Ruth Klüger: Die Jüngeren können sich aufs Altern freuen
Bekannt wurde sie mit ihren autobiografischen Büchern "weiter leben" und "unterwegs verloren". Nun wird die Autorin Ruth Klüger in Wien für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie selbst genießt das Alter bewusst: "Die Jetztzeit ist gut", sagt die 80-Jährige.
Ulrike Timm: Ruth Klüger, die Chronistin, die Feministin, die Literaturwissenschaftlerin, war mit dem Erscheinen ihrer Kindheitserinnerungen an den Holocaust und mit über 60 Jahren fast von jetzt auf gleich eine gefragte Frau auf allen Podien. Sie bekam viele Preise, jetzt kommt noch einer dazu, der DANUBIUS Sachbuchpreis für ihr Lebenswerk, vergeben in Wien, der Geburtsstadt von Ruth Klüger, die Ende Oktober ihren 80. Geburtstag feiert. Frau Klüger, ich freue mich sehr, dass Sie da sind, schönen guten Tag!
Ruth Klüger: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Frau Klüger, Sie können sich immer so herzerfrischend freuen über solche Auszeichnungen, viel spontaner und viel unmittelbarer als manch ein anderer. Ist da auch ein Gutteil Genugtuung dabei, vor allem, wenn Sie in Wien geehrt werden?
Klüger: Nein, eigentlich nicht. Die Genugtuung, die ich in Wien empfinde hier und da und die wirklich eine tiefere Freude auslöst, ist, dass ich viele Freunde hier gefunden habe, Freundinnen vor allem, also vor allem Frauen. Ich habe eine ganze Reihe von Menschen, bei denen ich mich wohlfühle. Es sind natürlich alle jünger als ich, das ist klar, das wäre sowieso der Fall, aber mit den älteren Leuten, mit meinen eigenen Zeitgenossen hatte ich früher immer wieder die Frage im Kopf, was haben die damals gemacht. Und das ist weg, weil ja die Leute jetzt in einer anderen Altersgruppe sind, ich gehöre zu den Ältesten hier.
Timm: Wenn Sie heute durch Ihre Geburtsstadt Wien spazieren gehen, begleitet Sie dabei die Kindheit noch auf Schritt und Tritt oder ist die …
Klüger: … Auf Schritt und Tritt. Das ist klar, denn man kennt ja die Straßen, man erinnert sich, was für Gefühle man gehabt hat, wenn da diese Riesenstatuen waren, wo man gedacht hat, die fallen mir auf den Kopf. Und man erinnert sich natürlich auch, wie das war, da so mit dem Judenstern herumzuschleichen, an die Gefühle von Verengung und Ausgrenzung, die damals da waren. Ich kenne diese Stadt eigentlich mit Kinderaugen zu gut und dann wieder als Erwachsene zu schlecht, ich kenne mich eigentlich nicht richtig aus in Wien, ich bin hier doch eben Touristin, weil ich so früh weg bin von Wien.
Timm: Trotzdem ist es ja so was wie eine doppelte Stadt, eine helle mit Freunden und eine dunkle, die Sie ausstieß. Gibt es da irgendwelche Verbindungslinien?
Klüger: Nein, die beiden laufen auf parallelen Schienen nebeneinander her. Das hat natürlich so einen gewissen Reiz, ich komme gern her. Aber ich fahre auch gern wieder. Im deutschsprachigen Raum bin ich auf Besuch, aber ich wohne in Amerika.
Timm: Ich habe es gesagt, Sie sind spät in Ihrem Leben vielfach ausgezeichnet worden, geradezu überhäuft mit Preisen. Und bei aller Freude gibt es da ja auch sehr bissige Sätze von Ihnen über diesen späten Ruhm, zum Beispiel: Wenn eine Tierart ausstirbt, weil sie besonders intensiv gejagt wurde, werden die übrig gebliebenen Exemplare besonders gepflegt.
Klüger: Das bezieht sich nicht nur auf diese Ehrungen, obwohl man das ganz gut darauf beziehen kann, sondern auch, in Deutschland und in Österreich werden die jüdischen Gemeinden hier ja sehr gut behandelt. Es hängt damit zusammen, dass man vor einem halben Jahrhundert versucht hat, sie auszurotten, und dass das auch weitgehend gelungen ist, aber es hat die positive Seite, dass man als Jude hier leben kann. Ich möchte nicht, aber die Jüngeren können´s.
