unserer Aufnahme ist ein besonderer – spielt doch der rumänische Geiger Gabriel Croitoru ein hochgelobtes Instrument – eine Guarnieri-Geige aus Cremona von 1730. Sie trägt den Namen "Kathedrale" und befand sich im Besitz des legendären Komponisten und Geigers George Enescu. Seit 2008 spielt Gabriel Croitoru das besonders warm- und vollklingende Instrument. Ihm wurde es nach einem Ausscheid zugesprochen, zuvor galt das Instrument als verschollen.

Zugabe auch ohne Publikum

Das Orchester spielte sein erstes Konzert des Kalenderjahres wie überall derzeit ohne Publikum. Und trotzdem hatten Solist und Orchester eine kleine Zugabe vorbereitet. Die stammt vom Wiener Stargeiger der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von Fritz Kreisler. Der komponierte auch eigene Werke, meistens für sein Instrument. Am häufigsten aufgeführt werden wohl seine Kadenzen zu den Violinkonzerten von Brahms und Beethoven. In unserem Konzert können Sie ein Rondino Kreislers hören, das in einer ganz engen Beziehung zu Beethoven steht. Ein Werk ohne Opuszahl Beethovens hat sich Fritz Kreisler dabei als Vorbild genommen.

Ein aktiver Karajan- und Celibidache-Schüler

Dirigent Cristian Mandeal ist Jahrgang 1946 und hat noch bei Herbert von Karajan und Sergiu Celibidache studiert. Er gehört zu den wichtigsten Dirigenten Rumäniens, auch auf dem internationalem Parkett. In den letzten Jahren hat er viel Energie und Zeit in den Aufbau und die Entwicklung des Rumänischen Jugendorchesters investiert. Cristian Mandeal leitet zum Abschluss in diesem Konzert die Vierte Sinfonie Ludwig van Beethovens.
Eine Sinfonie wie diese Vierte passt gut in die Zeit der großen Abstände auf den Konzertbühnen. Denn sie ist nicht so groß besetzt wie zum Beispiel die 5. Sinfonie. Beethoven lässt seine B-Dur-Sinfonie mit einem fahlen Akkord und einem verhaltenen Motiv beginnen. Es entsteht dadurch eine Art Schöpfungsstimmung. In der "dampfenden Ursuppe" setzten sich erst nach und nach klare Konturen durch. Beethoven suggeriert diese Atmosphäre, indem er die Musik eine unklare harmonische Basis durchschreiten lässt. Nach einiger Unsicherheit, die ganz mit unserer derzeitigen Situation zu tun haben könnte, erlangt die Musik festen Untergrund: Dann jubilieren die klaren Themen und Konturen. Der zweite Satz ist eine Art ausschweifende Liebesmelodie, wieder eine Romanze, die sich über einen regelmäßig schwingenden Orchestersatz spannt.

Griechische Maid zwischen Nordlandriesen

Im dritten Satz orientiert sich der Komponist ganz an der klassischen Form, wenn er ein traditionelles Menuett mit eingeschobenem kurzem Trio schreibt. Auf diesen Abschnitt trifft vielleicht am meisten zu, was Robert Schumann über die vierte Sinfonie Beethovens bemerkt hat: Sie sei eine griechisch-schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen. Mit den Nordlandriesen spielte Schumann auf die dritte und die fünfte Sinfonie Beethovens an. Die scheinen bis in unsere Zeit mit ihrem dramatischen Gewicht diese Mittelsinfonie zu bedrücken. Ganz rasant und locker lässt sich der Finalsatz an, fröhlich und unbeschwert geradezu.
Eine Art Tanz mit überraschenden Wendungen. Insgesamt lässt sich viel Gutes über diese vierte Sinfonie sagen – sie ist zum Teil dunkel geheimnisvoll romantisch, andererseits auch von klarer und kristalliner Form, eine tragfähige Brücke zwischen den Epochen, die Beethoven damit zu überwinden und miteinander zu versöhnen weiß. Sie ist seine ganz individuelle Hommage an seine Vorgänger Haydn und Mozart, denen er viel verdankt.

