Leonid Luks: Die Rückkehr des Imperiums? Der neue Moskauer Paternalismus und seine Widersacher. Essays
LIT Verlag Münster, April 2015
144 Seiten, 24,90 Euro.
Die Rückkehr eines Imperiums
Beobachten wir gerade die Rückkehr des russischen Imperiums? Diese Frage treibt derzeit viele Menschen um. Auch Leonid Luks, emeritierter Professor für Osteuropageschichte an der Katholischen Universität Eichstädt. Mithilfe seiner Expertise liefert er interessante Einblicke.
"Die Rückkehr des Imperiums? - Der neue Moskauer Paternalismus und seine Widersacher" versammelt 20 Beiträge des Autors auf 140 Seiten: Analysen und Kommentare, die Luks bis auf wenige Ausnahmen vor allem 2014 im Debattenmagazin "The European" veröffentlicht hat.
Einschätzungen sind schwierig, wenn sich die Ereignisse überschlagen
Die Themen reichen vom Zusammenbruch der Demokratiebestrebungen in den 90er Jahren, über die ideologischen Hintergründe des russischen Nationalismus bis zur Frage, ob Russland überhaupt eine Chance hat, demokratisch zu werden.
Natürlich ist es in einer Zeit, in der sich die Ereignisse oft überschlagen, schwierig, Einschätzungen aus dem letzten Jahr zu veröffentlichen, und es ist oft auch unbefriedigend, sie zu lesen. Denn die Realität hat sie mittlerweile überholt.
Leonid Luks sichert sich ab, indem er bereits in der Einleitung darauf hinweist, dass es sich bei den Texten "nur um Essays und Skizzen" handele, "die keinen Anspruch auf eine erschöpfende Beantwortung der eingangs erwähnten Fragen erheben." Und er weist darauf hin, dass er die bereits erschienenen Texte "in der Regel revidiert" hat.
Diese Zurückhaltung ist erstmal angenehm, besonders im Vergleich zu all jenen Autoren, die sich derzeit zu Russland-Experten aufschwingen und ihren oft dürftigen Durchblick mit Arroganz kaschieren. Und das ist die Stärke der Textbeiträge: Luks präsentiert sein Wissen ohne Eitel.
Die postsowjetischen Eliten wollen Revanche für 1991
Selbstverständlich schöpft ein solcher Experte aus einem breiten Fundus an Wissen. Er stellt Zusammenhänge zwischen der aktuellen Politik und der Geschichte Russlands her, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Und trotzdem bleibt die Lektüre unbefriedigend.
Besonders deutlich wird das im Beitrag "Russland nach dem Krimkrieg und nach der Auflösung der Sowjetunion – eine vergleichende Betrachtung", erschienen 2008. Er schreibt darin unter anderem, dass die postsowjetischen Eliten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion "nach einer Revanche für die 1991 erlittene Niederlage strebten". Er greift dabei zurück bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Das ist spannend.
Den Bezug zur Gegenwart, zur aus westlicher Sicht irrational anmutenden Annexion der Krim, muss sich dann jedoch jeder selbst zusammensuchen, durchaus auch aus den Texten, die später im Buch folgen. Zumal Präsident Putin genau zu jenen postsowjetischen Eliten gehört.
Diskussion von gestern
Allzuoft hat der Leser, der Russlands Politik aufmerksam verfolgt und ein wenig mehr als nur Nachrichten liest, den Eindruck, dass das alles schon mal irgendwo stand. Zwar sind Leonid Luks Texte voller Details und Bezüge, aber seine Diskussion ist von gestern.
Die aktuellen Ereignisse verlangen nach einem breiten Diskurs über die Gründe für das Verhalten der russischen Regierung, das Verhalten der Bevölkerung, über die Geschichte Russlands und der Sowjetunion.
Die Frage, ob das Imperium zurückkehrt oder schon da ist, bleibt unbeantwortet. Sie ist wahrscheinlich auch noch gar nicht zu beantworten. Der Erkenntniswert des Buches wäre um einiges höher gewesen, wenn sich der Eichstätter Historiker auf der Basis seiner Analysen des letzten Jahres dem Thema neu genähert hätte.