"Faschistoisierung“ Russlands
Seit seiner Wiederwahl 2012 habe Russlands Präsident Putin seine Macht ausgebaut, sagt der amerikanisch-russische Lyriker Eugene Ostashevsky. "Alle Massenmedien werden manipuliert und Putin hat sich so eine sehr willfährige Bevölkerung geschaffen."
Joachim Scholl: Er wurde 1968 im damaligen Leningrad geboren, mit elf Jahren emigrierte seine Familie mit ihm in die USA: Der Schriftsteller Eugene Ostashevsky ist mittlerweile ein anerkannter Lyriker und Professor für Literatur in New York City. Zweisprachig aufgewachsen hat er den Kontakt zu seiner Heimat und der russischen Kultur nie verloren und in seiner Poesie vielfältig fruchtbar gemacht. Eugene Ostashevsky lebt derzeit als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin, war bei uns zu Besuch und ich habe ihn als erstes gefragt, was Russland ihm, der ja heute längst Amerikaner ist, noch bedeutet.
Eugene Ostashevsky: Mir fallen zwei verschiedene Dinge ein. Die eine Sache ist, dass ich natürlich aus Russland stamme, und das ist eine Kultur, aus der ich komme. Das hat sehr viel mit Literatur, aber auch nicht nur mit Literatur und Kunst, sondern auch mit den Menschen dort zu tun, auch wie Menschen miteinander umgehen. Die andere Sache ist: Wir haben aus politischen Gründen dieses Land verlassen. Ein Land, was eine tragische Geschichte hinter sich hat, wo man aber auch sagen muss, dass die Regierung damals und heute auch alles dafür tut, dass es eine tragische Geschichte hat.
Scholl: Nun diskutiert man im Westen, Herr Ostashevsky, seit Wochen über die aktuelle russische Politik und benennt sie vielleicht sogar mit tragischen Begriffen: Die Übernahme, die Annexion der Krim, die Drohgebärden gegenüber der neuen Regierung der Ukraine und das anscheinend neue große Selbstwertgefühl der Russen, das sich in fast uneingeschränkter Zustimmung zu Wladimir Putins Politik ausdrückt. Wie denken Sie darüber, wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
"Mir erschien das Referendum auf der Krim nicht sehr legitim"
Ostashevsky: Was jetzt die Frage anbetrifft, ob die Krim zur Ukraine gehört, oder ob die Krim zu Russland gehört, ob die Donbass-Region zu Russland gehört oder zur Ukraine gehört, finde ich, das sollten wirklich die Menschen vor Ort entscheiden. Sie sollten es allerdings ohne militärisches Eingreifen entscheiden, und mir erschien das Referendum auf der Krim nicht sehr legitim zu sein, weil es auch unter militärischer Präsenz stattfand.
Nun muss man gleichzeitig natürlich sagen, dass die Russische Föderation 1994 die Integrität der ukrainischen Grenzen in einem Vertrag eigentlich anerkannt hat. Das ist ebenso trivial wie es jetzt auch eine sehr ernsthafte Geschichte wird. Die Ukraine gab damals ihre Atomwaffen auf, im Gegenzug garantierte Russland allerdings die territoriale Einheit der Ukraine. Und jetzt kommen wir zu einem politischen Punkt, der dann irgendwie sehr verstörend ist.
Für mich persönlich spielt aber auch noch etwas ganz anderes eine Rolle, und zwar viel mehr etwas, was die Innenpolitik Russlands betrifft als was die Außenpolitik Russlands betrifft. Seit der Wiederwahl von Putin findet ein politischer Diskurs in Russland statt, dass die Schrauben fester angezogen werden. Man kann fast von einer Faschistoisierung des Landes sprechen und das Land reagiert unglaublich paranoid und vor allen Dingen die Medien, zumindest alle Massenmedien und populären Medien, werden manipuliert, werden kontrolliert und Putin hat sich so eine sehr willfährige Bevölkerung geschaffen.
Was die Ereignisse des Maidan in der Ukraine, in Kiew anbetrifft, so hat es eine hysterische Reaktion gegeben, und diese hysterische Reaktion ist das Resultat einer Manipulation. Und diese nationale Hysterie, die jetzt ausgebrochen ist in Russland, hat etwas sehr Altmodisches, etwas sehr Unschönes, was mich fast an Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert, zumindest jedoch an Zeiten vor 1989, und das finde ich sehr beunruhigend und das beängstigt mich auch.
Scholl: Der russische, in Berlin lebende Komponist Sergej Newski hat kürzlich in einem Text für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" von einem Aufstand gegen die Modernisierung gesprochen, dass Russland sich wieder zurück begibt in eine rein auf sich konzentrierte Haltung, wie sie in der Sowjetunion Vorschrift war und sich jetzt aber gewissermaßen freiwillig vollzieht. Wie erklären Sie sich, Herr Ostashevsky, eigentlich diese Entwicklung, dass man anscheinend von der russischen Seite russische Menschen, russische Bürger, wieder sich zurückbegibt in diese diktatorischen Verhältnisse?
"Das ist komplett irrational, was zurzeit stattfindet"
Ostashevsky: Nun, ich bin kein Psychotherapeut. Dann könnte ich Ihnen das vielleicht erklären. Weil das ist komplett irrational, was zurzeit stattfindet. Und Newski hat wirklich recht: Es gibt wirklich ein Rollback, es gibt wirklich ein Zurückkehren in die Vergangenheit und noch weit vor 1989. Ich habe kürzlich hier das Stasi-Museum in Berlin besucht und sah so ein altes Propagandaplakat, wo die NATO als faschistisch tituliert wird, und da sah man diese ganze Paranoia, die damals eben existiert hat. Und ich würde sagen, die Stimmung zurzeit in Russland erinnert mich fast an eine Stimmung aus dem 19. Jahrhundert unter Zar Nikolaus I., als Russland sich als ein sehr autarkes Land sah, wo die russische Orthodoxie eine große Rolle spielte, und ein Element von Volkstum eben auch noch mit hineinspielte, und man wollte definitiv nichts von diesem liberalen Westen wissen.
