Die Aufführungen von "LUTHER dancing with the gods" mit dem Rundfunkchor Berlin beginnen am 6. Oktober 2017 im Pierre Boulez Saal.
Konzertperformance zum Reformationsjahr
Die szenischen Arbeiten des Rundfunkchors Berlin kommen gut an: Im Reformationsjahr gibt es nun erstmals eine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Wilson. Das Musiktheater "LUTHER dancing with the gods" hat im Oktober im Pierre Boulez Saal Premiere.
Der Rundfunkchor Berlin hat soeben seine erste Probenphase zu einem neuen szenischen Werk beendet. Nach der von Peter Sellars inszenierten Matthäuspassion im Jahr 2012 hat das Ensemble immer wieder international gelobte Interpretationen gefunden, in denen die Sängerinnen und Sänger die Musik szenisch mitgestalten, etwa mit seinem "Human Requiem". Jetzt hat der Rundfunkchor Berlin den amerikanischen Regisseur Robert Wilson für ein Projekt gewinnen können, in dem unter anderem Motetten von Johann Sebastian Bach inszeniert werden. "LUTHER dancing with the gods" heißt der frei zu interpretierende Titel der Arbeit, die im Oktober im Pierre Boulez Saal auf die Bühne kommt.
Wie aus frühchristlicher Vorzeit scheint die griechische Schauspielerin Lydia Koniordou zu sprechen. Auf dem Rücken ihres langen schwarzen Kleides sind Flügelstummel befestigt. Sie könnte einen gefallenen Engel verkörpern oder das Dunkel, dem Luther in seinen Studien begegnet oder die Kirche in Rom.
Nicht alle Fragen werden beantwortet
Regisseur Robert Wilson nennt sie nur "a woman", eine Frau. Neben ihr, weiß, ein Kind, vielleicht der junge Martin Luther, der von der Decke hängende, winzige Leitern betrachtet. Die Unerreichbarkeit Gottes, die Himmelsleiter? Jede Antwort kann richtig sein, sagt die Co-Regisseurin Nicola Panzer:
"Die Grundidee ist immer, dass man eben nicht erklärt, was es ist, sondern dass es immer eine Frage bleibt, was es sein könnte. Das heißt, es wird auch nicht im Programm festgelegt werden, was irgendetwas bedeutet oder warum und wieso, sondern es entsteht ein Gesamtkunstwerk, das Fragen aufwirft, die jeder Zuschauer sich selbst beantworten darf."
Nicht einmal die Bedeutung des Stücktitels "dancing with the gods" gibt das Inszenierungsteam preis. Nur die Zeitachse ist ein Anhaltspunkt, denn das für und mit dem Rundfunkchor Berlin entwickelte Musiktheaterwerk folgt dem Leben Martin Luthers. Mit griechischen Bibeltexten, die Luther übersetzt hat, mit lateinischen Anklagen der katholischen Kirche und mit deutschen Auszügen aus Luthers Ansprachen und Tischreden. Auch Johann Sebastian Bach hat Luthers Bibelübersetzung für seine Motetten verwendet.
Nicola Panzer: "Was für uns konzeptionell sehr wichtig war, ist dieser Gedanke von Martin Luther, dass man im Glauben an Jesus Christus seine Erlösung findet und nicht im Kauf von Ablassbriefen und der Unterstützung des Baus des Petersdoms. 'Jesu meine Freude' und alle diese Texte drehen sich um seine Beziehung zu Jesus Christus, das ist ein wichtiger Aspekt des ganzen Abends."
