Russische Talkshow

Verschwörungstheorien zur Primetime

Protestmarsch zum Gedenken an den ermordeten Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau am Sonntag.
Protestmarsch zum Gedenken an den ermordeten Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau am Sonntag © imago/Xinhua
Von Gesine Dornblüth |
Bei einer Sondersendung im russischen Fernsehen zum Mord an Boris Nemzow hatten die Teilnehmer der Talkrunde flugs ein paar Theorien parat, was oder wer hinter dem Mord steckte: wahlweise die USA oder die Kremlgegner selber. Das böse Wort vom "Sakralmord" machte die Runde.
Sondersendung im russischen Staatsfernsehen. Der "Abend mit Wladimir Solowjow" widmet sich dem Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Im Studio sind führende Politiker der vier in der Duma vertretenen Parteien. Alle betonen, sie hätten nie Nemzows politische Positionen geteilt, aber er sei immerhin dialogbereit gewesen. Auch der Staranwalt Genri Reznik ist da. Er ist bekannt für seine Unabhängigkeit und wagt zu Beginn der Sendung Kritik am Präsidenten:
"Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinerlei Anlass, irgendwelche grundsätzlichen Aussagen über die Tat zu machen. Und da muss ich unserem Präsidenten, Wladimir Wladimirowitsch Putin, Vorwürfe machen. Er hat wenige Minuten nach dem Mord erklärt, dass dieses Verbrechen ausschließlich eine Provokation sei. Man muss die Psychologie unserer Rechtsorgane verstehen. So eine Erklärung des Staatsoberhauptes führt dazu, dass sie Bestätigungen dessen suchen, was der Präsident gesagt hat. Und genau das passiert: Die Ermittler verfolgen jetzt zuallererst die Version einer Destabilisierung des Landes."
Die USA im Visier
Rezniks Plädoyer für Unvoreingenommenheit bleibt nicht lange unwidersprochen. Kommunistenchef Gennadij Zjuganow meldet sich zu Wort:
"Man muss bei den Ermittlungen doch von der einfachen Frage aus gehen: Wem nützt das Verbrechen? Dem Kreml nicht. Der Opposition nicht. Der regierenden Partei auch nicht. Es nützt denen, die das Bombardement Jugoslawiens organisiert haben, die die Kriege im Nahen Osten und den Maidan entfacht haben."
Mit anderen Worten: Amerika stecke hinter dem Mord an Nemzow. Keiner der Politiker im Studio widerspricht. Vjatscheslav Nikonov, Abgeordneter der Regierungspartei Einiges Russland und Leiter der Stiftung "Russische Welt", legt nach:
"Es gibt doch Dutzende Fälle von Operationen für einen Regimewechsel. Sie sind detailliert beschrieben, und fast immer haben Sakralmorde die farbigen Revolutionen begleitet. In Jugoslawien, in Georgien, in der Ukraine. Diese Morde gehören zur Technologie der Regimewechsel."
Die Hypothese vom "Sakralmord"
Ein Sakralmord. Auch der Sprecher der Ermittlungsbehörde erwähnte dies am Sonnabend. Er sagte, möglicherweise solle Boris Nemzow zu einem "sakralen Opfer" gemacht werden. Auch der Begriff geht zurück auf Wladimir Putin. Er benutzte ihn vor drei Jahren, kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten, in einer öffentlichen Diskussion. Damals sprach Putin über die Menschen, die gegen den Kreml protestierten, und sagte:
"Diese Leute wollen Zusammenstöße. Sie sind bereit, sogar ein Opfer zu bringen und dann den Machthabern die Schuld zu geben. Vor allem die, die im Ausland sitzen. Ich weiß das. Sie suchen sogar ein sogenanntes sakrales Opfer unter den bekannten Leuten. Sie knallen sie selbst ab und geben dann den Machthabern die Schuld."
Diese Theorie wurde am Sonnabend auch massenhaft über Twitter verbreitet. Computergenerierte Accounts verschickten zeit- und wortgleich einen russischen Text mit dem Hashtag "Sakrales Opfer". Er lautete: "Allen Vaterlandsverrätern als Lektion: Euren Herren ist euer Leben nichts wert."
In der Talkshow folgen dann noch weitere Verschwörungstheorien. Nemzows Begleiterin, eine Ukrainerin, habe den Oppositionspolitiker absichtlich nachts auf die Brücke geführt – sicher nicht zufällig, warum habe er auch keine Freundin aus Sibirien? Und der Abgeordnete Sergej Scheleznjak von Einiges Russland meint:
"Die Auftraggeber des Mordes an Nemzow hatten die Aufgabe, die friedliche und zivilisierte Innen- und Außenpolitik Russlands zu zerstören. Sie sollten uns als Barbaren zeigen, als Feinde, die einen Dialog nicht wert sind."
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