"Diese Menschen wollen hier etwas tun"
In Deutschland würden Flüchtlinge nach ihrer Ankunft "still gelegt" und zum Nichtstun verdammt, kritisiert Rupert Neudeck, Aktivist und Gründer des Vereins Cap Anamur. Statt sie "mit Rührseligkeit zuzudecken" und zu entmündigen, sollten sie besser eine Aufgabe und Arbeit bekommen.
Flüchtlinge sollen in Deutschland so schnell wie möglich nach ihrer Aufnahme eine Aufgabe und Arbeit bekommen. Das fordert der Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur und Mitbegründer des internationalen Friedenscorps Grünhelme, Rupert Neudeck.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Aktivist, der Ende der 70er-Jahre durch die Rettung Tausender vietnamesischer Flüchtlinge bekannt wurde: Der größte Fehler, der seit Jahrzehnten bei Flüchtlingen gemacht werde, sei, diese "still zu stellen" und zur Untätigkeit zu verurteilen. Die Flüchtlinge kämen "nicht nur als Notbedürftige zu uns, sondern die haben etwas vor, die wollen sich betätigen, die wollen möglichst einen Beruf lernen, wenn sie jung sind, die wollen möglichst schnell in einen Arbeitsprozess".
Die Verpflichtung anzupacken
Als Konsequenz müsse man die Ankömmlinge nicht nur schneller in den Arbeits- und Bildungsmarkt integrieren, sondern sie auch von Anfang an dazu verpflichten, in ihren Unterkünften "die Arbeiten zu tun, die dort notwendig sind". Denn tätig zu sein, sei für Flüchtlinge das Allerwichtigste. Auch Deutschkurse sollten nicht nur als ein Angebot wahrgenommen werden, sondern als eine Verpflichtung, um schneller am Leben teilhaben zu können. Neudeck sagte:
"Wir haben viel zu lange den Prozess mit Rührseligkeit begleitet: ‚Das sind arme Menschen, die müssen wir zudecken mit Empathie, mit Caritas, mit milden Gaben.' Das ist nicht so. Diese Menschen wollen gleich auf den ersten Blick hin etwas tun, um Mitglieder dieser Gesellschaft zu werden."
Ihr Leben selbst mitgestalten
Angesichts der Diskussion um Wohnungsnot und mangelnde Unterbringungsmöglichkeiten schlägt Neudeck vor, in der Nähe von großen Städten und Gemeinden Siedlungen für Flüchtlinge zu errichten, die diese selbst bauen und gestalten könnten. Auch das würde die Eingliederung in den Arbeitsprozess fördern.
Für "den gröbsten Unsinn" hält es Rupert Neudeck dagegen, die Flüchtlinge zu verpflichten, mitgebrachte Wertsachen oder Geld abzugeben, wenn es eine bestimmte Summe überschreite. Er wertete diese Regelung in Bayern und Baden-Württemberg als "völlige Hilflosigkeit einer Politik, die der Bevölkerung mal zeigen will, was eine Harke ist".
Liane von Billerbeck: In Nordrhein-Westfalen haben hundert Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea Klage gegen das Amt für Migration und Flüchtlinge eingereicht, weil ihre Asylanträge dort seit über einem Jahr schmoren, sie also weder arbeiten noch ihre Familien nachholen können und zur Untätigkeit verdammt sind. Kein Einzelfall. Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos hörte
Karl-Dietrich Mäurer einen Flüchtling aus Uganda
, der geradezu inbrünstig darum bat, das Tempo der Integration zu erhöhen.
Die Flüchtlingszahlen werden so schnell nicht sinken, auch wenn die Österreicher jetzt Obergrenzen beschlossen haben und ihre Grenzen dichter machen wollen, wie auch immer. Statt für sich selbst zu sorgen, sind viele Flüchtlinge oft lange zu Unmündigkeit und Untätigkeit verdammt. Damit muss Schluss sein, fordert der Menschenrechtsaktivist Rupert Neudeck, und fordert auch von den Flüchtlingen, aktiver an ihrer eigenen Integration mitzuarbeiten. Herr Neudeck, guten Morgen!
Rupert Neudeck: Guten Morgen!
Billerbeck: Von der Versorgung der Flüchtlinge ist ja immer die Rede, und Hilfe tut ja auch Not, wenn Menschen, oft nach wochenlangen Märschen hier landen. Aber versorgen, das klingt ziemlich nach satt, warm und trocken, wie im Altenheim. Wie ließe sich das ändern?
"Diese Menschen haben etwas vor"
Neudeck: Das muss sich deshalb ändern, weil diese Menschen natürlich nicht nur als Notbedürftige zu uns kommen, sondern die haben etwas vor, die wollen sich betätigen. Die wollen möglichst einen Beruf lernen, wenn sie jung sind. Sie wollen möglichst schnell in den Arbeitsprozess, und deshalb muss man sie von vornherein in diese Gesellschaft hineinbringen, das heißt, man muss sie auch verpflichten, in den ersten Quartieren, in die sie hineinkommen, die Arbeiten zu tun, die dort notwendig sind, damit sie sich vorbereiten auch auf andere Arbeiten. Tätig sein ist für einen Flüchtling hierzulande das Allerwichtigste. Und das Schlimmste, was wir uns erlaubt haben in den letzten 30 Jahren, ist, dass wir die Mehrzahl, die Hunderttausende erst mal stillstellen, im Wortsinn. Die warten darauf, dass sie nach einem oder anderthalb Jahren eben einen Bescheid bekommen und sich dann bewegen können als Menschen, die auch in den Arbeitsprozess hineinkommen dürfen.
