"Putin weiß, wie er uns treffen kann"
Unser östlicher Nachbar verkauft besonders viele Lebensmittel nach Russland. Die Gegensanktionen als Reaktion auf die eingeschränkten Handelsbeziehungen der EU treffen Polen darum besonders hart. Das Land hofft nun auf Ausfallentschädigungen.
Polen erlebte ein Déjà-vu. 2006 und 2007 boykottierte Russland bereits den Import polnischer Waren, doch dieses Mal schmerzt das Einfuhrverbot besonders. Erstens weil Polen inzwischen drei Mal mehr Äpfel, Kohl und Milchprodukte nach Russland verkauft, insgesamt für über 1,3 Milliarden Euro. Zweitens weil sich dieses Mal der Lieferstopp nicht gegen Warschau allein, sondern gegen eine Reihe von EU-Ländern richtet, erklärt Andrzej Gantner, Generaldirektor des polnischen Lebensmittelproduzentenverbandes.
"Putin weiß, wie er uns treffen kann. Wir sind in einer ganz anderen, viel schlimmeren Situation, als damals, als die Sanktionen nur gegen uns gerichtet waren."
Kostenloses Verteilen von Obst und Gemüse
Wer meint, geteiltes Leid sei halbes Leid, liegt in diesem Fall falsch, denn wenn gleich mehrere EU-Länder ihre Ware nicht nach Russland liefern können, bleiben alle auf zu großen Obsthalden und Fleischbergen sitzen. Da können die Polen noch so viele Äpfel essen gegen Putin und die Niederländer Birnen schnurpsen.
Der Überproduktion kommt man selbst mit dem kostenlosen Verteilen von Obst und Gemüse nicht bei, ganz gleich wie patriotisch derartige Aktionen gemeint sind. Polens Landwirtschaftsminister Sawicki appelliert an alle EU-Partner, die noch nicht von dem russischen Boykott betroffen sind, auszuführen was immer sie können.
"Wir haben einen gemeinsamen europäischen Markt. Wenn Portugal, Spanien oder Holland etwas nach Russland verkaufen, kann Polen nach Portugal, Spanien oder Holland liefern, das polnische Produkt hat dann größere Chancen."
Auswirkungen der russischen Gegensanktionen
Die Ernte hat begonnen, ohne dass man weiß, wohin mit dem Obst. 700.000 Tonnen Äpfel wollten die Polen dem russischen Nachbarn liefern und sind nun ratlos, wohin damit.
Wenn heute in Brüssel über die Auswirkungen der russischen Gegensanktionen beraten, wird noch keine Entscheidung über Ausfallentschädigungen erwartet. Die soll frühestens im September kommen. Für Andrzej Gantner vom polnischen Lebensmittelproduzentenverband gibt es nur eine Lösung.
"Wenn die EU die Verluste nicht ausgleichen und die totale Katastrophe in der Landwirtschaft nicht verhindern kann, muss sie erlauben, was sie normalerweise nicht gestattet: dass nämlich die Unterstützung für die Bauen und Produzenen aus den Staatshaushalten der einzelnen Länder kommt. Das ist wohl die einzige Lösung der Situation."
"Unseren Platz auf dem russischen Markt einnehmen"
Polens Landwirtschaftsminister Marek Sawicki hofft, dass die EU-Länder, die noch Waren nach Russland verkaufen können, dies auch tun, denn ein allgemeiner Lieferstopp nach Russland schade vor allem den EU-Ländern selbst.
"Wir sollten auf gar keinen Fall zu einem vollkommenen Exportverbot aller Lebensmittel für den russischen Markt aufrufen. Die Ukraine-Krise kann man nicht damit bewältigen, indem man Russland aushungert. Denn wenn nicht Europa diese Produkte nach Russland verkauft, machen das China, Brasilien, Argentinien. Es gibt viele Exportländer, die gern unseren Platz auf dem russischen Markt einnehmen würden."
Ausgerechnet Weißrussland hat sich als Retter ins Gespräch gebracht, Interesse an EU-Waren angemeldet, die möglicherweise umetikettiert an Russland weiterverkauft werden sollen.
Auch Kasachstan als weiteres Mitglied der von Russland gegründeten eurasischen Zollunion, erwog dies offenbar. Doch derartige Einfuhren über solche Umwege hat sich der russische Präsident Putin gestern im Telefonat mit seinen Amtskollegen Lukaschenko und Nasarbajew in Minsk bzw. Astana deutlich verbeten. Weißrussland und Kasachstan dürfen allerdings dann Lebensmitteln an Russland verkaufen, wenn sie europäische Grundstoffe verarbeitet haben, also etwa aus polnischen Äpfeln den Saft herausgepresst haben.