Putins Gotteskrieger
In Russland wird der Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche auf die Politik immer deutlicher. Die Orthodoxie wird gar zu einer Art Ersatz-Ideologie des Staates. Erzbischof Wsewolod Tschaplin ist einer der Scharfmacher unter den Kirchenführern.
Erzpriester Wsewolod Tschaplin, 47 Jahre, Sprecher der Russisch-Orthodoxen Kirche, ist in Russland eine Art Medienstar. Ob im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen - der untersetzte Mann im schwarzen Priestergewand, mit Seitenscheitel und fusseligem Bart, scheint nahezu allgegenwärtig. Gerade bittet wieder jemand um ein Interview. Ob er sich zum internationalen Terror äußern könne? Tschaplin verspricht, zurückzurufen. Zu den Anschlägen etwa in Paris sagt er:
"Was passiert ist, ist eine Lektion für Europa, für Russland, für den Rest der Welt. Es zeigt: Mit Gerede über Toleranz ist der Terror nicht zu besiegen."
Toleranz bedeute Gleichgültigkeit, so Tschaplin, und sie schade den Menschen genauso wie zu viel Wohlstand. Insofern seien Terror und Krieg sogar nützlich, denn sie würden die Menschen zu Gott bringen. Russlands Luftangriffe in Syrien erklärte Tschaplin denn auch zum "heiligen Kampf".
"Wenn der Mensch zu sehr auf Geld setzt, auf Gesundheit, Komfort, auf eine rationale Herangehensweise an gesellschaftliche Prozesse, dann ist das kein Leben, es ist der Tod. Insofern sind Kriege, Epidemien und Katastrophen heilsam für die Gesellschaft. Es ist besser, den Wohlstand einer großen Stadt zu verlassen und aufs Schlachtfeld zu ziehen."
Die Frau als Mutter und Erzieherin
Auf Tschaplins Schreibtisch liegt, zwischen Papierstapeln, ein orange-braun gestreiftes Georgsband, das Erkennungszeichen der Separatisten in der Ostukraine. Provokationen gefallen ihm ganz offensichtlich. Zum Beispiel zum Thema Frau.
"Eine Frau wird dann glücklich sein, wenn sie sich als Mutter neu entdeckt, als Erzieherin. Natürlich wird der ganze westliche Feminismus, diese unnatürliche Bewegung, dagegen Widerstand leisten. Aber es ist offensichtlich, dass der Feminismus von internationalen Strukturen konstruiert wurde, um die Menschheit auszurotten."
Kritiker vergleichen die Rolle der orthodoxen Kirche in Russland mit jener der Ajatollahs im Iran. Erzpriester Tschaplin nimmt das als Kompliment.
"Der Iran hat eine erfolgreiche Gesellschaft, erfolgreicher als die westliche. Die Menschen sind dort viel glücklicher als in Paris oder Berlin."
"Krieg zur Vernichtung der Werte und Symbole"
Woran er das festmacht, bleibt unklar. Tschaplins Positionen - und damit die der offiziellen russisch-orthodoxen Kirche - stimmen in vielen Bereichen mit denen des Kreml überein. Präsident Putin betreibt eine antiwestliche Politik und setzt auf erzkonservative Werte. Er isoliert Russland und bläut den Menschen ein, dass Russland von außen bedroht werde. Genauso sieht es die Kirchenführung. Tschaplin:
"Es läuft ein Krieg zur Vernichtung der Werte und Symbole, die für einen orthodoxen Christen wichtig sind."
Das Verhältnis zwischen Präsident Putin und Patriarch Kirill, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, ist eng. Beide Männer treten oft gemeinsam öffentlich auf. Patriarch Kirill hat Putin seinerzeit im Wahlkampf unterstützt. In einer Rede vor der Staatsduma forderte er die Abgeordneten auf, den politischen Wettbewerb einzustellen. Volk und Macht, Opposition und Regierung müssten eine Einheit bilden. Laut Verfassung ist Russland ein säkularer Staat. Doch Kirchensprecher Tschaplin forderte jüngst noch mehr Einfluss der Kirche auf die Politik. Der Säkularismus sei eine tote Ideologie. Tschaplin ist optimistisch, dass die Kirche sich durchsetzt.
"Man hört uns. Und sehr viele Ideen, die meine Kollegen und ich schon vor 15, 20 Jahren geäußert haben und die dem Kurs der Macht damals absolut widersprachen, werden jetzt umgesetzt. Schauen wir, wie es weiter geht."