Billerbeck: Wie kann das ablaufen? Was können denn die Flüchtlinge selber tun, wenn sie in diesen ja oft Massenunterkünften zu Hunderten untergebracht sind mit teils ganz wildfremden Menschen?
Neudeck: Ganz viel können Sie tun, und ganz viel können auch die ehrenamtlichen Helfer dazu tun, denn die sind in der Lage, die Bindegewebe auch zur umliegenden Bevölkerung gleich zu schützen. Und wir müssen wegkommen von der Formel, die manchmal in Deutschland immer wieder hochrangig ist und die ich auch an den Blackboards der Heime sehe, wir müssen wegkommen von Angeboten. Der Deutschkurs ist kein Angebot, sondern es ist die größte und wichtigste Verpflichtung für einen Menschen, der hierher kommt, ganz gleich, ob aus Syrien, Afghanistan oder Uganda, der hierher kommt, um in diesen Prozess der Gesellschaft hineinzukommen. Es ist kein Angebot, sondern das ist die allerwichtigste Verpflichtung. Und wenn wir uns da ändern, und das muss auch die deutsche Gesellschaft, sich ändern, wir haben viel zu lange diesen Prozess mit Rührseligkeit begleitet. Das sind arme Menschen, die müssen wir zudecken mit Empathie, mit Caritas, mit milden Gaben. Das ist nicht so. Diese Menschen wollen gleich auf ersten Blick hin etwas tun, um in dieser Gesellschaft Mitglieder dieser Gesellschaft zu werden.
Billerbeck: Das heißt, man müsste sie also wirklich darauf verpflichten, auch Sprachkurse zu machen und sich auch in den Unterbringungsheimen aktiv einzubringen?
"Möglichst schnell die Sprache lernen"
Neudeck: Ja, das ist alles möglich, wenn man nicht nur fordert. Es gibt zum Beispiel in jeder Gemeinde private Kurse, es gibt Kurse, die von den Berufskollegs gemacht werden. Da sind manchmal die Klassen voll, aber es gibt sehr viel Bewegung darin. Ich erlebe das ja selbst, weil wir ja hier bei uns zu Hause einen jungen 16-jährigen Afghanen haben. Das ist alles möglich. Und diese jungen Menschen sind auch bereit und in der Lage und wollen auch unbedingt etwas möglichst schnell tun, möglichst schnell die Sprache lernen, damit sie möglichst schnell auf die normale Schule kommen, dass sie möglichst schnell das Abitur machen können, möglichst schnell vielleicht auch studieren können, wenn sie schon einen Beruf sonst haben.
Billerbeck: Gehört zu diesem Einbringen, das Sie fordern, auch das finanzielle Einbringen? Denn, wir haben es ja auch in den Nachrichten gemeldet, dass Flüchtlinge auch durchsucht werden nach Geld, Wertgegenständen und auch Schmuck, das sie abgeben müssen. Gehört das auch dazu, ist das auch Teil der Normalität?
Neudeck: Nein, das ist völliger Unsinn. Ich meine, ich verstehe wieder nicht, das ist aber typisch Bayern, –
Billerbeck: Und Baden-Württemberg ...
Neudeck: – mit Polizei hat das, was ich jetzt gemeint habe, überhaupt nichts zu tun. Wir sind viel zu stark unter Sicherheitshysterien. Das ist eine völlige Hilflosigkeit einer Politik, die der Bevölkerung mal zeigen will, was eine Harke ist. Das halte ich für den gröbsten Unsinn, den ich heute Morgen gehört habe.
Billerbeck: Die Kritik, dass die Flüchtlinge zu wenig tun, kommt ja auch von vielen Bürgern. Man könnte ja auch, wenn Flüchtlinge viel aktiver sein könnten und selber würden, auch populistischen Schreihälsen den Saft abdrehen, oder?
Anregen und beteiligen
Neudeck: Ja, man könnte ganz viel machen. Keine Großstadt ist auf die Idee gekommen, dass die Tausende – das sind ja ganz oft ganz junge Menschen, die sehr arbeitsfähig sind, die lernbegierig sind – da könnte man ja, weil gestern auch diese Nachrichten waren über den Wohnungsbedarf – warum baut man nicht in der Nähe einer großen Stadt oder einer großen Gemeinde nicht mal eine Siedlung, die von den Flüchtlingen selbst gebaut wird, wo man den Arbeitsprozess hat, wo man einen gegliederten Tag hat für diese jungen Menschen, wo die den Beruf lernen, wo sie die Sprache viel besser lernen als in jedem Kurs. Das wäre zum Beispiel eine Idee, auf die noch keiner gekommen ist. Aber ich denke, es sollte längst jetzt in die Diskussion geworfen werden, dass wir diese Menschen dazu anregen und beteiligen, dass sie sich selbst an dem ausagieren, was für sie demnächst wichtig ist, nämlich Unterkunft in Häusern, die sie selbst gebaut haben.
Billerbeck: Rupert Neudeck, der Menschenrechtler. Flüchtlinge sollen zur Mitarbeit verpflichtet werden. Ich danke Ihnen!
Neudeck: Ich danke auch!