Sie hat keine Wahl
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Am Sonntag wird feststehen, wieviele Sitze die Partei Einiges Russland bekommen hat. Bei der Duma-Wahl 2016 waren es 54 Prozent. Oppositionskandidaten wie Alexei Nawalny dürfen nicht antreten. Besonders den Jüngeren fehlt es an Alternativen.
Die 450 Mitglieder der Duma werden bis Sonntag neu gewählt. Klar ist: Die stärkste Partei wird erneut Einiges Russland von Ex-Präsident und Putin-Vertrautem Dmitri Medwedew werden. Die Frage ist, ob es wieder eine absolute Mehrheit geben wird wie 2016.
Umfragen des unabhängigen Lewada-Zentrums sehen das nicht und deuten auf einen Vertrauensverlust der Regierungspartei hin. Vor allem jüngere Russinnen und Russen sind unzufrieden. Besonders in den Städten haben Zehntausende sympatisiert mit dem Oppositionspolitiker Alexei Nawalny, der sich als Kämpfer gegen Korruption darstellt, Präsident Putin Machtmissbrauch vorwirft und nach seiner Vergiftung mit Nowitschok im Straflager sitzt.
Auch andere Oppositionspolitiker wie der Unternehmer Pawel Grudinin, der bei der vergangenen Präsidentschaftswahl Platz zwei hinter Wladimir Putin errang, dürfen nicht antreten.
Smart-Voting gegen Einiges Russland
Deshalb fehlen nicht nur Wiktor, 26 Jahre, aus Moskau, die Alternativen, die er wählen würde: "Alles wird gemäß der bereits durchlaufenen Szenarien wiederholt. Und nach der Wahl kann man alle Versprechen wieder vergessen. Und es wird alles so weitergehen, wie es nach den letzten Wahlen gelaufen ist. Wenn ich abstimme, dann gegen alle."
Aglaia ist gerade 18 geworden, darf erstmals wählen, aber ist skeptisch: "Die Regierung tut alles, um alternative Kandidaten nicht zuzulassen. Ich warte immer noch auf die Kandidaten-Liste vom Smart-Voting. Ich will das unterstützen und das Monopol von Einiges Russland zerstören. Jetzt versucht man dieses Projekt aber zu vernichten. Ich weiß gar nicht für wen ich stimmen soll."
Tatjana, 20 Jahre alt, glaubt, dass die Wahlen in Russland, wenn sie fair abgehalten werden würden, zu einem Regierungswechsel und zu einem neuen politischen Kurs führen sollten.
Pawel, 29 Jahre, hingegen schätzt die Lage derzeit in Russland sehr positiv ein: "Ich glaube, dass wir im Moment eine stabile Situation im Land haben, einen ziemlich starken Staat und eine starke Regierung. Ich denke, dass die Unterstellungen und Provokationen aus dem Westen nicht angebracht sind."
Online-Voting, um die Stimmenabgabe zu beeinflussen?
Ganz anderer Meinung ist die 26-jährige Jewgenia. Aus ihrer Sicht sind die Wahlen in Russland "tot". "Und die Staatsduma-Wahlen erst recht." Sie versteht nicht, warum die Medien im Land überhaupt noch darüber berichten, "nachdem alle würdigen Kandidaten ausgeschlossen wurden, ist das Interesse abgestürzt, sogar bei den politisch aktivsten Bürgern." Sie glaubt nicht, dass ihre Freunde und Bekannten wählen gehen, die Verlosung von Autos und Wohnungen die Wahlbeteiligung ankurbeln wird.
Albert, 25 Jahre, weist die Besonderheit der Online-Abstimmung hin: "Es ist so einfacher Stimmen abzufangen und sicherzustellen, dass alle Beamten richtig wählen."
Der 26-jährige Nikita erwartet nichts Gutes von den Wahlen: "In einer anderen Realität wünsche ich mir, dass sich die Strukturen und die Zusammensetzung des Parlaments ändern und auch andere Parteien Zugang erhalten, nicht nur die üblichen. Und ich möchte, dass die verfassungsgebende Mehrheit entweder von einer anderen Partei erreicht wird, oder von gar keiner."
