Eine Ära geht zu Ende
Im Mai gibt Simon Halsey, der Chefdirigent des Rundfunkchores Berlin, seinen Abschied in der Berliner Philharmonie. 15 Jahre lang hat er den Chor zu dem gemacht, was er heute ist. Doch das war nur ein Bruchteil der Chorgeschichte seit 1925.
Musik: Brahms, Requiem – Wie lieblich, Tr. 4
Sänger S. von Billerbeck: "Dieser Chor ist schon was Besonderes. Also ich bin stolz auf diesen Chor. Und ich bin auch stolz darauf, in diesem Chor zu singen. Mittlerweile im 16. Jahr. Und muss sagen, es ist die Spitze, die man erreichen kann im Chorbereich. Also mehr geht nicht, sozusagen. Man ist immer da, wo die größten Musiker arbeiten, man arbeitet mit denen gemeinsam auf einer Bühne. Und es ist eine ganz tolle Sache, dafür berufen zu sein, in einem solchen Ensemble mitzuwirken und das Ensemble mit zu prägen."
Sänger J. Schneider: "Die Konzertprogramme sind sehr viel exklusiver geworden. Also wir haben viele Programme, die wir mit den Berliner Philharmonikern gemeinsam machen. Fahren auf große internationale Festivals, haben drei Grammys gewonnen. Und werden inzwischen doch als einer der besten Chöre der Welt anerkannt. Und ich bin da wahnsinnig stolz drauf, in diesem Ensemble arbeiten zu dürfen."
Brahms – Ein deutsches Requiem mit den Berliner Philharmonikern. Dieses Werk und die Grammy-prämierte Aufnahme ist ein Markstein in der 90-jährigen Geschichte des Rundfunkchores Berlin. Ein Beweis für das Erreichte. Aber auch ein Zeichen für den Wandel. Kein anderes Werk stand und steht so sehr im Zentrum des Chores. Es ist zu einem Symbol für die kontinuierliche Arbeit geworden.
Musik: Strauss, Fröhlich im Maien
Im Unterschied zu anderen deutschen Profichören wurde der Rundfunkchor Berlin quasi dreimal gegründet: 1925, 1945 und 1990. All diese Zeitmarken bedeuteten Neuaufbau und Neuorientierung – wenngleich jedes Mal mit anderen Vorzeichen.
Die letzte große Veränderung, die Wendezeit, erlebte Hans-Hermann Rehberg als Herausforderung. 1990 übernahm der frühere Sänger des Rundfunkchores die Funktion des Chordirektors. Ein Job zum Verzweifeln. Doch trotz aller Unsicherheit sah er die Wendezeit als Chance:
"Na für den Rundfunkchor Berlin war das eigentlich eine ganz große Chance. Weil wir haben sofort gespürt, man kannte das Ensemble, man wollte das Ensemble, und man musste nur die Grundlagen für die Zusammenarbeit schaffen. Das war einfach eine schöne Aufgabe, das Ensemble neu zu positionieren in dem viel größer gewordenen Markt. Und dem Rundfunkchor mit neuen und ganz ungewöhnlichen Partnern, die wir bis dahin nur aus dem Bilderbuch oder aus dem Fernsehen kannten – mein Gott! Da öffnete sich ein Paradies, das es zu erschließen galt, das es zu erobern galt und auszuloten galt."
Musik: Purcell, Hear My Prayer
Zu den Herausforderungen eines professionellen Chores gehört die Sprache, insbesondere wenn es nicht die eigene ist, in der man singt.
"Von einem Berufschor", so Chorchronist Habakuk Traber, "erwartet man, dass er alles bewältigt, was von ihm sängerisch verlangt wird. Dafür sind seine Mitglieder Profis. Technische Hürden und sprachliche Barrieren zählen nicht; sie sind dazu da, überwunden zu werden. Weg mit dem Bühnen-Sanskrit, bei dem alle Sprachen gleich englisch klingen!"
Diese Forderung steht heute wie vor 20 Jahren im Mittelpunkt der Probenarbeit. Es gilt das Muttersprachler-Prinzip, auch wenn der vom Noch-Chef Simon Halsey geäußerte Wunsch, für jedes fremdsprachige Stück einen Muttersprachler als Dirigenten einzuladen, ein unerreichter Traum geblieben ist.
Halsey: "Wenn das Stück auf Russisch ist – wir sind nicht schlecht auf Russisch, aber es ist natürlich nicht die Muttersprache. So oft die russische Musik neu ist, singen wir ohne Text: La la la la. Und wir sehen dann, was für eine Musik wir haben. Aber wir haben auch eine Sprachberaterin, Frau Drybinsky, sie kommt und arbeitet sehr genau mit dem Chor. Zuerst lesen wir den Text zusammen. Und wir haben eine Übersetzung. Wir wissen, dieses Wort ist Gott und dieses Wort ist Barmherzigkeit usw. Und dann mache ich ganz langsam eine Seite Musik und Sprache zusammen."
Musik: Rachmaninow, Vesper
Der Rundfunkchor Berlin hat im Laufe seiner 90-jährigen Geschichte viele Wandel erlebt: Dirigenten, die kamen und gingen, die den Chor mit ihren Vorstellungen und Interpretationen klanglich prägten, ihm einen eigenen Sound gaben, der immer flexibler wird. Aber auch die Anforderungen, die mit der Zeit andere als zur Gründung wurden. Zwar besteht nach wie vor eine wichtige Aufgabe darin, das traditionelle Repertoire zu pflegen und neue Musik auf höchstem sängerischen Niveau vorzustellen. Doch mittlerweile ist der Rundfunkchor eine Institution mit gesellschaftlicher Relevanz geworden: Education-Programme, Mitsingkonzerte, Leaderchor – Chormusik hat eine neue Dimension erreicht, die sich vor allem über Vernetzung definiert. "Broadening The Scope of Choral Music" heißt das beim Rundfunkchor Berlin.
Halsey: "Das Ziel ist eine Brücke zu haben. Wir müssen ohne Ende mit Schülern und Universitäten arbeiten. Alle Kinder und jungen Leute haben die Chance, in einem Chor zu singen. Wenn man mit 8 Jahren begonnen hat, kann man leicht mit 50 wieder einsteigen. Es ist so wunderbar, wenn wir Fußball zusammen spielen. Es ist nicht wichtig Pele zu sein, aber zusammen zu spielen und Freude zu haben und Teams zu bauen und Communities zusammen zu bringen. Und was ich so toll finde in Berlin, die Stadt ist so international."
Musik: Verdi Requiem / Mitsingkonzert
Die Mitsingkonzerte mit über 1000 Laiensängern sind ein Markenzeichen des Rundfunkchores Berlin geworden, ein Exportschlager, bei dem man schnell sein muss, um ein Platz zu ergattern. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, selbst wenn Simon Halsey den Chor nach dieser Saison in Richtung London verlässt. Er bleibt mit seinem unnachahmlichen Temperament dem Chor als Ehrendirigent erhalten und wird diesen erfolgreichen Konzerttyp Mitsingkonzert weiterführen. Eine schöne Nachricht für den Chor und alle, die gern singen.