"Es gibt keine Bedrohung aus Russland"
In Polen haben 24 NATO-Partner eine der größten Militär-Übungen im letzten Vierteljahrhundert gestartet. Der Gesandte der Russischen Botschaft in Berlin, Oleg Krasnitskiy, zeigt sich beunruhigt anlässlich des Manövers. Dies beinhalte ein "großes destabilisierendes Potenzial".
Korbinian Frenzel: Es ist offiziell kein NATO-Manöver, aber die Bundeswehr, die US-Armee und 22 weitere NATO-Staaten sind mit Truppen beteiligt, bei der Militärübung "Anakonda" in Polen. Heute beginnt sie. Insgesamt werden über 31.000 Soldaten zusammenkommen und alleine diese Dimension macht klar - das ist kein Routine-Termin. Und wenn man das ergänzen will: Die Geografie spricht auch ihre Sprache. So weit im Osten des Bündnisses. Stichwort: Russland. Wie wird das Manöver dort wahrgenommen? Ich habe darüber mit dem Gesandte der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, mit Oleg Krasnitskiy gesprochen. Und meine erste Frage war: Ist das Manöver für Russland eine Provokation?
Oleg Krasnitskiy: Das würde ich nicht so direkt sagen, aber das ist schon ein beunruhigendes Zeichen, weil die Zahl der Manöver im Osten, das heißt an der Grenze Russlands in letzter Zeit sich dramatisch erhöht hat. Es werden auch Manöver abgehalten nicht nur in Polen, sondern auch im Baltikum, und zwar zeitgleich, und das beinhaltet schon ein großes destabilisierendes Potenzial.
Frenzel: Nun könnte man sagen, von russischer Seite sind es nicht nur Manöver, sondern wirkliche Aktionen, die stattgefunden haben, Stichwort Annexion der Krim, Stichwort Ostukraine, die dazu führen. Was entgegnen Sie?
Krasnitskiy: Das würde ich nicht so einschätzen. Es gab erstens keine Annexion, sondern es gab ein Referendum, und es gab dann die Bitte der Krim, die sich losgesagt hat von der Ukraine, an Russland sich anzuschließen. Dieser Bitte wurde zugestimmt. Was die Stabilisierung der Ukraine anbetrifft, so gibt es auch solche Sachen dort wie den Putsch in Kiew und die Folgen in der Form der Proteste im Osten der Ukraine.
Frenzel: Herr Krasnitskiy, die Erzählung, wie Sie sie darbieten, ist eine russische Perspektive. Nun könnte man im Baltikum und auch in Polen die Sorge haben, dass Sie möglicherweise mit Entwicklungen in diesen Ländern ganz ähnliche Interpretationen an den Tag legen. Können Sie diesen Ländern garantieren, die Integrität der Grenzen ist nicht antastbar?
Krasnitskiy: Ja, das ist auch vertraglich geregelt. Es gibt keine Bedrohung für diese Länder aus Russland.
Frenzel: Warum hadert Russland so sehr mit der NATO? Warum wollen Sie nicht den Pfad fortsetzen, der ja unter Präsident Jelzin begonnen wurde, Russland als Partner des Westens zu begreifen?
Krasnitskiy: Das hat Russland immer versucht. Und die Antwort auf unsere Vorschläge, also ein kollektives System, ein kollektives Sicherheitssystem in Europa zu entwickeln, war immer die NATO-Erweiterung. Wir haben sie gewarnt, dass die Erweiterungsrunden der NATO destabilisierend wirken werden auf die europäische Sicherheit.
Frenzel: Aber die NATO-Erweiterung hat ja stattgefunden, nicht weil sich das jemand in Brüssel oder Washington ausgedacht hat, sondern weil die Länder in die NATO wollten, Polen und die anderen mittel- und osteuropäischen Länder. Das ist doch ein legitimer politischer Wunsch, wenn Länder sich dazu frei entscheiden.