Erstmals dürfen Ostukrainer die Duma wählen
Erstmals dürfen auch Bürger der abgespaltenen ostukrainischen Gebiete teilnehmen. Ein Schachzug, der nicht nur die Wahlbeteiligung steigern soll.
Reporterin Sabine Adler war mehrfach in der Region. Auch im Donbass, der seit 2014 in der Hand der Moskau-treuen Separatisten ist. Dort sagte eine Mittdreißigerin im Internetkanal Nachrichten Donbass: "Natürlich werden wir an den Wahlen teilnehmen: Ich, alle meine Freunde und Verwandten."
Auch Viktor Litwinenko, Direktor des Technikums in Donezk, mahnt zur "staatsbürgerschaftlichen Pflicht und Schuldigkeit": "Wählen zu gehen, ist ein Zeichen der Dankbarkeit für die Solidarität und Hilfe, die der Präsident der Russischen Föderation uns erwiesen hat."
Aber die Stimmung ist gemischt. Wer keinen russischen Pass hat, kann sich nicht beteiligen, andere warten noch auf das Dokument, das sie bereits beantragt haben. Andere wollen ihre ukrainische Staatsbürgerschaft keinesfalls gegen die russische eintauschen.
Wie Vera Jastrebowa, Juristin im ostukrainischen Menschenrechtszentrum in Lissitschansk - im nicht besetzten Teil des Donbass:
"Das ist eine sehr negative Vorgehensweise der russischen Okkupationsverwaltung, die vor allem auf die weitere Integration der ukrainischen Staatsbürger in die Russische Föderation zielt. Den Bürgern wurden in einer aggressiven Kampagne russische Pässe aufgedrängt. Und nach der Wahl wird man dann aus der Duma von Abgeordneten aus den sogenannten Volksrepubliken die ausnahmslose Unterstützung der russischen Politik zu hören bekommen. Ein Ende der Okkupation rückt mit der Teilnahme an der Duma-Wahl auf jeden Fall weiter in die Ferne."
Ukrainische Politiker werden in die Duma einziehen
Wer einen russischen Pass hat, soll sich außerdem bei den russischen Behörden registrieren lassen. Ein für manche verlockendes Angebot, bekommt man doch damit Zugang zur russischen Krankenversicherung und anderen staatlichen Vergünstigungen. Die sogenannte SNILS-Versicherungsnummer ermöglicht zugleich, online für die Duma zu wählen.
Auf den Kandidatenlisten im russischen Rostow stehen auch Namen von Lokalgrößen aus der Ostukraine. Somit werden dem neuen russischen Parlament auch ukrainische Politiker aus den abtrünnigen Gebieten angehören. Freilich haben die jetzt einen russischen Pass, wie Hunderttausende schon.
"Von der 2,7-Millionen-Bevölkerung besitzen rund 700.000 inzwischen einen russischen Pass", sagt die junge Juristin Vera Jastrebowa. Sie und ihre Mitstreiter protestierten mehrfach vor dem Russischen Generalkonsulat gegen Moskaus Pass-Politik auf ukrainischem Gebiet. Seit sieben Jahren unterstützen die Juristen des ostukrainischen Menschenrechtszentrums Personen im Kampf um ihre Rechte – gegen die von den Separatisten beherrschten Behörden.
In den Medien der sogenannten Republiken Donezk und Lugansk wird immer öfter die gemeinsame Politik betont, so dass inzwischen Gerüchte die Runde machen, das Gebiet könne zusammengelegt werden zu einer russischen Republik Donbass und danach solle es ein neues Unabhängigkeitsreferendum geben, an dessen Ende nicht die Aufnahme in die Russische Föderation stehe, sondern ein Autonomie-Status wie Abchasien oder Südossetien, die von Georgien abgespalten wurden. In Kiew findet man derartige Planspiele gefährlich, ignoriert sie aber offiziell.