Angst vor einem Dritten Weltkrieg
Russlands Präsident Wladimir Putin: Er änderte die Militärstrategie in Bezug auf die Ukraine und handelte damit "rational aus der Sicht des russischen Regimes", meint Anna Sauerbrey. © imago/SNA/Vladimir Astapkovich
Putins Rationalität und Selbsterhaltungstrieb
10:36 Minuten
Russische Drohungen an den Westen schüren auch bei Deutschen die Angst vor einem Dritten Weltkrieg – womöglich mit Atomwaffen. Die Journalistin Anna Sauerbrey hält ein solches Szenario für unwahrscheinlich. Putin sei nicht völlig unberechenbar.
Kurz bevor Deutschland entschied, mit den Gepard-Panzern nun doch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, sprach Russlands Außenminister Sergej Lawrow eine deutliche Warnung aus: "Wenn die Nato über einen Stellvertreter de facto in einen Krieg mit Russland tritt und diesen Stellvertreter bewaffnet, dann tut man im Krieg, was man im Krieg tun muss." Überdies warnte Lawrow im russischen Fernsehen vor einem Dritten Weltkrieg: Die Gefahr sei "ernst, real". Ist nun eine Ausweitung des Krieges zu befürchten, zumal Russland wiederholt auf seine Atomwaffen verwiesen hat?
Anna Sauerbrey hält es für sehr unwahrscheinlich, dass Putin "morgen Berlin" angreift. Auch die Lieferung von schweren Waffen mache da "keinen qualitativen Unterschied", sagt die außenpolitische Koordinatorin der Wochenzeitung "Die Zeit". Die Nato müsse nicht über die Beistandsklausel des Artikels 5 eingreifen, wenn ein von einem ukrainischen Soldaten gefahrener Panzer zerstört werde.
Putin entscheidet willkürlich, wer Kriegspartei ist
Am Ende entscheide der russische Präsident, wen er als Kriegspartei und Gegner einordnet oder nicht: "Das ist relativ willkürlich." Die russische Propagandamaschine könne "im Prinzip" jeden Anlass dafür nehmen. "Insofern sollte das, glaube ich, nicht handlungsleitend sein für die westlichen Alliierten", betont die Journalistin.
Den Gedanken an einen drohenden Dritten Weltkrieg könne sie allerdings nachvollziehen. Schließlich habe auch niemand damit gerechnet, dass es überhaupt zu dem Krieg gegen die Ukraine komme. Dann habe sich die Idee festgesetzt, Putin sei verrückt und zu allem fähig. "Aber ganz unberechenbar ist er ja nicht", meint Sauerbrey. "Ich glaube schon, dass da noch Rationalität ist und auch Selbsterhaltungstrieb."
Selbsterhalt des russischen Regimes
Sauerbrey macht das unter anderem an der geänderten russischen Militärstrategie fest, nachdem die Armee in der Region Kiew nicht weiterkam: "Jetzt versucht man es im Donbass und im Süden, hat sich neue Kriegsziele offenbar gesetzt. Das ist ja letztlich ein Rückschritt, um an anderer Stelle vorwärtszukommen. Ich würde das als rationale Handlung aus der Perspektive dieses Regimes einstufen."
Auch in der Frage, wie weit man den Wirtschaftskrieg eskaliere, erkennt die Journalistin einen "kleinen Rückzieher" - und zwar in dem Moment, in dem der "Selbsterhalt des russischen Regimes, der russischen Staatsfinanzen tatsächlich gefährdet war".
Erkennen der eigenen Grenzen
Es sei nicht immer alls nur Eskalation: "Es gibt schon anscheinend auch Grenzen, auch ein Erkennen der eigenen Grenzen und der Begrenztheit der eigenen Mittel auf der russischen Seite", ist Sauerbrey überzeugt.
Drohungen wie die von Außenminister Lawrow zielten auch auf die europäische und amerikanische Öffentlichkeit: "Man hofft, dass sich die Nato-Partner selbst abschrecken vom Einsatz, von weiterer Unterstützung – aus der Angst heraus, dass der Krieg dadurch eskaliert." Aber natürlich gebe es "allen Grund" zur Vorsicht, räumt Sauerbrey ein.
(bth, mit dpa)
(bth, mit dpa)