Krasnitskiy: Ja, der NATO-Russland-Rat wurde dafür geschaffen, dass man eine Sicherheitspartnerschaft zwischen der NATO und Russland entwickelt. Und die NATO und Russland bleiben die wichtigsten Faktoren für die Sicherheit im europäischen Rahmen, im großen euroatlantischen Raum. Deswegen muss man den Ausgleich finden, also Vereinbarungen treffen über die kollektive Sicherheit. Leider hat die NATO dann eine andere Wahl getroffen. Wie gesagt, man kann zu diesen Vorschlägen zurückkommen auch, die Russland gemacht hat, und wir hoffen, dass die jetzige Spannungszeit, die durch die Ukrainekrise zustande gekommen ist, dass wir zu diesem ausgewogenen Dialog irgendwann zurückkehren, und zwar ohne Vorbedingungen.
Frenzel: Dann schauen wir mal nach vorn: Wie stehen denn die Chancen, dass in absehbarer Zeit, wenn möglich noch vor dem NATO-Gipfel der NATO-Russland-Rat wieder tagt, so wie es Angela Merkel ja auch vorgeschlagen hat?
Krasnitskiy: Da stehen die Chancen – ich weiß nicht, ob 50/50 oder weniger Prozent. Im Übrigen war es nicht Russland, das diesen Rat ausgesetzt hat. Und leider wird der NATO-Russland-Rat immer wieder ausgesetzt, wo es zu Krisensituationen kommt. Das war im Fall von Georgien 2008, es war auch im Fall des Jugoslawien-Krieges oder Kosovo-Krieges der Fall im Jahr 1999. Wie gesagt, hier sehen wir eine Inkonsequenz in der Position der NATO. Wenn jetzt Beschlüsse gefasst werden müssen über die Vermeidung der Inzidente – das sind alles Sachen, die man vor 2014 hatte –, dann muss die NATO sich bereiterklären, die Arbeit des NATO-Russland-Rates wieder aufzunehmen.
Frenzel: Es klingt alles so, als müsste sich nur die NATO bewegen. Müsste sich auch Russland bewegen?
Krasnitskiy: Russland bewegt sich und bleibt flexibel. Wir wollen nicht eine Konfrontation mit der NATO, sondern die Zusammenarbeit, Partnerschaft mit der NATO.
Frenzel: Was bieten Sie dafür an?
Krasnitskiy: Wir bieten die Verständigung. Das heißt, es muss aufgrund auch der Vereinbarungen über die Ukraine weiterentwickelt werden, das heißt, das Minsker Abkommen muss realisiert werden, und zwar nicht von Russland, sondern auch von Kiew.
Frenzel: Herr Krasnitskiy, ich habe anfangs gesagt, dass es viel Kritik gibt an dem Manöver in Polen, viel Kritik innerhalb der öffentlichen Meinung der beteiligten Länder, also auch in Deutschland Parteien, auch Journalisten, die das offen kritisieren. Wenn Sie mich fragen, ich halte es auch für einen Fehler. Und ich kann das, wie alle anderen, offen und öffentlich sagen. Fehlt Russland diese demokratische Offenheit im Inneren? Ist auch das ein Problem im Verhältnis Russland, NATO und Westen?
Krasnitskiy: Das sehe ich nicht so. Unsere Position ist ziemlich transparent und wird immer wieder verkündet. Die Tatsache ist aber, dass nicht alle Nachrichten aus Russland hier gut ankommen erstens, und zweitens richtig interpretiert werden. Man muss mehr Zeit verbringen im beiderseitigen Dialog. Und dann wird auch die Presse darüber positiver berichten.
Frenzel: Den Dialog haben wir auf jeden Fall probiert, auch wenn vielleicht die Erzählung der verschiedenen Dinge noch nicht gleich gemeinsam hier funktioniert haben. Der Gesandte der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, Oleg Krasnitskiy. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Krasnitskiy: Vielen herzlichen Dank, Herr Frenzel!
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