"Der Hass auf den Westen. Kommunismus, Nationalsozialismus, Islamismus" ist auch Thema des 9. Hohenschönhausen-Forums der Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Wie aus der Liebe zum Westen Hass wurde
Der Hass auf den Westen sei in Russland inzwischen allgegenwärtig und werde von den Eliten gezielt geschürt, meint der Journalist und Russland-Kenner Boris Reitschuster. Diesen rät er: "Dann macht doch euren Urlaub in Nordkorea!"
Anfang der 1990er-Jahre war die Stimmung in Russland extrem pro-westlich. Doch davon ist wenig übrig geblieben, meint Boris Reitschuster, Publizist und langjähriger Leiter des Moskdauer Büros des Focus.
Inzwischen sei der Hass auf den Westen sehr groß. "Ich würde sagen, das ist das Lebenselixier des heutigen Systems", so Reitschuster im Deutschlandradio Kultur. "Selbst bei Dingen wie einer Grippewelle im letzten Jahr sprach man davon, dass die aus dem Westen absichtlich nach Russland eingeschleust wurde."
Zwar habe auch der Westen dazu beigetragen, dass die pro-westliche Euphorie in Russland nachgelassen habe, aber der Hass werde ganz gezielt von Medien und Eliten geschürt. "Ich würde sagen, eine Welle war da, aber die Medien machen daraus einen Tsunami."
Forderung nach Einreiseverboten für die Nomenklatura
Reitschuster sprach sich insofern für konkrete Schritte aus, zum Beispiel mehr Einreiseverbote für die russische Nomenklatura. Einerseits müsse man der russischen Elite zeigen:
"Wenn ihr so antiwestlich seid, dann macht doch euren Urlaub in Nordkorea! Dann geht doch in den Iran mit euerm Geld!"
Normalen Menschen hingegen solle man deutlich machen, sie seien Westen willkommen, zum Beispiel durch Visafreiheit. "Schritte wie diese wären in meinen Augen sehr symbolträchtig."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: "Just my imagination", die Cranberries, einer ihrer Hits aus den 90ern, aus einer Zeit, als die Welt noch ein bisschen hoffnungsfroher stimmte. Das Ende der Geschichte im demokratischen Friede-Freude-Eierkuchen, okay, so weit ging die Euphorie vielleicht nicht, aber immerhin, Kooperation war das Hauptziel und der Westen auch für Länder wie Russland eher Partner als Gegner.
Ich muss Ihnen im Jahr 2016 nicht groß erklären, wie anders all das heute ist. Und es scheint sich da etwas zu versammeln aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Antiwestliche Ressentiments, mit dieser These beschäftigt sich ab heute eine Konferenz in Berlin, unter anderem von der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet. "Der Hass auf den Westen und seine Ursachen" ist der Titel, Boris Reitschuster einer der Referenten, Russland-Experte und Publizist. Guten Morgen, Herr Reitschuster!
Boris Reitschuster: Guten Morgen!
Sogar die Grippe ist Teil der Verschwörung gegen Russland
Frenzel: Wie groß ist dieser Hass auf den Westen im heutigen, im Putin-Russland?
Reitschuster: Der Hass ist sehr, sehr groß. Ich würde sagen, das ist das Lebenselixier des heutigen Systems. Selbst bei Dinge wie einer Grippewelle im letzten Jahr sprach man davon, dass die aus dem Westen absichtlich nach Russland eingeschleust wurde. Und in den Medien ist dieser Hass auf den Westen allgegenwärtig, er springt einem ständig ins Gesicht.
Frenzel: Ist das ein Hass, der von Medien, von politischen Eliten betrieben und getrieben wird? Oder würden Sie sagen, das ist wirklich etwas in der russischen Gesellschaft?
Reitschuster: Ich denke, das wird ganz gezielt von den Medien und von den Eliten geschürt. Russland war Anfang der 90er-Jahre ein extrem offenes Land, man war ganz, ganz empfangsbereit für alles aus dem Westen, man war extrem freundlich dem Westen gegenüber. Der Westen hat seine Fehler gemacht, er hat mit dazu beigetragen, dass diese Euphorie nachgelassen hat, aber genau dieses Phänomen wird massiv geschürt. Ich würde sagen, eine Welle war da, aber die Medien machen daraus einen Tsunami.
Russland fühlt sich nicht wichtig genug genommen
Frenzel: Ist das wirklich Hass oder vielleicht eher Enttäuschung – Sie haben es gerade angesprochen, die Fehler, die auch bei uns möglicherweise gemacht wurden –, Enttäuschung, vom Westen nie so richtig ernst genommen worden zu sein nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes?
