Heldin oder Verräterin?
In Amsterdam startet die Leichtathletik-EM. Russische Athleten wurden wegen des Doping-Skandals ausgeschlossen. Nur Julia Stepanowa darf antreten. Sie hatte den Eklat ins Rollen gebracht - und steht nun unter Beobachtung.
Am Sonntag beging sie ihren 30. Geburtstag: die russische Sprinterin Julia Stepanowa. Einen ihrer ersten großen Erfolge errang sie mit Anfang zwanzig noch unter ihrem Mädchennamen Julia Rusanowa: Silber über ihre Lieblingsdistanz 800 Meter bei den russischen Junioren-Meisterschaften 2008. Danach wurde sie immer schneller. Internationale Platzierungen folgten, zum Beispiel Bronze bei der Halleneuropameisterschaft in Frankreich 2011. Doch diese und spätere Medaillen musste Stepanowa wieder abgeben. Denn Anfang 2013 wurde sie von russischen Behörden des Dopings überführt und für zwei Jahre gesperrt. Es war während der Sperre, als Stepanowa auspackte: 2014, nach den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi. Da gab sie dem ARD-Doping-Experten Hajo Seppelt ein Interview und berichtete von flächendeckendem Doping in der russischen Leichtathletik.
"Den Trainern wird es eingehämmert. Und die Trainer hämmern es den Athleten ein. Die Athleten denken deshalb gar nicht, wenn sie verbotene Präparate einnehmen, dass sie etwas Unrechtes tun."
Heimliche Filmaufnahmen
Stepanowa erzählte der ARD, dass sie Dopingmittel ganz unkompliziert in einer Apotheke bestellte. Und sie präsentierte brisante, heimlich gemachte Filmaufnahmen. Stets an ihrer Seite: ihr Mann Vitalij. Er arbeitete früher bei der umstrittenen russischen Antidoping-Agentur Rusada. Die beiden lernten sich ausgerechnet bei einem Antidoping-Seminar kennen.
"Während unseres ersten oder zweiten Gespräches hat sie mir ganz klar gesagt, dass alle Sportler in Russland dopen. Dass die Funktionäre und Trainer klar sagen, dass du mit deinen natürlichen Voraussetzungen nur so und so weit kommen kannst. Um Medaillen zu bekommen, brauchst du Hilfe. Und diese Hilfe – das ist Doping. Verbotene Substanzen."
In den russischen Medien wurde Stepanowa für diese Enthüllungen als "Verräterin" geschmäht. Die auflagenstarke Wochenzeitung "Argumenty i Fakty" schrieb, Julia Stepanowa sei sauer auf ihr Land, weil sie beim Doping erwischt worden sei, und führe mithilfe des deutschen Fernsehens einen Rachefeldzug. Ihr ehemaliger Trainer sagte der Nachrichtenagentur Tass, Stepanowa sei "krank im Kopf". Aus Angst um ihr Leben hat sich die Sportlerin mit Mann und dem kleinem Sohn vor zwei Jahren ins Ausland abgesetzt.
Geringe Medaillen-Chance
"Ich denke, wenn wir in Russland geblieben wären, wären wir nicht sicher. Ich gehe davon aus, dass es Menschen gibt, die sich an uns rächen wollen. Da denke ich vor allem an unser Wohl und unsere Gesundheit."
Bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Amsterdam tritt Julia Stepanowa nun unter der Flagge des Europäischen Leichtathletik-Verbandes an. Die Funktionäre wollten ein Zeichen setzen und die Russin für ihren Mut belohnen, Doping öffentlich gemacht zu haben. Ihre Chancen auf eine Medaille sind allerdings gering. Und während knapp siebzig russische Leichtathleten noch vor dem Internationalen Sportgerichtshof gegen ihren Ausschluss von den Olympischen Spielen klagen, hat der Internationale Leichtathletik-Verband Stepanowa auch ermöglicht, in Rio zu starten. Das stößt in Russland auf Unverständnis. Sportminister Vitalij Mutko bezeichnete es als absurd, wenn Stepanova, der seinerzeit Doping nachgewiesen wurde, dabei sein dürfe, saubere russische Leichtathleten hingegen nicht. Der Vorsitzende des Sportausschusses der Duma nannte die Starterlaubnis für Stepanowa ein "Unding".