Zeitgenössische Gemälde nachgestellt
In der Cafeteria der Probebühne hängen Fotokopien von Gemälden aus der Zeit Martin Luthers. Lukas Cranach, Hieronymus Bosch. Robert Wilson lässt manche Motive wie lebende Bilder von Sängerinnen und Sängern nachstellen. Aus der Musik von Johann Sebastian Bach schöpft Wilson unerwartete Inszenierungsimpulse. Der Dirigent des Rundfunkchores, Gijs Leenaars:
"Er hört auf seine Weise sehr genau zu, aber ganz anders als ein Dirigent zum Beispiel. Für ihn hat Musik eher zu tun mit Zeitdauer. Lang oder kurz, licht oder dunkel. Ist es dicht oder offen, die Struktur sozusagen? Ich glaube, er hört Musik vielleicht wie ein Architekt oder so. Es ist anders als bei den meisten Musikern. Das ist aber schön, so wird man als Musiker gezwungen, sich die Musik aus einer anderen Perspektive anzuschauen oder anzuhören."
Die Bewegungen, die Robert Wilson von den Sängerinnen und Sängern haben möchte, sind nicht schwierig, aber ausdrucksstark. Inspiriert durch den Pierre Boulez Saal, in dem "LUTHER dancing with the gods" später aufgeführt wird, sollen sie den Raum um sich herum fühlen, erklärt er.
"Wenn Sie sich drehen, bitte lassen Sie immer Ihre Augen folgen. Der ganze Raum wird wie ein Planetarium erleuchtet sein. Da ist der Weltraum ... Mars ... Jupiter! ... der Planet Erde. Und der Weltraum – der nicht leer ist. Versuchen Sie, in den Raum hinaus zu schauen, nicht auf den Boden."
Szenische Arbeit als künstlerische Bereicherung
Über zehn Jahre Erfahrung mit szenischem Arbeiten hat der Rundfunkchor Berlin bereits. Vom Beginn der Arbeit mit Peter Sellars an der inszenierten Matthäuspassion und später am inzwischen weltweit nachgefragten "Human Requiem" habe der Chor eine große Bereicherung seines künstlerischen Ausdrucks erfahren, sagt die Altistin Judith Simonis:
"Wenn man jetzt aus dem Nähkästchen plaudert, dann kann man sagen, da gab es durchaus Ressentiments dagegen – wir sind ja kein Opernchor, der szenisch darstellt, sondern bei uns geht es explizit immer um die Musik und um nichts anderes. Dann haben wir uns aber auf diese Reise begeben mit Peter, und die war sehr erfolgreich. Für uns auch persönlich erfolgreich, denn man hat einfach noch einmal Dimensionen erreicht, sowohl musikalisch als auch gestalterisch, die man vorher vielleicht nicht hatte und von denen man auch nicht geglaubt hat, dass man sie haben könnte. Und die Reise geht jetzt weiter!"
Robert Wilson: "Take the stick ... Everyone take their arms outer side and away. Go!"
In einem inneren Kreis auf der ovalen Bühne stehen schwarz gekleidete Sänger, außen herum Sängerinnen in Weiß. In einer fließenden Bewegung übergeben die äußeren Figuren lange weiße Holzstäbe an die innen stehenden und senken ihre Arme nach hinten und außen ab.
Zufrieden nach dem ersten Gesamtdurchlauf
Robert Wilson erklärt, dass diese kleine, aber koordinierte Bewegung umso stärker wirkt, je mehr die Sängerinnen und Sänger auf einander achten:
"Bravo. That's it! You work together as a group, it's one thing happening, so be very sensitive to each other."
Judith Simonis: "Jeder für sich wird selbstbewusster, weil er merkt, was noch in ihm steckt und ja, wir wachsen auch zusammen, würde ich sagen. Denn wir lernen uns noch einmal ganz anders kennen, als wenn wir nur neben einander stehen und danach die Noten zuschlagen und nach Hause gehen. Wir arbeiten jetzt ganz anders mit einander, das ist ein absolutes Geschenk, wahnsinnig spannend und die Ergebnisse sprechen, finde ich, bisher immer für sich!"
Die Probenphase von zwei Wochen ist zu Ende. Erst kurz vor der Uraufführung werden Chor und Regieteam sich wiedersehen. Doch Robert Wilson wirkt zufrieden mit diesem ersten Gesamtdurchlauf für "LUTHER dancing with the gods":
"Thank you again. I look forward to see you in September. Have a good summer!" (Applaus)