Kalter Krieg 2.0
Binnen weniger Monate sind Russland und der Westen zu den Verhaltensmustern des Kalten Krieges zurückgekehrt. Eine neue Rüstungsspirale zu verhindern, muss jetzt das vorrangige Ziel der internationalen Politik sein, meint Peter Lange.
Die Wolken über Europa werden dunkler. In dieser Woche hat die Nato mit ihrer neuen schnellen Eingreiftruppe in Polen geübt. Die USA wollen Truppen und Panzer nach Osteuropa und ins Baltikum verlegen. Und Moskau kündigt an, 40 neue Interkontinentalraketen zu beschaffen. Kein Zweifel: Die Friedensdividende aus einem Vierteljahrhundert nach 1989 ist aufgezehrt, das politische Vertrauenskapital zwischen Ost und West fast vollständig aufgebraucht. Binnen weniger Monate sind Russland und der Westen zurückgekehrt in jene Verhältnisse des Kalten Krieges, die zu verlassen Jahrzehnte gebraucht hat. Und ganz nebenbei: Nach Minsk I ist auch die Verabredung Minsk II gescheitert. Im Osten der Ukraine wird wieder gekämpft und gestorben.
Es wäre zu einfach zu sagen: Die Politik hat versagt. Ihr sind dort die Möglichkeiten genommen, wo die militärische Spirale von Aktion und Gegenaktion einsetzt, natürlich immer mit der Ansage, die Gegenseite habe angefangen. Aber in Konflikten jeder Art ist es ab einer bestimmten Intensität und Grausamkeit egal, wer angefangen hat. Es muss nur aufhören.
Man kann Russland nicht noch einmal totrüsten
Eine neue Rüstungsspirale, eine Rückkehr zu der perversen Logik des Kalten Krieges, zu atomarer Abschreckung mit Erstschlagsdoktrin und Overkill, kann im Ernst niemand wollen. Wettrüsten tötet, selbst wenn die Waffen nicht eingesetzt werden. Es verschlingt die Ressourcen, die benötigt werden, um Armut, Hunger und Klimawandel zu bekämpfen. Eine wirtschaftliche und soziale Modernisierung Russlands ist dann erst recht nicht möglich. Und auch die USA können es sich ökonomisch nicht leisten. Niemand sollte sich einbilden, man könnte die Russen noch einmal totrüsten.
Eine neue Rüstungsspirale zu verhindern, müsste jetzt das vorrangige Ziel der internationalen Politik sein. Das bedeutet aber auch, dass die Strategie im Ukraine-Konflikt überprüft werden muss. Bisher geht die westliche Diplomatie davon aus, dass erst der Ukraine-Konflikt halbwegs befriedet sein muss, bevor es wieder ein annähernd normales Verhältnis zu Moskau geben kann. Aber wenn es so nicht funktioniert, muss der Prozess vielleicht umgedreht werden. Zuerst die außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen zu Moskau auf eine neue gemeinsame Grundlage stellen und als Folge dessen den Ukraine-Konflikt austrocknen.
Es braucht eine neue KSZE
Es braucht – und zwar möglichst schnell – eine neue KSZE, eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Sicherheitsbedürfnisse und Bedrohungsängste aller betroffenen Staaten müssen auf den Tisch, auch die der Russen. Denn ob berechtigt oder nicht, ob mutwillig geschürt oder nicht, auch unberechtigte Ängste sind politische Realitäten, die in jede Strategie einbezogen werden müssen. Es braucht vertrauensbildende Maßnahmen, verbindliche Absprachen und Garantien, ein neues kollektives Sicherheitssystem mit Konsultationsmechanismen, in das alle Staaten gleichermaßen einbezogen sind. Das Ganze, ohne vitale Interessen und politische Grundsätze preiszugeben. Im Zweifel ist man sich halt einig, dass man sich nicht einig ist. Wenn aber dem Feindbild als Vorwand für militärisches Agieren die Grundlage entzogen würde, könnte es gelingen, den Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges zu verhindern.
Der Erfolg eines solchen Strategiewechsels ist natürlich nicht garantiert. Und sicher ist es für die jeweiligen Akteure auch eine Zumutung, zu Leuten Vertrauen zurückzugewinnen, von denen man sich getäuscht und betrogen fühlt. Zu allererst hängen die Erfolgsaussichten aber davon ab, welche politische Stärke ein Wladimir Putin innenpolitisch tatsächlich noch hat. Schwache politische Führer leiten innenpolitische Spannungen gern nach außen ab. Das ist auch am russisch-ukrainischen Konflikt zu besichtigen. Gut möglich also, dass Putin aus Gründen politischer Schwäche den nationalistischen Rausch, den er entfacht hat, nicht mehr unter Kontrolle bringt. Aber das wird man erst wissen, wenn man eine neue Strategie versucht. Die bisherige Strategie, soviel steht jedenfalls fest, ist gescheitert.