Künstler und Künstlerinnen verlassen das Land
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Viele Menschen, die im Kulturbereich in Russland tätig waren, verlassen das Land. Der in Berlin lebende Regisseur Victor Kossakovsky übt aber auch Kritik an Kolleginnen und Kollegen: Viele hätten bis zum Krieg gegen die Ukraine vom System Putin profitiert.
Der ukrainische Filmregisseur Sergei Loznitsa erzählte kürzlich, dass die erste Nachricht, die er nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bekam, vom russischen Filmregisseur Victor Kossakovsky stammte. Der habe ihn um Vergebung gebeten. Auch deshalb findet es Loznitsa falsch, russische Filme generell zu boykottieren. Kossakovsky freut sich zwar über Loznitsas Statement:
„But I will accept any punishment, because we are guilty. We are so guilty, Russians…“ Aber er werde jede Strafe akzeptieren, sagt Kossakovsky. Als Russe trage er Mitschuld, dass Putin nicht rechtzeitig gestoppt wurde. Denn seit Jahren sei klar, was er plant.
Kossakovsy fühlt sich mitschuldig, obwohl er seit 2008 in Berlin lebt und sich immer öffentlich gegen das Regime geäußert hat: Er sei nicht aktiv genug gewesen und habe stattdessen – wie viele seiner oppositionellen russischen Kollegen – Arthaus-Filme gedreht. Wir Intellektuellen haben nur zu uns selbst gesprochen, sagt Kossakovsky, statt die Russen vor Putin zu warnen.
Unterstützung von Boykottaufrufen
Die Boykottaufrufe von Filmen, die mit staatlichen russischen Mitteln finanziert sind, findet er richtig, denn er habe schon 2003 seine russischen Kollegen aufgefordert, keine Subventionen von einer Regierung anzunehmen, die korrupt und nationalistisch ist und die Presse unterdrückt.
2014 habe er viele Freunde verloren, weil sie Putins Krim-Annexion befürworteten, meint Kossakovsky. Jetzt melden sich jeden Tag Leute bei ihm, die aus Russland nach Deutschland emigriert sind: Sie fragen um Rat, darunter viele große Namen. Bei manchen von ihnen hätte er keine Lust zu helfen, weil sie viel zu lange vom System profitierten und erst jetzt, da alles zu spät ist, das Land verlassen. Von einem Boykott spürt Kossakovsky nichts, er wird sogar sehr oft angefragt, ob er auf Veranstaltungen sprechen möchte.
Berlin als Zufluchtsort für russische Intellektuelle
Ähnlich geht es dem russischen Filmemacher Alexander Smoljanski, dessen Film „Oscar“ über den nonkonformistischen sowjetischen Maler Oskar Rabin Mitte März im Berliner Panda Theater aufgeführt wurde. Nach dem Film gab es eine 90-minütige, sehr ernste Diskussion mit dem Publikum, das jeweils zur Hälfte aus Ukrainern und Russen bestand.
Smoljanski lebt seit über 30 Jahren in Berlin. Die jetzige russische Emigration werde, sagt er, die ohnehin schon bemerkenswert große Anzahl russischer Intellektueller in Berlin noch einmal erweitern: Berlin ist für ihn die dritte Hauptstadt russischer Kultur nach Moskau und Sankt Petersburg.
Schon einmal habe es einen Massenexodus russischer Intellektueller gegeben – nach der Revolution 1917. Aber die heutige Emigration werde die russische Kultur viel stärker treffen als in den 20er-Jahren, meint Smoljanksi. Denn damals sei ein großer Teil der Intellektuellen in Russland geblieben, heute aber sei der Anteil der kritischen Geister im russischen Kulturleben, die ins Exil gehen, viel größer. Smoljanki sagt, er fühle sich genauso wie Kossakovky mitverantwortlich für das, was in Russland passiert. Früh war klar, was Putin für Russland bedeutet. Schon wenige Wochen nach Amtsantritt habe Putin seinen Kampf gegen die Presse begonnen.
Russlands zivilisatorische Katastrophe
Smoljanki sagt, er fühle sich genauso wie Kossakovky mitverantwortlich für das, was in Russland passiert. Früh war klar, was Putin für Russland bedeutet. Schon wenige Wochen nach Amtsantritt habe Putin seinen Kampf gegen die Presse begonnen. Und heute erleben wir eine zivilisatorische Katastrophe in Russland, meint Smoljanski.
Schuld an diesem furchtbaren Desaster sei die mangelnde Aufarbeitung der Sowjetzeit. Russland könne nur in den Kreis der zivilisierten Länder zurückkehren, wenn es seine dunkle Vergangenheit und Gegenwart offen aufarbeite, so Smoljanski.
Unabhängige Informationen oder Staatsfernsehen
Düster gestimmt ist auch Vasily Stepanov, Chefredakteur des renommierten Filmmagazins „Séance“ in Sankt Petersburg, das direkt nach dem russischen Angriff einen Aufruf gegen den Krieg veröffentlicht hatte. Gerade arbeitet Stepanov an der nächsten Ausgabe. Der Titel heißt "Paralyse". Denn Russen, die gegen den Krieg sind, würden sich angesichts der Lage in einem Gefühl lähmender Hilflosigkeit befinden.
Stepanov kann sich über eine verschlüsselte Internetverbindung per VPN im Netz über den Krieg in der Ukraine informieren, die Mehrheit der Russen aber könne das nicht: „For example my parents, I have some difficult conversations with them …“
Stepanov hat mit seinen Eltern schwierige Diskussionen, wenn er ihnen erzählt, was in der Ukraine wirklich geschieht – sie schauen nur Staatsfernsehen. Russland ist mittlerweile totalitär, sagt Stepanov, und spricht von einem "Braindrain" – viele seiner Freunde seien im Exil. Aber er bleibt, wegen seiner Familie, seiner Leserschaft, und außerdem müsse man auch an die Zeit nach dem Krieg denken: Man müsse darüber nachdenken, wie man das Land heilen und einen neuen Krieg verhindern kann, sagt Stepanov. Es sind keine Worte, die Hoffnung machen.