Russische Leidenschaften

Was macht die Literatur mit dem Leben und wie wirkt das Leben auf die Literatur? Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Elif Batuman erzählt klug und mitreißend von ihrem "Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern".
Eigentlich will sie Schriftstellerin werden - die begabte amerikanische Studentin mit den türkischen Wurzeln entscheidet sich dann aber doch für eine literaturwissenschaftliche Promotion. Den Ausschlag für diese Entscheidung gibt der Besuch in einer Künstlerkolonie: "Die Schriftsteller – in karierten Hemden, Brillen mit Plastikfassung auf der Nase – fand ich in einem Wohnwagen um einen Heizlüfter geschart. Der Kursleiter, ein zersauster Provinzautor mit grauen Augen und romantischer Anmutung, war erstaunlich nett zu mir, wenn man bedenkt, dass ich nur die einundzwanzigjährige Verfasserin einer in der ersten Person geschrieben Hundestory war."

Hier verliert sie die Illusionen über kreatives Schreiben und den Sinn von Schriftsteller-Workshops, in denen das Schreiben vor allem als Handwerk betrachtet wird. Sie begreift Literatur stattdessen als Berufung, "als Kunst, als Wissenschaft". Fortan widmet sich Eilf Batuman der Literaturwissenschaft und dem Lesen – vor allem russischer Literatur. Sie beschäftigt sich intensiv mit Isaac Babel und kommt dabei auf verblüffende Verbindungen zum Film "King Kong"; sie vermutet, Tolstoi sei umgebracht worden und trägt ihre Forschungsansätze auf einer internationalen Tagung auf Tolstois Gut Jasnaja Poljana vor. Dass sie das in Flip Flops und dem immer gleichen T-Shirt tut, wird ihr von den anderen Teilnehmern als Tribut an den verehrten Dichter ausgelegt, dabei ist nur ihr Koffer auf dem Flug verloren gegangen.

Batuman ist eine kenntnisreiche und leidenschaftliche Leserin, die Dostojewskis Roman "Böse Geister" ebenso klug zusammenfasst wie sie anhand von Tolstois "Anna Karenina" und Tschechows "Die Dame mit dem Hündchen" über die literarische Bedeutung von Namen referiert. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass zeitgenössische amerikanische Short-Story-Autoren gar nicht wissen, was sie tun, wenn sie ihren Helden Namen geben.

Es geht in diesen Essays einer entschieden Literaturbesessenen um Geld und Liebe, usbekische Literatur, die Schwierigkeiten beim Russischlernen, die vergnügungssüchtige Zarin Anna und das heutige Sankt Petersburg. Elif Batuman erzählt wunderbar anschaulich von ihren vielfältigen Studienreisen, den realen und den literarischen. Einen entscheidenden Unterschied macht sie dabei nicht.

Besprochen von Manuela Reichart

Elif Batuman: Die Besessenen, Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern
Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann
Verlag Kein & Aber, Zürich 2011
367 Seiten, 22,90 Euro