Verdeckter Kampf gegen die Kanzlerin
Der Streit in der CDU über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel gärt weiter. Eine Revolte gegen ist zwar vorerst abgewendet. Merkels Mantra "Wir schaffen das" steht aber eine wachsende Gruppe von Zweiflern gegenüber, die verdeckt auf einen Kurswechsel drängt.
"Wie das weitergeht, müssen wir sehen",
sagt die Bundeskanzlerin am Ende einer Woche, in der es in der eigenen Bundestagsfraktion beinahe zur offenen Revolte gegen ihren Kurs gekommen wäre. Im Videopodcast des Bundespresseamtes lässt sich Angela Merkel von einem Rechtsreferendar auswendig gelernte Stichworte geben. Die Fragen zielen nicht auf den gärenden Unmut in den eigenen Reihen, sondern auf ein bevorstehendes Gipfeltreffen mit der türkischen Regierung, nächste Woche in Berlin.
"Gute Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei sind gerade in der jetzigen globalen Situation von allergrößter Bedeutung",
erklärt Merkel und spannt damit noch einmal den großen, internationalen Rahmen auf, in dem sie sich an eine Lösung der Migrationskrise herantasten will: Die Massenflucht dort bekämpfen, wo sie ihre Ursachen hat, an einer Befriedung Syriens arbeiten, die Türkei bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen unterstützen.
Merkel warnt vor Flucht aus der Türkei
"Die Türkei hat unter den inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlingen, die sie beherbergt, mindestens 900.000 Kinder. Die müssen in die Schule gehen, die müssen ausgebildet werden. Und hier hat die Türkei bisher sehr wenig internationale Hilfe bekommen und es ist auch im europäischen Interesse, dass es den Flüchtlingen dort gut geht, so dass sie keinen Grund sehen, dann zu fliehen aus der Türkei. Und insofern halte ich das für einen wichtigen Beitrag."
Am kommenden Freitag wird der türkische Ministerpräsident Davotoglou mit seinem halben Kabinett zur den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen im Kanzleramt empfangen. Militärische Ehren, roter Teppich, Gespräche über Milliardenhilfen und die mögliche Eröffnung neuer Kapitel im EU-Beitrittsprozess mit der Türkei stehen auf der Agenda. Merkel muss dem unbequemen Partner weit entgegen kommen, um Erfolge bei der Sicherung der EU-Außengrenzen zu erreichen. Denn der Druck auf die Kanzlerin ist so groß wie nie.
"Können wir das tatsächlich schaffen?"
"Es gibt wachsende Zweifel in der Unions-Fraktion, ob wir tatsächlich das schaffen können, was wir angesichts der Flüchtlingskrise unbedingt schaffen müssten",
fasste der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gestern die aufgewühlte Stimmung zusammen, in der sich die Unionsabgeordneten in den vergangenen Tagen zum ersten Mal im neuen Jahr und nach der Kölner Silvesternacht wieder in Berlin begegnet waren.
"Grob gezeichnet ein Drittel der Fraktion unterstützt den Kurs der Bundeskanzlerin aus voller Überzeugung. Ein Drittel ist eher skeptisch, wie von mir gerade geschildert, und verlangt oder erwartet eine Kurskorrektur. Und dann gibt es noch ein Drittel: Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die sagen, ja, ich teile eure Sorgen, aber da jeder Antrag mit der Aufforderung einer Kurskorrektur als Misstrauenserklärung gegenüber der Bundeskanzlerin interpretiert werden würde, ist es für uns wichtig, dass wir zusammenbleiben, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, und deshalb unterstützen sie diesen Kurs, auch wenn viele Zweifel haben."
Versuch einer Revolte
Unterschriftenlisten waren in der Fraktion kursiert, es hatte einen Versuch gegeben, eine offene Abstimmung über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze zu erzwingen.
"Diesen Antrag wird es nicht geben. Ich selbst habe da auch nie Hand angelegt, halte auch so ein Vorgehen eines Antrags bei einer so zentralen Frage, auch politisch so schwer zu beantwortenden Frage wie der Frage, ob man Zurückweisungen an der deutschen Außengrenze vornehmen sollte, nicht für richtig",
sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Stephan Mayer von der CSU im Deutschlandradio Kultur.
Verdeckter Kampf der Papiere
Aus dem offenen Aufstand ist ein verdeckter Kampf der Papiere geworden. Positionen sind abgesteckt, Erklärungen vorbereitet, mit denen man gegebenenfalls belegen kann, man habe ja schon immer gewusst, dass das nicht gutgehen kann. Die Abgeordneten, die eigentlich eine offene Protestresolution unterschreiben wollen, haben jetzt einen persönlichen Brief an die Kanzlerin verfasst.
Die Frage bleibt, wie viel Zeit sie der Kanzlerin geben, bis der unterdrückte Protest doch noch zur offenen Revolte wird.