Wie will man die NATO besiegen, wenn man nicht mal die Ukraine besiegen kann? Und eine nukleare Eskalation mit der NATO wäre eine Selbstzerstörung Russlands.
Ukraine-Krieg
Verfahrene Situation: zerstörtes russisches Militärgerät in der Ukraine. © IMAGO / UPI Photo / Ken Cedeno
"Ein grandioses strategisches Desaster für Russland"
29:34 Minuten
Moskaus Hoffnungen auf einen schnellen Sieg im Krieg gegen die Ukraine haben sich nicht erfüllt. Für Staatspräsident Putin gehe es in dem Krieg jetzt vor allem um den eigenen Machterhalt, meint der ehemalige deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch.
Russland sei fundamentalen Fehleinschätzungen unterlegen, sagt Rüdiger von Fritsch, der ehemalige Botschafter Deutschlands in Moskau. Die russische Führung habe die eigenen militärischen Fähigkeiten, die Widerstandskraft der Ukraine und die Reaktion des Westens völlig falsch eingeschätzt.
"Was wir gegenwärtig sehen, ist ein strategisches Desaster für Russland", sagt von Fritsch. Für Moskau werde es immer schwieriger, seine ursprünglichen Kriegsziele zu erreichen. Dazu zähle die Eingliederung der Ukraine in das russische Imperium und der Ausbau der russischen Machtposition in Europa. Beides sei derzeit kaum noch realistisch.
Für Putin gehe es jetzt vor allem um eines: um den eigenen Machterhalt in Russland. "Das macht es schwer vorstellbar, dass dieser Krieg in absehbarer Zeit enden könnte". Denn auch die Ukraine habe sehr deutlich gemacht, "dass ein Waffenstillstand erst möglich sein wird, wenn der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen hat".
"Nukleare Eskalation wäre eine Selbstzerstörung Russlands"
Eine Eskalation des Krieges könne man nicht ausschließen. Dass Russland Atomwaffen einsetzen oder den Krieg auf die NATO ausweiten könnte, hält von Fritsch aber für eher unwahrscheinlich.
Russland habe an einem solchen Szenario kein Interesse, auch wenn es mit seinen Nuklear-Drohungen versuche, den Westen unter Druck zu setzen.
Wann kommt der Protest im Land?
Proteste in der Bevölkerung gegen den Krieg in der Ukraine seien bislang kaum zu erkennen, auch wegen der verschärften Repression des Sicherheitsapparates.
Widerstand gegen Putins Kriegskurs könnte am ehesten aus der Machtelite selbst kommen, wenn sich die militärische und wirtschaftliche Lage weiter verschlechtere. "Da ist zuerst an das russische Militär zu denken, aus dem ein solcher Widerspruch kommen könnte."
Weckruf für Europa
Europa müsse sich auf eine dauerhafte Konfrontation mit Russland einstellen. Das bedeute vor allem: Europa braucht eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik. Ein entscheidender Pfeiler bleiben dabei die NATO und die USA. Aber darauf allein könne sich Europa nicht mehr verlassen, "weil wir nicht wissen, wer in zwei Jahren im Weißen Haus in Washington sitzt".
Sollte Donald Trump wieder an die Macht gelangen und beschließen, aus der NATO auszutreten, müsse Europa selbstständig handlungsfähig sein. "Meine Hoffnung ist, dass dieser Krieg auch ein Weckruf an die Europäer ist, sich in diesen Fragen stärker zusammenzuschließen."
Dazu gehöre auch, Ländern wie der Ukraine, Georgien und Moldawien nicht den Großmachtambitionen Russlands zu überlassen, sondern eine klare Perspektive für die Mitgliedschaft in der EU anzubieten. "Das wird uns sehr viel Arbeit, sehr viel Kompromisse abverlangen, aber das Ziel darf kein anderes sein."