Machterhalt um jeden Preis
Der russische Präsident präsentiert sich einmal mehr als der starke Mann und geht auf Abgrenzungskurs zum Westen. Dabei geht es Putin vor allem um den Machterhalt für sich und seine Getreuen, kommentiert Thomas Franke.
Wer erwartet hatte, dass Putin Kritik aus dem Ausland aufnimmt und Veränderungen ankündigt, ist naiv. Die Rede zur Lage der Nation ist an die eigene Bevölkerung gerichtet. Putins Popularität in Russland beruht auf Widerspruch, auf Konfrontation mit den demokratischen Staaten des Westens. Liberalismus und Demokratie bringen viele Russen mit den 90er-Jahren in Verbindung, in denen das Land in Chaos und Armut versank.
Systematisch beschwören Verantwortliche in Russland deshalb eine Konfrontation herauf. Das gipfelt in Sätzen wie: "Niemand soll sich einbilden, er könne Russland in die Knie zwingen oder überholen."
Kritiker werfen Russland vor, gegen den Wertekonsens zu verstoßen, Putin kontert mit dem Werteverfall der westlichen Gesellschaften. Statt unfruchtbare Minderheiten zu schützen, sei Russland traditionellen Werten verpflichtet, betonte heute der Präsident. Das klingt gut, konservativ, wie Putin unterstrich, ist jedoch zutiefst reaktionär und homophob. Und dann sprach Putin noch von Russlands historischer Verantwortung, die Jahrtausende alten Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zu verteidigen.
Muss das sein? Muss man so rumrüpeln, um die verwundete russische Seele hinter sich zu vereinigen?
Anscheinend ja. Denn im eigenen Land kann Putin zur Zeit nicht punkten. Das hat er selbst eingeräumt: Der innenpolitische Teil seiner Rede fiel düster aus, er rügte Minister und Gouverneure, präsentierte sich als starker Mann.
Auch zu Russlands internationaler Rolle, setzte Putin auf Widerspruch: Kritiker werfen Russland vor, im Fall von Syrien zu lange gewartet zu haben. Russland präsentiert sich (nicht ganz unberechtigt) als Macht, die eine weitere Eskalation verhindert habe.
Kritiker werfen Russland vor, Druck auf die Ukraine auszuüben, Putin unterstreicht die Souveränität des begehrten Nachbarlandes.
Die heutige Rede an die Nation vermittelt einmal mehr den Eindruck, dass Russlands Mächtige zur Zeit die Abgrenzung zum Westen brauchen. Sie machen den Menschen Angst, erwecken den Eindruck, das Land sei bedroht, von Feinden umgeben. Das schließt die Reihen, das stärkt den Präsidenten. Und darum geht es schließlich bei fast allem, was Putin macht, um Machterhalt für sich und seine Getreuen.