Reitschuster: Ich denke, es ist eine Art Hassliebe. Auf der einen Seite ist man ganz auf den Westen orientiert, man nutzt westliche Technik, iPhones, iPads, westliche Autos, auf der anderen Seite sagt man, man will das überhaupt nicht, man lehnt es völlig ab. Man fühlt sich nicht ernst genommen. Ich denke, dass man wirklich nicht ernst genommen wurde, das ist etwas übertrieben, so war es nicht.
Vielleicht könnte man sagen, dass man nicht so wichtig genommen wurde, wie man das gerne genommen wäre, und dass man das ins Gegenteil verkehrte, dass man gerade in den letzten Jahren unter Obama alles auf sich selbst bezog, hinter jeder Handlung der Amerikaner ein antirussisches Motiv sah, obwohl das bis zur Krim-Krise, bis zur Besetzung der Krim wirklich überhaupt nicht so war, da hatten die Amerikaner ganz andere Sorgen als Russland. Das hat einen aber auch wieder gekränkt.
Frenzel: Herr Reitschuster, "Der Hass auf den Westen", das ist ein ziemlich harscher Titel für eine Konferenz, vor allem, wenn man die drei Ismen sieht, die die Veranstalter dahintergesetzt haben: Kommunismus, Nationalsozialismus, Islamismus. Tragen Sie damit nicht auch Ihren Teil zur Konfrontation bei, zu einer ideologischen Verhärtung?
Reitschuster: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Ich denke, zur Konfrontation trägt es bei, wenn man die Dinge verleugnet, wenn man so tut, als sei das nicht so, wenn man wegschaut. Ich denke, man muss auf der einen Seite die Dinge beim Namen nennen, das ist ganz, ganz wichtig, auf der anderen Seite aber auch versuchen, Brücken zu bauen. Und da sehe ich im Moment in vielem die westliche Politik auf einem falschen Weg, weil, sie verdrängt das Problem. Und ich denke, genau diese Verdrängung, dieses Wegsehen, das ist sehr gefährlich. Und das befördert noch mehr das Phänomen.
"Dann geht doch in den Iran mit eurem Geld!"
Frenzel: Aber wie baut man denn diese Brücken, ohne, ja, sich einerseits zu verbieten, andererseits eben aber auch wirklich Brücken zu bauen? Deutschland kommt ja mit Blick auf Russland da eine besondere Rolle zu, die Amerikaner haben sich das in den letzten Jahren immer mehr gewünscht. Wie schafft man es, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen?
Reitschuster: Ich denke, man müsste ganz konkrete Schritte unternehmen, auf der einen Seite, die der russischen Elite zeigt, dann macht doch euren Urlaub in Nordkorea, dann geht doch in den Iran mit eurem Geld, aber umgekehrt den Menschen zeigt, sie sind willkommen. So würde ich sagen, zum Beispiel mehr Einreiseverbote für die Nomenklatura, im Gegenteil Visafreiheit für die einfachen Menschen. Das wäre ein großes Signal, den Menschen zu sagen: Wir wollen den Austausch, wir wollen mit euch enger zusammenarbeiten, wir wollen, dass ihr in den Westen kommt, aber wir haben ein Problem mit dieser Elite. Schritte wie diese wären in meinen Augen sehr symbolträchtig.
Frenzel: International bahnt sich da ja eine ganze Reihe von Allianzen an, die eigentlich nur eins vereint, die Unzufriedenheit mit dem Westen. Wir können Viktor Orbán nehmen, der ja eigentlich Teil des Westens ist, Putin, Erdogan, in gewisser Weise sogar auch ein Alexis Tsipras, zumindest zu Beginn seiner Amtszeit. Ist das eine neue Internationale, die politisch wirklich Schlagkraft haben könnte?
Reitschuster: Ich sehe tatsächlich, dass da eine neue Internationale aufgebaut wird, dass dieser Versuch da ist. Und wie stark diese Schlagkraft ist, das haben wir gesehen beim Triumph von Donald Trump, der in gewisser Weise ja auch in diese Modeerscheinung passt, in diese Richtung geht, wir sehen das auch in Deutschland bei dem Erfolg der AfD, wir sehen das bei Le Pen. Und in Russland macht man gar keinen Hehl daraus, die großen Lautsprecher des Systems wie Herr Malofejew und wie Herr Dugin, die sagen ganz offen: Wir brauchen eine Eurasische Union unter der Führung Russlands, wir wollen es diesem verschwulten Westen zeigen. So weit ist es Gott sei Dank noch nicht, aber die Versuchung … der Versuch ist da von Russland und wir sollten endlich anfangen, uns das bewusst zu machen, und das nicht weiter verdrängen, wie das im Moment erfolgt.
Frenzel: Sagt der Russland-Kenner und Publizist Boris Reitschuster, heute einer der Referenten bei der Tagung "Hass auf den Westen" in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Herr Reitschuster, vielen Dank für das Gespräch!
Reitschuster: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.