Die Ratlosigkeit der NATO
Wie kann und soll die NATO auf Russlands Eingreifen in Syrien reagieren? Sie findet offenbar kein Mittel gegen Wladimir Putin und die gewaltsame Durchsetzung seiner Interessen, meint Rolf Clement. Russland bestimme derzeit das Tempo und den Ort der Krisen.
Virtuell saß Vladimir Putin heute mit am Tisch der NATO-Verteidigungsminister, und er gab den Ton an. In Syrien hat Russland die Bodenoffensive forciert und mitgestaltet. Putin konnte recht sicher sein, dass ihm da von der NATO wenig entgegengesetzt wird. Schließlich hatte er durch Luftraumverletzungen in der Türkei ausgetestet, ob und wie die NATO reagiert. Da muss es ihm schon richtig durch Mark und Bein gegangen sein, dass die NATO verkündete, die Speerspitze, die mit Ausrichtung auf die östlichen Allianzstaaten gebildet wurde, könne ebenso in der Türkei eingesetzt werden. Sie werde dorthin zwar nicht verlegt, aber sie könne jederzeit kommen.
Provokation gegenüber den USA
Tempo und Ort der Krisen bestimmt zur Zeit Russland. Die Ukraine-Krise wird eingefroren, da zieht man die Waffen zurück, da kommen geflohene Menschen in ihre Häuser – oder den Rest davon – in der Ostukraine zurück, da werden die von den Separatisten angesetzten Wahlen abgesagt. Hier braucht Putin jetzt Ruhe. In Syrien macht Putin auch klar, dass sein Interesse eher der Schutz und die Unterstützung eines Verbündeten ist als ein Einvernehmen mit den USA. Eine Verhandlungslösung ist damit in weite Ferne gerückt, auch, wenn die NATO das gebetsmühlenartig fordert – zu Recht übrigens. Putin nach das Gegenteil: Er greift in Syrien die Gruppen an, die von den USA ausgebildet und teilweise ausgerüstet wurden. Größer kann die Provokation nicht sein.
Die NATO erfüllt den Bündniszweck
Was kann und soll die NATO tun? Es ist schwer, ein Mittel gegen jemanden zu finden, der bereit ist, seine Interessen mit – im buchstäblichen Sinne - Gewalt durchzusetzen. Wer das nicht will, wirkt schwächer, wirkt ratlos. Zunächst greift der gleiche Mechanismus wie in der Ukraine-Krise: Die NATO sichert ihre Mitgliedsstaaten ab. Das ist erster Bündniszweck, und das gelingt. Ausgerechnet der in den letzten Monaten so schwierige Partner Türkei wird nun zum Objekt 100prozentiger euro-atlantischer Solidarität. Dass intern nun diskutiert wird, ob der geplante Abzug der Patriot-Abwehrsysteme das richtige Zeichen ist, liegt auf der Hand: Es ist nicht das richtige Zeichen. Auch, wenn die Türkei militärisch stärker ist als das Baltikum, muss die Allianz die Abwehrfront klar und geschlossen aufbauen und nicht ein durchaus geeignetes Mittel abziehen, weil man es nun mal so beschlossen hat.
Denken ist von der Innenpolitik bestimmt
Das gilt übrigens auch für Afghanistan. Man darf die Einnahme von Kundus durch die Taliban nicht überbewerten, die afghanische Armee hat es ja zurückerobert. Aber in dieser Phase wieder ein Stückchen mehr Rückzug zu demonstrieren, obwohl die Lage das nicht richtig zulässt, zeigt ein Problem der NATO: Sie ist zu oft durch innenpolitische Erwägungen mancher Politiker gefesselt. Sie glauben, sie könnten innenpolitisch das Richtige nicht durchsetzen. Dabei haben sie um eine richtige Position noch gar nicht gekämpft. Putin muss das nicht. Und deswegen hat er scheinbar den Nasenring in der Hand, mit dem er die NATO-Staaten durch die Arena führt. Das funktioniert aber nur, bis der IS auch ihn angreift. Dann merkt er, welchen Flächenbrand er in diesen Wochen gelegt hat.