Eine tragische Sinfonie aus Siebenbürgen

Cristian Mandeal wurde in Rupea in Siebenbürgen geboren. Aus dieser Kleinstadt in der Nähe von Kronstadt/Brasov stammt auch Wilhelm Georg Berger. 17 Jahre vor Mandeal wurde der siebenbürgisch-sächsische Komponist dort geboren – Reps heißt der Ort auf Deutsch. Wilhelm Georg Berger ging mit 19 Jahren nach Bukarest, wo er eine Karriere als Bratscher der Enescu-Philharmonie, als Musikwissenschaftler und Komponist machte. Anders als viele Rumäniendeutsche und als viele Künstler blieb Berger in seiner Heimat bis zu seinem Tod 1993. Er verstand es, trotz aller einschnürender Vorgaben der Kulturbürokratie kreativ zu wirken. Sein Schaffen ist groß und breit, was die Genres angeht. 24 Sinfonien sind darunter, 21 Streichquartette, aber auch geistliche Musik und Solokonzerte. 1968 wurde er Sekretär des Rumänischen Komponistenverbandes. Das war eine Zeit, als sich Rumänien mit seinem damals jungen Führer Nicolae Ceaucescu im Westen größter Beliebtheit erfreute. Die Politik setzte auf Unabhängigkeit von Moskau, das kam auch dem Kulturleben insofern zugute, als alles, was sich kulturell rumänisch gab, gefördert wurde – es musste nicht unbedingt realsozialistisch sein.

Goldner Schnitt und Fibonacci-Reihe

Wilhelm Georg Berger versöhnte modale rumänische Volks- und Kirchenmusik mit streng organisierten Reihen im Sinne Schönbergs und Weberns. Außer Arnold Schönberg nannte Berger Max Reger und Paul Hindemith als seine Vorbilder. Seine musikalische Bildung in Siebenbürgen war sehr stark österreichisch-deutsch geprägt gewesen. So kommt es, dass seine Musik nicht wie die von Béla Bartók oder György Ligeti klingt, auch der französische Einfluss scheint zu fehlen, der die Musik von George Enescu oder Marcel Mihalovici geformt hatte. Auf klare, mathematisch begründbare Formen kam es Wilhelm Georg Berger an, er arbeitet mit dem Goldenen Schnitt und der Fibonacci-Folge 1-2-3-5-8-13-21. Trotzdem klingt seine Musik nicht abstrakt.

Musik genügt sich selbst

Das lässt sich in der Vierten Sinfonie von Wilhelm Georg Berger nachvollziehen. Die stammt aus dem Jahr 1964 und trägt den Untertitel "Tragische". Sie besteht aus zwei in etwa gleich langen Sätzen, beginnt und endet in elegischer Stille mit flächigen Klängen, die von kurzen Soli einzelner Instrumente aufgelockert werden. Der erste Satz wird von er langen Kantilene des Englischhorns fortgeführt – häufig entsteht durch diese Klangfarben, aber auch durch Akkordballungen, eine tragische Stimmung. Die Musik genügt sich aber durchgehend selbst und benötigt kein Programm. Die Aufnahme der vierten Sinfonie Wilhelm Georg Bergers entstand 2010 mit dem Rundfunk-Sinfonieorcheste Berlin. Der Dirigent dieser Produktion von Deutschlandfunk Kultur war der ebenfalls aus Siebenbürgen stammende Horia Andreescu.
Mihail Jora Konzertsaal, Bukarest
Aufzeichnung vom 5. Feburar 2021
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre "Die Geschöpfe des Prometheus" op. 43
Romanze G-Dur op. 40
Romanze F-Dur op. 50
Fritz Kreisler
Rondino auf ein Thema von Beethoven
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60

Gabriel Croitoru, Violine
Rumänisches Radio-Sinfonieorchester
Leitung: Cristian Mandeal

Anschließend:
Wilhelm Georg Berger
Sinfonie Nr. 4 op. 30

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Horia Andreescu

Produktion: Deutschlandfunk Kultur / cpo 2010
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