Rummelplatz, dann Arbeitslosigkeit

Von Christoph Leibold |
Der Karussellausrufer und Weiberheld Liliom verliert seine Job, wird vom Kraftprotz zur jämmerlichen Gestalt. Mit der Inszenierung des Stücks Liliom am Münchner Residenztheater erzählt Regisseur Florian Boesch von Arbeitslosigkeit und dem damit einhergehenden Verlust des Selbstwertgefühls.
Der ungarische Dramatiker Franz Molnár [auch: Ferenc Molnár] ist vor allem für ein Stück bekannt, für das 1909 uraufgeführte Volksstück Liliom. Die Titelfigur, Liliom, ist Ausrufer eines Karussells am Rummelplatz und als solcher Schwarm aller Mädchen. Als er eines Tages zu heftig mit der jungen Julie flirtet, wirft ihn die eifersüchtige Karussellbesitzerin raus. Liliom ist arbeitslos, kurz drauf wird Julie schwanger. Um an Geld zu kommen, unternimmt Liliom einen Raubüberfall, der gründlich misslingt. Am Münchner Residenztheater hat jetzt Florian Boesch Molnárs Vorstadtlegende vom Liliom inszeniert.

Vom Karussell ist nicht viel geblieben auf der Bühne des Münchner Residenztheaters. Nur eine von unzähligen gleißenden Glühbirnen eingefasste Drehscheibe, die beständig kreist. Doch befinden sich darauf weder Karussellpferde noch Kutschen oder Autos, sondern tanzende Menschen.

Aus dem Karussellausrufer Liliom ist ein 70er-Jahre-Alleinunterhalter mit strähniger Langhaarfrisur im rötlich schimmernden Polyesteranzug geworden. Mit betont lässigem Auftreten und schmalzigem Gesang zu Play-back-Melodien bringt er in einem drittklassigen Tanzschuppen die Mädchenherzen zum Schmelzen.

Später, als Liliom seinen Job verloren hat, verändert sich das Ambiente kaum. Sessel und Stühle, eben noch als Mobiliar der Disco im Einsatz, werden einfach auf einem Fleck zusammengestellt und aufeinandergestapelt und geben so den armselig-rumpeligen Hausstand ab, wo Liliom mit seiner Julie im Beziehungsunglück hockt.
Am Münchner Residenztheater ist Michael von Au Liliom. Von Au hat schon in vielen Stücken den Filou und Strizzi gespielt. Auch als Liliom ist er eine Idealbesetzung - obwohl er trotz stattlicher Körpergröße nicht den Kraftmeier gibt, als der Liliom sonst gerne interpretiert wird. Von Au als Liliom ist dagegen ein ziemlich windiger Weiberheld. Groß und großspurig nur auf seiner kleinen Alleinunterhalterbühne, abseits davon eine ziemlich jämmerliche Gestalt; einer der das Maul nur weit aufreißt, um die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Aber selbst das gelingt diesem Liliom kaum. Michael von Au gelingt es dafür umso besser, diese Erbärmlichkeit darzustellen. Sein Liliom ist ein mediokrer Showstar ohne Show. Nimmt man ihm die Bühne, nimmt man ihm sein ganzes Selbstvertrauen.
Die Idee von Regisseur Florian Boesch, den Rummelplatz aus Franz Molnárs Stück in seiner Inszenierung in ein Tanzlokal zu verwandeln, ist mehr als nur der Versuch, einen gut 100 Jahre alten Theatertext zu modernisieren. Die Vertreibung Lilioms von seiner Discobühne wird zur Metapher - nämlich dafür, was mit einem Menschen passiert, den man der Plattform beraubt, auf der er sich Zutrauen zu sich selbst holt. Denn es ist nicht allein das Geld, das Liliom fehlt, nachdem er seinen Job verloren hat; sondern, wie bei den meisten Arbeitslosen: das positive Selbstbild, das sich aus der Anerkennung durch andere speist. Bei einem Bühnenmenschen wie Liliom ist der Verlust dieser Anerkennung besonders deutlich erlebbar: weil Applaus und Bewunderung des Publikums ausbleiben. Und so erzählt Regisseur Florian Boesch ganz unangestrengt und unaufdringlich von einem hochaktuellen Thema: von Arbeitslosigkeit und dem damit einhergehenden Verlust des Selbstwertgefühls der Betroffenen.

Das die Inszenierung dabei die Liebestragödie nicht verpasst, die auch in Molnárs Volksstück steckt, ist vor allem Anne Schäfer zu verdanken.

Als trotzig-rotzige Julie verteidigt sie ihre Liebe zu Liliom, der sie schlägt und ihr keine Existenz bieten kann, wider alle Vernunft mit einem Stolz und einer schönen Unbeirrbarkeit, die nur wahrhaft Liebenden zu eigen ist.