Die heutige Politik geht auch wieder genau in die Richtung. Man will nicht der Westen sein, man will nicht Europa sein, natürlich auch nicht ganz Asien, aber vor allen Dingen will man das ganze liberale Zeug aus dem Westen nicht haben. Wenn ich Russe wäre, wenn ich mich als Russe bezeichnen würde, dann auf jeden Fall als einen westlichen Russen. Also richtet sich diese aktuelle Politik auch ganz konkret gegen Leute wie mich.
Scholl: Der russisch-amerikanische Schriftsteller Eugene Ostashevsky hier im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Sie beziehen sich in Ihrer Literatur, Herr Ostashevsky, sehr stark auf russische Traditionen. Daniil Charms ist ein wichtiger Autor für Sie, also die russische Avantgarde der 1920er-Jahre. Wir haben jetzt die russischen Schriftsteller schon angesprochen. Wie sehen Sie die Rolle der russischen Schriftsteller, der Intellektuellen derzeit? Können Sie uns hier eine Einschätzung geben?
Ostashevsky: Nun, ich glaube, die Rolle von Intellektuellen verändert sich, und zwar überall. Es ist so, dass es ganz neue Formen des Entertainment, der Unterhaltung, der Kommunikation gibt, sodass die öffentliche Rolle von Intellektuellen nicht mehr den Einfluss hat, den sie früher hatte. Das gilt besonders für die USA, vielleicht mehr in den USA als in Deutschland oder in Russland. Aber ich stelle auch fest, dass die russische Regierung zurzeit einfach versucht, alle nichtloyalen Intellektuellen entweder zu feuern, oder auszutauschen. Das sieht man ganz stark beispielsweise bei der Akademie der Wissenschaften, wo man natürlich lieber Leute nimmt, die nicht auf Demonstrationen gehen, als dass man noch Demonstranten da einsetzt. Man sieht es aber auch ganz stark in der Rolle von Instituten, die plötzlich übernommen werden. Das Institut für Kunstgeschichte beispielsweise in St. Petersburg ist komplett übernommen worden und alle Leute, die ich dort kannte, sind gefeuert worden.
Scholl: Inwieweit haben, pflegen Sie noch Kontakte nach Russland?
Viele meiner Kollegen sind verängstigt
Ostashevsky: Nun, ich bin noch relativ oft in Russland. Letztlich war ich im November beispielsweise dort. Und was jetzt vielleicht verrückt ist: Über meine Facebook-Seite habe ich doch sehr engen Kontakt zu Russen, zu Freunden, zu Kollegen und bin vielleicht auch schneller informiert als andere, was die intellektuellen Diskussionen in Russland betrifft, an denen ich eigentlich auch rege teilnehme. Was ich feststelle, ist: Viele meiner Kollegen sind verängstigt. Fast alle sind gegen das, was die russische Regierung auf der Krim getan hat, oder was aktuell in der Donbass-Region geschieht.
Sie sympathisieren mit der Ukraine, aber sie haben auch Angst und viele stellen sich auch die Frage der Auswanderung. Allerdings ist es bei Weitem nicht mehr so einfach, heute noch als politischer Flüchtling anerkannt zu werden, weil der Kalte Krieg nun mal vorbei ist. Also es gibt eine gewisse Ängstlichkeit und auch einen gewissen Unglaube vor dem, was geschieht, weil fast jeden Tag werden neue absurde Gesetze von der Duma erlassen. Man hat das Gefühl, manchmal zu träumen, als sei man zurückversetzt in die 1930er-Jahre, und es gibt eine Art von Instabilität, die dadurch entstanden ist, und viele Intellektuelle fühlen sich wirklich an den Rand gedrängt in Russland. Ich selber bin Einwanderer, bin aber schon der Meinung, dass nicht alle intelligenten Leute unbedingt auswandern sollten. Einige sollten durchaus noch in Russland bleiben.
Scholl: Verstehen Sie, Mr. Ostashevsky, wenn Russen sagen, die Ukraine gehört doch zu uns, sie ist doch die Wiege unserer russischen Kultur?
Ostashevsky: Ja, das ist schon eine gute Frage. Aber ich lehne es letztendlich auch ab, mich mit einem Wort auseinanderzusetzen, was ich in der russischen Sprache nun wirklich verachte, und das ist das Wort "wir". Ich halte es für ein sehr böses und für ein sehr manipulatives Wort. Nein, ehrlich gesagt, um Ihnen die Frage zu beantworten: Ich verstehe es überhaupt nicht. Weil wenn die Ukraine wirklich die Wiege der russischen Kultur ist, warum schickt man dann Soldaten dahin?
Scholl: Der amerikanisch-russische Schriftsteller Eugene Ostashevsky – danke für das Gespräch, thanks for coming. Die Gedichte unseres Gastes, sie sind in deutscher Übersetzung im SuKuLTuR Verlag erschienen. "Auf tritt Morris Imposternak, verfolgt von Ironien" heißt der Band, und die Literatur von Eugene Ostashevsky wird in der nächsten Woche hier im "Radiofeuilleton" im Mittelpunkt stehen, wenn wir den Autor in unserer Reihe "Profil" noch mal gesondert vorstellen, hier im "Radiofeuilleton" heute in einer Woche, am kommenden Dienstag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.