Russische Anti-NGO-Strategie

Russland macht ernst mit dem "Agentengesetz"

Russland Präsident Wladimir Putin
Russland Präsident Wladimir Putin © picture alliance / dpa / Mikhail Metzel
Von Florian Kellermann |
2012 wurde in Russland das sogenannte Agentengesetz verabschiedet, das ausländische NGOs stärkerer Kontrolle unterzieht. Jetzt ist erstmals ein Strafverfahren eingeleitet worden: gegen die Organisation "Frauen des Don", die Menschen in Konfliktgebieten hilft.
Walentina Tscherewatenko leitet seit über 20 Jahren die Organisation "Frauen des Don" in Westrussland. Sie geht in Konfliktgebiete, wo sie unter anderem traumatisierten Bewohnern hilft. Bei einem der Projekte arbeiteten die "Frauen des Don" mit der Heinrich Böll-Stiftung zusammen - es ging um das Training von Zivilisten im Nordkaukasus.
Vor wenigen Tagen nun hat die russische Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Walentina Tscherewatenko eingeleitet - ihr drohen bis zu zwei Jahre Haft. Der Vorwurf: Sie habe es versäumt, ihre Organisation als "ausländischer Agent" zu registrieren. Mit diesem Strafverfahren wolle der Staat die Nicht-Regierungs-Organisationen im Land weiter einschüchtern, meint Ira Kosterina, Mitarbeiterin der Böll-Stiftung in Moskau:
"Die Behörden haben die Organisation als erstes Opfer des Gesetzes ausgewählt, um diesen Mechanismus einzuüben, mit dem sie künftig noch mehr Druck auf die Zivilgesellschaft ausüben wollen."

Die Organisation vermutet politische Gründe hinter dem Verfahren

Seit knapp vier Jahren müssen sich Nichtregierungsorganisationen in Russland als "ausländische Agenten" registrieren lassen, wenn sie Geld aus dem Ausland bekommen.
Die "Frauen des Don" hatten beantragt, aus dem Register gestrichen zu werden - zunächst erfolgreich. Wie andere Organisationen wollen sie nicht, dass sie dem Staat ihre Finanzen offenlegen müssen. Außerdem klingt der Begriff "Agent" auch im Russischen abwertend.
Ihre Organisation erhalte schon länger kein Geld mehr aus dem Ausland, sagt Walentina Tscherewatenko, die nun angeklagt werden soll. Das gemeinsame Projekt mit der Böll-Stiftung sei eine Kooperation gewesen. Walentina Tscherewatenko sieht sich von den Behörden schikaniert - aus politischen Gründen. I

Ein Blumenstrauß für die ukrainische Kampfpilotin Sawtschenko

hre Organisation hatte die in Russland verurteilte ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko im Gefängnis im Rostow besucht:
"Ich und meine Kollegen haben Sawtschenko täglich besucht - wir wollten sie dazu bringen, ihren Hungerstreik abzubrechen. Ich war auch am 8. März, dem Frauentag, bei ihr und habe ihr aus diesem Anlass drei Tulpen geschenkt."
Lokalpolitiker warfen ihr daraufhin vor, sie habe einer Mörderin einen Blumenstrauß überbracht. Die inzwischen begnadigte und in die Ukraine entlassene Sawtschenko war verurteilt worden, weil sie für den Tod von russischen Journalisten im Donezbecken verantwortlich sein soll.

Einige Organisation haben sich bereits aufgelöst

Doch auch schon vor den Ermittlungen gegen Walentina Tscherewatenko habe das sogenannte Agentengesetz die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen stark belastet, sagt Ira Kosterina von der Böll-Stiftung:
"Alle führenden Organisationen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, wurden verschiedenen Kontrollen unterzogen. Viele hat das Justizministerium zwangsweise in die Liste ausländischer Agenten aufgenommen. Deshalb verzichten jetzt einige von ihnen auf ausländische Finanzierung, und einige haben sich einfach aufgelöst."
Das Strafverfahren gegen Walentina Tscherewatenko ist nicht die einzige Maßnahme, durch die der russische Staat derzeit seine Macht gegenüber den Bürgern demonstriert und ausweitet. Das Parlament hat gerade ein Gesetzespaket verabschiedet, das der Terrorismusbekämpfung dienen soll. Es ermöglicht den Behörden, Telefongespräche und Internetkorrespondenz weit umfangreicher als bisher zu kontrollieren - und führt gleichzeitige ganz neue Straftatbestände ein.
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