Sprache im Ukraine-Krieg

"Es gibt keine Verständigung mehr zwischen den Kriegsparteien"

07:37 Minuten
Eine Luftaufnahme zeigt die Zerstörung in der Stadt Butscha in der Region Kiew.
Zur Aufklärung des mutmaßlichen Kriegsverbrechens in Butscha trage eine "sprachliche Empörungsformel" wie "Gräueltaten" wenig bei, meint Marina Münkler, Professorin für Literaturwissenschaft an der TU Dresden. © imago / i Images
Marina Münkler im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Die Bilder von ermordeten Menschen im ukrainischen Butscha sorgen weltweit für Empörung. Der Vorwurf vom "Völkermord" steht im Raum. Russland dagegen spricht von "Inszenierung". Die Publizistin Marina Münkler rät dazu, die Worte sorgfältig abzuwägen.
Das Bild der Verwüstung, das sich in Butscha bei Kiew bietet, und die Hinweise auf Kriegsverbrechen angesichts vieler Getöteter auf den Straßen und in Sammelgräbern, die allem Anschein nach Zivilpersonen waren, haben weltweit Empörung ausgelöst. Russland sieht sich mit schweren Anschuldigungen konfrontiert.
Der Botschafter der Ukraine in Deutschland spricht von einem "Massaker", der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von "Völkermord". In vielen Medien wird das, was in Butscha geschah, als "Gräueltat" bezeichnet. Die Wut und das Entsetzen, die darin zum Ausdruck kämen, seien absolut verständlich, sagt Marina Münkler, Professorin für Literaturwissenschaft an der TU Dresden.

Sprachliche Empörungsformeln

Zur Aufklärung des mutmaßlichen Kriegsverbrechens trage eine "sprachliche Empörungsformel" wie "Gräueltaten" allerdings wenig bei. Sie halte das Wort zwar für emotional angemessen, andererseits müsse man jedoch "aufpassen, dass aus dieser emotionalen Angemessenheit des Ausdrucks nicht emotionale Reaktionen folgen".

Was man tatsächlich braucht – und was man auch für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gebraucht hat –, sind Leute, die Beweise aufgenommen haben, die Zeugen befragt haben, die alles sehr genau untersucht haben. Und in solchen Verfahren muss man sich davor hüten, dass man allzu emotional reagiert.

Marina Münkler, Literaturwissenschaftlerin und Publizistin

Nach allem, was bisher bekannt sei, erscheine es zwar absolut plausibel, dass es sich bei den Getöteten um ukrainische Zivilisten gehandelt habe. Nichtsdestotrotz brauche es eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle, "denn eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ist nur möglich, wenn man klare Beweise hat", so Münkler.

Delegitimierung der Ukraine

Dass Russland seinerseits im Hinblick auf Butscha von einer "Provokation" spreche und der Ukraine vorwerfe, die Ermordung von Zivilisten "inszeniert" zu haben, mache deutlich: "Es gibt keine Verständigung mehr zwischen diesen beiden Parteien. Der Krieg ist eine der klassischen Situationen, in denen so etwas passiert."
Schließlich habe der russische Angriffskrieg schon mit der "Delegitimierung der Ukraine als einem selbstständigen Staat" begonnen, erklärt Münkler. Von daher entspreche es der Logik dieses Krieges, "dass es auch einen Kampf um die Sprache gibt".
(fka)

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