Kultur in Russland und in der Ukraine
Aus Hässlichkeit Schönheit erblühen lassen: In Kiew wird ein Autoschrottplatz zur Leinwand. © picture alliance / Photoshot
Kunst gegen die Propagandamaschine
13:34 Minuten
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hält an. Kulturschaffende aus beiden Ländern versuchen, ihre Erfahrungen künstlerisch umzusetzen. Die einen kämpfen gegen Zensur und Isolation, bei den anderen floriert die Kunst.
Wo bleibt Platz für die Kunst, wenn zwei Länder sich bekämpfen? Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, auf welcher Seite des Frontverlaufs man sich befindet. Während die russischen Künstler unter Zensur und Isolation leiden, seit ihr Land einen Krieg angezettelt hat, profitieren ukrainische Künstler vom Zugewinn an künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Veränderung, die der Krieg antreibt.
"In Russland haben Künstler noch nie Unterstützung gehabt - schon gar nicht von der Politik", erklärt Olga Egorova. Sie leitet das pazifistische Künstlerkollektiv "Chto Delat" ("Was tun"), betreibt eine Kunstschule in Sankt Petersburg und stellt ihre Kunst unter anderem in Berlin aus. Sie sagt, besonders hart seien Künstlerinnen und Künstler betroffen, die bereits vor der Invasion stark reguliert waren.
Gemeinsam mit ihrem Kollektiv hat sie sich inzwischen in ländliche Regionen zurückgezogen und arbeitet dort in einer Art Kommune. "Viele junge Künstlerinnen und Künstler kommen hier auch gar nicht weg. Mit Visa wird es immer schwieriger - auch für russische Dissidenten", berichtet Olga Egorova.
Auch sie bleibt in Sankt Petersburg: "Ich kann doch unsere Studenten nicht verlassen."
Feiern als würde die Welt untergehen
In der Europäischen Union wird derzeit diskutiert, die Reisefreiheit russischer Bürger einzuschränken oder innerhalb des Schengen-Raumes ganz zu unterbinden. So soll der Druck auf Bürgerinnen und Bürger erhöht und die Mitte der Gesellschaft in die Verantwortung genommen werden. Olga Egorova ist zwiegespalten: Einerseits hält sie diesen Schritt für sinnvoll, "damit sie es einfach merken". Eine Freundin habe ihr erst kürzlich von den gesellschaftlichen Verhältnissen in Moskau berichtet: "Die leben dort in einer Art mit Honig gefüllter Fettblase. Die feiern wie kurz vor dem Weltuntergang."
Andererseits wollen viele Russland verlassen und können dies nicht mehr. Allerdings weiß Ergorova nicht, nach welchen Kriterien Dissidenten-Visa vergeben werden. "Ohne westliche Hilfe sind wir verloren." Sie fürchtet, vom Westen allein gelassen zu werden mit "unserem Diktator, unserer Machtmaschine". Ihr Appell an den Westen: "Wir haben doch denselben Feind."
Ein Land im Griff der Propaganda
Ergorova beobachtet "eine Entmenschlichung der russischen Gesellschaft" und wirft dem Fernsehen vor, sich vor den Karren der Propaganda zu spannen. "Diese ideologische Maschine verkehrt die menschlichen Werte in einer Art, die ich mir nicht hätte vorstellen können."
Vor allem Künstlerinnen und Künstler tragen eine Verantwortung zur Aufklärung. "Wir müssen unsere jüngeren Kollegen ins Ausland schicken, um sie zu schützen und damit sie überhaupt arbeiten können."
Die Reisefreiheit für russische Staatsangehörige generell einzuschränken, träfe daher die Falschen: "Diejenigen, die den Krieg unterstützen, sitzen vor dem Fernseher und haben sich noch nie irgendwohin bewegt. Die waren noch nicht einmal in Moskau oder Sankt Petersburg."
Die Hoffnung auf eine Besserung der Situation hat die Künstlerin allerdings aufgegeben. "Die russischen Fernsehzuschauer sind davon überzeugt, dass wir die Ukraine von Faschisten befreien." Ein Ende des Krieges ist für sie noch nicht absehbar: "Das kann ewig so weitergehen." Daher setzt sie auf einen Sieg der Ukraine, auch wenn sie sich fragt, was dann aus Russland wird.
"Die Denunzianten werden immer mehr"
Für russische Künstler sieht sie in der derzeitigen Lage schwarz: "Es ist nicht nur eine Zensur, es ist ein Berufsverbot." Man könne höchstens noch im Untergrund künstlerisch agieren, erklärt sie und beschreibt ihre Angst vor Denunzianten: "Die werden immer mehr. Es ist wie in den Dreißigerjahren unter Stalin."
Die russische Gesellschaft zerfällt ethisch und politisch in sich selbst: "Aber was sollen wir machen: Uns zum Himmel erheben und wegfliegen?" Fürs Erste will sie in dem Land bleiben, das es ihr so schwer macht. Doch eine Zukunft sieht sie für sich auch nur noch im Exil.
Die Kunst in Kiew floriert
Eine ganz andere Situation beschreibt dagegen der ukrainische Künstler Alexandr Borovenskiy, der ein englischsprachiges Theaterfestival in der umkämpften Stadt Kiew leitet. "Das ist genau das, was wir jetzt tun müssen, um zu zeigen, dass es uns gibt und wir weiter Kunst machen." Die Kunst blühe mitten in Kiew auf, sagt er.
Natürlich wirkt sich der Krieg auf die praktische Arbeit aus: "Wir sind gesetzlich verpflichtet, bei Alarm die Performances zu unterbrechen und einen Schutzraum aufzusuchen." Entsprechend werden Spielorte nach diesen Kriterien ausgesucht. Auch Online-Inszenierungen finden statt. Erfahrungen damit gibt es seit der Corona-Pandemie zu Genüge.
Fliegeralarm statt "Mamma Mia"
Auch beim Theaterfestival unter dem Motto "Unbreakable" ("Unzerbrechlich") ist der Krieg das bestimmende Thema. In den Inszenierungen geht es etwa um Korruption oder häusliche Gewalt. Ein geplantes ABBA-Musical im Stil von "Mamma Mia" sollte eigentlich ein leichter Abend über Eheprobleme und Eifersucht werden, erklärt der Festivalleiter. "Jetzt ist es anders inszeniert: Die Frau hat eine Waffe und der Mann eine Uniform."
Anders als Olga Egorova blickt Alexandr Borovenskiy der Zukunft positiv entgegen: "Das kulturelle Leben in Kiew kommt zurück." Die Theater, die ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen haben, zeigen mehr Mut zur Kontroverse. Unter anderem erzählt Borovenskiy von einer Lesung zum einstigen Tabuthema Homosexualität - Neuland für die konservative ukrainische Gesellschaft. "Der Krieg macht die Ukraine nicht nur stärker, sondern führt sogar dazu, dass sie offener wird."
"Ich fühle mich wie Superman"
In Bezug auf die Situation der Ukrainerinnen und Ukrainer erklärt Alexandr Borovenskiy: "Wir waren wütend, aber wir waren nie verzweifelt. Wir behalten unsere Kraft und Energie." Und er zeigt sich optimistisch: Da die Ukraine in den ersten drei Tagen nach dem Beginn des Angriffskrieges nicht besiegt worden ist, werde man nie besiegt werden. Das sei für ihn die Motivation für dieses Theaterfestival gewesen: "Wir Ukrainer werden wie eine Marke. Ich fühle mich wie Superman."
(lsc)