Boykott russischer Filme
Die Solidarität mit der Ukraine ist groß, doch wann kippt ein Boykott russischer Künstler in Russophobie? © picture alliance / NurPhoto | Beata Zawrzel
Der schwierige Spagat europäischer Filmfestivals
05:41 Minuten
Seit dem Krieg in der Ukraine werden russische Künstler gemieden. Auch Filmfestivals nehmen russische Filme aus dem Programm. Die Verantwortlichen überlegen sich diesen Schritt genau. Keineswegs soll es in Richtung Russophobie gehen. Doch geht das auf?
Mitya und Andrey geben sich Halt. Die Zwillinge quälen sich durch die Pilotenausbildung in der Armee, aber nun treffen sie eine Entscheidung. Das russische Drama „Brother in Every Inch“ lässt eine pazifistische Haltung anklingen, in der fast eine Ahnung vom kommenden Kriegsunheil durchscheint. Der Film lief im Februar auf der Berlinale. Ob man ihn jetzt noch zeigen würde?
Einige europäische Filmfestivals boykottieren inzwischen russische Filme. Der Leiter des Filmfestivals von Vilnius, Algirdas Ramaska, sagt, man habe als erstes Festival in Litauen russische Filme aus dem Programm genommen. Die Entscheidung sei zwar sehr radikal, aber in einer Zeit, in der russische Bomben Kinder töten, könne man nicht russische Filmkunst zelebrieren.
Eigentlich dem Dialog verpflichtet
Der Programmdirektor des Filmfestivals für den osteuropäischen Film in Cottbus, Bernd Buder, hingegen würde russische Filme einladen:
„Wir haben Kontakt mit vielen russischen Filmschaffenden, die sich gegen Putin positioniert haben. Ich sehe auch das Problem vieler ukrainischer Filmemacher: Sie sitzen im Bombenhagel, während die russischen Filmemacher es relativ bequem haben, weil sie nicht auf dem Kriegsschauplatz sitzen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ein Filmfestival, gerade eines wie das Filmfestival Cottbus, dem Dialog verpflichtet ist. Es ist doch interessant, auch russische Filmemacher zu Wort kommen zu lassen, die sich gegen den Krieg positionieren.“
Aber auch Buder will den russischen Film derzeit nicht feiern:
„Ich hätte auch Schwierigkeiten, wenn wir einen russischen Film im Wettbewerb hätten, der sich nicht mit dem Krieg beschäftigt und der dann den ersten Preis gewinnen würde. So etwas sollte man im Moment vermeiden. Das würde wirklich nicht nur den Film und dessen Macher feiern, sondern auch das Land, in dem er entstanden ist. Da gehe ich d’accord mit dem Leiter des Vilnius-Filmfestivals, dass man das nicht machen kann.“
Erfahrungen mit heiklen Begegnungen
Auch Sabine Gebetsroither, die Co-Leiterin des Crossing Europe Filmfestivals in Linz, findet einen generellen Boykott falsch. Wenn ukrainische Filmschaffende in dieser Situation allerdings auf einem Festival keinen russischen Kollegen begegnen wollten, habe sie vollstes Verständnis. In Linz hat man Erfahrungen mit heiklen Begegnungen:
„Zu Beginn des Festivals in Nullerjahren war der Balkankrieg noch sehr nahe. Da hatten wir zum Beispiel die Situation, dass es schon ein bisschen schwierig war, wenn Leute aus dem Kosovo und serbische Gäste da waren. Da muss man sich dann vorher überlegen, ob das zumutbar ist. Aber im besten aller Fälle war es dann eigentlich so, dass sie sich über die Filme dann doch nähergekommen sind.“
Kein genereller Boykott russischer Filme
Aber das war nach dem Krieg. Die heikle Frage, was passiert, wenn sich aktuell auf Festivals ukrainische und russische Filmschaffende begegnen, beschäftigt auch Heleen Gerritsen, Leiterin des Festivals für den mittel- und osteuropäischen Film, goEast, in Wiesbaden. Für das Festival im April hat sie russische Filme eingeladen:
„Wir informieren die ukrainischen Filmemacher natürlich darüber, dass wir russische Filme zeigen. Es gab auch schon Anfragen, ob wir tatsächlich Russen einladen. Da haben wir unsere Position erklärt. Wir sind absolut solidarisch mit den Menschen in der Ukraine. Das sollte jetzt auch absolut im Vordergrund stehen.“
Generell russische Filme auszuladen, käme für Gerritsen nicht in Frage, nicht nur, weil das, findet sie, in Richtung Russophobie gehen würde:
„Es gibt zum Beispiel in Russland eine sehr interessante Entwicklung, sich mit der Kolonialvergangenheit auseinanderzusetzen. Da gibt es seit einigen Jahren auch Filmemacherinnen, ethnisch gesehen sind das zwar keine Russen, sondern sie kommen zum Beispiel aus Jakutien oder Sibirien. Da gibt es eine unabhängige Bewegung, in der neue, spannende Filme entstehen. So etwas jetzt zu boykottieren, fände ich in einem deutschen Kontext unverständlich.“
"Seit 2014 auf der Seite der Ukraine“
Welche Filme man einlädt, überlegt die Festivalleiterin sehr genau – nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine, sondern bereits seit der Krim-Annexion:
„Seit 2014 sind bei goEast keine offiziellen russischen Delegationen willkommen. Das heißt, Organisationen wie Russkino oder Delegationen vom Kulturministerium aus Russland werden nicht eingeladen. Seit 2014 sind wir dezidiert auf der Seite der Ukraine.“
Ein Filmemacher kämpft als Soldat
Im Virtual-Reality-Bereich des Festivals gibt es dieses Jahr ein Ukraine-Special. Gezeigt wird unter anderem ein Dokumentationsprojekt über die Maidan-Revolution 2014.
Regisseur Alexey Furman, der vor vier Jahren dank eines Stipendiums einen Uniabschluss in den USA machen konnte, wird sein Projekt wohl nicht präsentieren können – er kämpft als Soldat in der Ukraine.
Gerade auf den Festivals zeigt sich sehr direkt, dass die Frage nach einem Boykott im Kriegszustand zu komplex ist, um sie mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten.