Putin stellt Kadyrow Blankoscheck aus
Unter Ramsan Kadyrow wurde die Teilrepublik Tschetschenien ein Staat im Staat: Er regiert mit offener Gewalt und Einschüchterung. Dafür hat Wladimir Putin den Präsidenten nun mit der Verlängerung seiner Amtszeit geehrt.
"Was soll ich sagen, kommen Sie, sehen Sie, was hier los ist."
Die tschetschenische Schuldirektorin Marina Gasijewa bittet Ramsan Kadyrow in die Aula. Ein Auftritt für das tschetschenische Staatsfernsehen, das den Präsidenten als Landesvater zeigt, der sich kümmert. Kadyrow liest vor laufender Kamera den Hilferuf, der ihn angeblich ereilt hat, laut vor.
"Sie haben gesagt, wir können uns an Sie wenden wenn etwas nicht in Ordnung ist."
Liest er nicht mehr Tschetschenisch, sondern Russisch von seinem Smartphon ab.
"Leider haben wir bis heute keine Möbel für den Speisesaal. Wenn Sie zu Besuch kommen, werden immer Möbel von woanders hergebracht. Die Kinder können sich zum Essen nicht einmal hinsetzen. Wir entschuldigen uns, dass wir Sie damit behelligen."
"Kadyrow rächt sich persönlich für Kritik"
Energisch begibt sich Ramsan Kadyrow in die fast leere Schulmensa, in der kaum ein Tisch steht. Er nimmt sich des Problems an. So harmlos wie dieser Auftritt sind die allerwenigsten. Dutzende Videos kursieren im Netz, die zeigen, wie Erwachsene, Beamte, Polizisten, Frauen mit gesenkten Köpfen seine Moralpredigten, Schimpftiraden über sich ergehen lassen – immer vor laufender Kamera.
Ilja Jaschin, Oppositionspolitiker der Partei Parnas, erklärt, dass Kadyrow auch vor Schülern nicht Halt macht:
"Kadyrow bemerkt alles, er rächt sich persönlich für Kritik. Das tschetschenische Fernsehen zeigte einen Jugendlichen mit heruntergelassenen Hosen, der sich vor der Kamera öffentlich bei Kadyrow entschuldigte, für die Kritik, die er an ihm per Facebook geübt hatte."
Folter, Morde an Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa, Boris Nemzow, der Überfall auf eine Gruppe ausländischer Journalisten und Menschenrechtler vom Antifolterkomitee erst im März, bei dem alle Insassen eines Busses geschlagen und das Fahrzeug abgefackelt wurde – vor allem solche Schreckensmeldungen verbindet man heute mit der Kaukasusrepublik, die Moskau mit zwei Kriegen zum Verbleib in der russischen Föderation gezwungen hat.
Putin appelliert an die Wähler
Unter Ramsan Kadyrow wurde die Teilrepublik ein Staat im Staat, der Mann, der mit 29 erst Premier, dann Präsident wurde, ist offenbar unantastbar und vom russischen Präsidenten hoch geschätzt. Statt die Gesetzesbrüche zu ahnden, hält Wladimir Putin an Kadyrow fest. Und adelt ihn:
"Am 5. April läuft Ihre Amtszeit aus, ausgehend davon, was in den letzten Jahren für die Tschetschenen und Ihre Republik getan wurde, habe ich heute den Ukas unterschrieben, Sie zum amtierenden Präsidenten bis zu den Wahlen im September zu ernennen und ich hoffe, dass die Bürger bei diesen Wahlen zu schätzen wissen werden, was Sie für die Republik getan haben."
Kadyrow hat auf den Empfang im Kreml warten müssen, nun rasselt er seine Erfolgsbilanz herunter.
"Im Jahr 2007 wurden 157 Sicherheitsbeamte überfallen und 56 getötet. 2015 ist kein Beamter bei einem Überfall getötet worden. Die Arbeitslosigkeit betrug 2007 76 Prozent, heute 12,1 Prozent."
Putin hat Kadyrow nur scheinbar auf die Folter gespannt mit der Verlängerung der Amtszeit, ist der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin überzeugt:
"Die Entscheidung stand seit langem fest. Dass er sie nicht verkündet hat, erklärt sich mit Putins Unzufriedenheit über Kadyrow. Es ist bekannt, dass er mit Kadyrow nicht zufrieden ist, aber Putin ist zur Geisel Kadyrows geworden. Tschetschenien ist ein Staat im Staat. Kadyrow verletzt demonstrativ Gesetze, droht Richtern, staatlichen Sicherheitskräften. Aber Putin hat das zugelassen und weiß nun nicht, wie er das Problem lösen soll."
Angst vor neuen Massenprotesten
Dass sich Putin für die Wiederwahl Kadyrows einsetze, mache seine jüngsten Bemühungen zunichte, das Image der Wahlen zu verbessern. Putin hat Ella Pamfilowa, die Menschenrechtsbeauftragte, zur neuen Leiterin der zentralen Wahlkommission ernannt. Im Kreml hat man Angst vor neuen Massenprotesten nach der Dumawahl kommenden Herbst.
Die Erinnerungen an die Wahlfälschungen 2011 sind noch wach. Ilja Jaschins Partei Parnas will bei der Parlamentswahl antreten und hat sich den Rücktritt von Kadyrow ins Programm geschrieben.
"Wir sind die einzige Partei, die für den Rücktritt Kadyrows eintritt und Ermittlungen gegen ihn und seine Leute fordert. Keine andere Partei in Russland nimmt sich dieses Themas an, alle haben Angst darüber zu reden."
Seitdem leben Jaschin und seine Mitstreiter in Gefahr:
"Ich, Nawalny, Kassjanow und meine anderen Kollegen bekommen jeden Tag per Internet oder Telefon Drohungen. Nur: die Mörder von Boris Nemzow haben nicht gedroht oder nachts angerufen, sie kamen ohne Vorwarnung. Was uns viel mehr beunruhigt sind die Tschetschenen innerhalb der Moskauer Polizei. Das sind nicht einfach tschetschenische Polizisten, das ist die Polizei der Tschetschenen. Sie beobachtet jetzt Michail Kassjanow. Wie wir aus den Nemzow-Ermittlungen wissen, wurde er am Vorabend des Mordes von dieser Tschetschenen-Polizei beobachtet und sie war auch in den Mord verwickelt."
Der junge Politologe will sich nicht einschüchtern lassen, doch bei jedem Türklingeln in der Parteizentrale lässt er den Bildschirm der Überwachungskamera nicht aus den Augen. Jaschins Ziel ist, dass sich immer mehr Menschen trauen, Kadyrow zu kritisieren, denn Tausende oder Zehntausende könne der nicht mehr einschüchtern, geschweige denn allen die Hosen runterziehen.