Fotoausstellung "The Road Beyond"

Als noch Frieden war

06:01 Minuten
Jugendliche spielen auf einer Dorfstraße mit einem Ball.
Porträt eines Landes: Ruslan Hrushchak zeigt uns die Ukraine von ihrer alltäglichen, liebenswerten Seite. © Ruslan Hrushchak
Von Lotta Wieden · 31.05.2022
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Jugendliche spielen auf der Straße, ältere Frauen singen Volkslieder: Der ukrainische Fotograf Ruslan Hrushchak hat in den letzten Jahren Alltagsmomente in der Ukraine festgehalten. Seine Ausstellung in Berlin zeigt den Verlust, der durch den Krieg droht.
Die kleine Galerie „Buchkunst Berlin“ ist schon eine Stunde vor der Eröffnung proppenvoll. Menschen mit Sektgläsern quetschen sich an großformatigen Bildern vorbei. Man hört Englisch, Ukrainisch, Russisch, Deutsch – übertönt von 60er-Jahre-Pop aus Odessa und Lwiw. Ruslan Hrushchak – schlank, rotblondes Haar, Designerhemd – steht etwas schüchtern vor seinen Bildern, die eine große Wärme ausstrahlen und so etwas wie Leichtigkeit. Zumindest auf den ersten Blick: etwa das Porträt, direkt neben dem Eingang, aufgenommen 2013.

Über ihm ein großer Himmel

Ein Junge in roter Jacke und klobigen Gummistiefeln liegt mit geschlossenen Augen auf einer grünen Bergwiese. Über ihm ein großer Himmel – ein Bild voller Frieden, doch etwas irritiert: Der Junge, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, hat beide Arme fest um seinen Körper geschlungen, als suche er Schutz.
„Ich habe diese Bilder gemacht, nicht, weil ich sie anderen zeigen wollte, ich habe sie als Erinnerung für mich selber, für meine Familie und vor allem für meine Kinder gemacht, um das, was aus meiner Kindheit und Jugend in der Ukraine als Wertvolles in meinem Herzen geblieben ist, zu Papier zu bringen. Und das Konzept war ja eigentlich die Wege zu gehen, die ich kannte oder die ich immer schon gehen wollte.“
Ein junger Mann steht vor mehreren Fotos in einer Galerie.
Seine Bilder seien ihm vom Schicksal geschenkt worden, sagt der Fotograf Ruslan Hrushchak.© Ana Druga
Was mit Aufnahmen in der eigenen Familie beginnt, entwickelt sich über die Jahre zum Porträt eines Landes: Mit Menschen, die am Wochenende ihre Plattenbauwohnungen verlassen, um am Ufer des Dnepr fischen zu gehen, ein Schwätzchen zu halten. Ein Land mit Dorfstraßen, die zuweilen eher an Feldwege erinnern, wo Wäsche im Freien über einem Zaun zum Trocknen hängt, wo Frauen Gänse spazieren tragen – wie Babys oder Katzen, und ein junger Mann splitternackt auf einen Feldweg Handstand übt.
„Es ist so, dass viele der Fotos auch tatsächlich Glücksgriffe waren. Das sind Fotos, die mir vom Schicksal irgendwie geschenkt worden sind. Und eins von diesen Fotos ist dieses mit den zwei älteren Frauen.“
Entstanden in den Karpaten. Es zeigt zwei schmale, sehr alte Frauen mit bunten Kopftüchern still in einem Wohnzimmer sitzend. Beide schauen zum Fenster – als würden sie da draußen etwas Übernatürliches sehen.
Statt einfach drauf los zu fotografieren, hatte Ruslan Hrushchak die Leute im Dorf zuvor um eine Empfehlung gebeten: Sein Freund hier von der Uni in Lwiw und er selbst interessierten sich für alte Volkslieder, wer denn im Dorf noch viele alte Lieder kenne?

Schwebend in Erinnerungen

„Da wurde uns Nastia empfohlen. Wir haben davor noch Kekse gekauft für die Oma. Und da haben wir zwei Stunden zugehört, was sie da singt. Dazwischen habe ich gefragt, ob ich Fotos machen darf – durfte ich. Und dann sagte sie am Ende, nach zwei Stunden singen wohl gemerkt: Ich kenne nicht so viele Lieder, meine Schwester, die wohnt weit, weit weg, ich sehe sie so selten, die kennt viel, viel mehr Lieder als ich. Und da haben wir gesagt: Kein Problem, wo ist die Schwester? Wir fahren zu ihr!
Wir waren 20 Minuten unterwegs mit dem Auto – bis auf die andere Bergseite. Und die Frauen haben Lieder gesungen und ab und zu miteinander gestritten, wie das Lied denn tatsächlich endet. Erinnerst du denn nicht? Nein, nein, nein. Das ist anders … Das war der Moment, wo sie in Erinnerungen schwebend, wahrscheinlich aus ihrer Jugend, wo sie die Lieder zum ersten Mal zusammen gesungen haben, zum Fenster geschaut haben.“
Zwei ältere Frauen sitzen auf einem Sofa und schauen aus dem Fenster.
Ein Blick in die Vergangenheit oder doch eher ins Ungewisse? Zwei Schwestern im Dorf Pistyn in den Karpaten (2015).© Ruslan Hrushchak
Ruslan Hrushchak zeigt uns nicht das Fremde, den Unterschied zu unserem eigenen Leben, er schaut nicht – wie viele ausländische Fotografen – zuerst auf Obdachlosigkeit, Armut, Verfall oder Kriegsgräuel. Seine Plattenbausiedlung ist ein warmer, von Frühlingssonne beschienener Ort, in seiner ärmlichen Küche steht ein reich gedeckter Tisch, alte Menschen lächeln gütig oder auch verschmitzt. Dass die Bilder hin und wieder wehmütig stimmen, liegt an uns, den Betrachtern, weil wir etwas wissen – über den schwelenden Krieg im Osten – dass die Fotografierten noch nicht wissen konnten:
„Ich habe das Gefühl, dass dieser Krieg der am meisten dokumentierte Krieg in der Geschichte ist. So viele Bilder und Videos gab es wahrscheinlich von keinem anderen Krieg. Und die Menschen fragen sich, wie war es davor? Ich glaube, die Bilder dienen auch der Reflexion, darüber nachzudenken, wie das noch vor einer kurzen Zeit gewesen sein mag.“

"Wir werden alle noch davon profitieren"

Wodurch für uns, die Betrachter:innen, anderseits eine bessere Zukunft – rein bildlich –überhaupt erst wieder vorstellbar wird.
Dass seine Arbeiten nun fast pünktlich zum russischen Überfall fertig geworden und auch als Buch herausgekommen sind, ist für Hrushchak noch immer schwer zu ertragen, aber:
„Ich wünsche mir, dass die Menschen, die die Bilder anschauen, sehen, dass das freundliche, liebevolle Menschen in der Ukraine sind – und dass wir alle noch in Europa davon profitieren werden, dass es so etwas in der Ukraine gibt; Gastfreundlichkeit, Mut und diese Neugier zur Demokratie und den Prozessen dahinter.“

Die Ausstellung: “The Road Beyond“ ist noch bis zum 18. Juni in der Galerie „Buchkunst Berlin“ zu sehen. Am 8. Juni bietet die Galerie eine Onlineführung an.

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