Timm: Wie ist das eigentlich, wenn Sie erfahren von neuem jüdischen Leben in Deutschland? In Berlin zum Beispiel sprießt ja wieder jüdisches Leben, in einer völlig anderen Zeit, und ein ganz anderes Miteinander. Freut Sie das oder betrachten Sie das immer noch mit …
Klüger: … es freut mich sehr. Nein, nein, das freut mich sehr, auch in Wien hat sich ein kulturelles jüdisches Leben entwickelt und nicht nur ein kulturell jüdisches Leben, sondern ein beachtlicher Beitrag von jüdischen Wienern zur Wiener Kultur. Übrigens ist das Jüdische Museum in Wien gerade jetzt wiedereröffnet worden, sehr schön neu gestaltet. Und dieser DANUBIUS-Preis, den Sie freundlicherweise erwähnt haben, der wird mir da im Jüdischen Museum überreicht werden.
Timm: Wenn diese Preisverleihung nun sein wird mit Festakt im Jüdischen Museum in Wien und Sie nehmen diesen Preis entgegen, schaut Ihnen dann das kleine Mädchen, das Sie mal waren, über die Schulter?
Klüger: Nein, ich glaube nicht, nicht mit diesem Preis. Denn das ist ja für Dinge, die ich geschrieben habe, das Lebenswerk, und ich hoffe, das bezieht sich auch auf meine germanistischen Arbeiten. Ich bin ja, wie Sie gesagt haben, hier bekannt geworden – das heißt, hier, im deutschsprachigen Raum bekannt geworden – mit dieser Autobiografie, aber ich bin von Beruf her Germanistin und keine Holocaust-Expertin. Ich werde am 28. Oktober eine Vorlesung im Wiener Rathaus halten und diese Vorlesung wird vom "Rosenkavalier" handeln. Darauf freue ich mich schon, das hat mir großen Spaß gemacht, eine Freudsche und feministische Interpretation vom "Rosenkavalier" loszulegen. Also, ich bin nicht nur einfach die Autorin von "weiter leben", obwohl ich sehr wohl zu schätzen weiß, dass mich das, sagen wir mal, unter die Leute gebracht hat.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der Schriftstellerin, Germanistin und Holocaustüberlebenden Ruth Klüger. Frau Klüger, viele Holocaustüberlebende haben diese eintätowierte Nummer behalten aus Verbundenheit mit den Toten. Auch Sie haben die lange noch weiter getragen und schließlich doch entfernen lassen. Welche Erlebnisse gaben dafür den Ausschlag?
Klüger: Ja, ich wurde zu viel angestarrt. Das war mir dann einfach zu unangenehm. Ich wurde, gerade in Deutschland und in Österreich war auch eine gewisse Entrüstung spürbar, als würde ich mich bloßstellen, als würde ich als ein Mahnmal herumlaufen oder den Leuten Vorwürfe machen, wenn ich im Sommer kurze Ärmel getragen habe. Und das wurde mir zu viel. Es ist für viele Überlebende ein Zeichen von Verbundenheit mit den Toten, darum lassen sie es sich nicht entfernen. Anfänglich war es sowieso nicht so leicht, es sich entfernen zu lassen, dann musste man ein Stück Haut herausschneiden woanders, auf einem anderen Körperteil, und das einsetzen, jetzt lässt sich das mit Laser machen. Und da war einmal, das war, glaube ich, in Wien, eine Überschrift über einem Bericht mich betreffend: Die Auschwitz-Nummer nicht verdecken. Und das war mir peinlich, das war mir unangenehm. Es war mir, nachdem ich sonst, nachdem ich dieses Buch geschrieben hatte, nicht mehr so wichtig, dieses Zeichen, diese Hundemarke im Grunde als Erinnerung an die Geschehnisse zu behalten. Ich hatte ja das Buch geschrieben, dachte ich. Und da habe ich es entfernen lassen und war froh darüber, das ist in Ordnung.
Timm: Also, Sie hatten den Eindruck, andere verlangen von Ihnen, eine Bluse mit langen Ärmeln zu tragen?
Klüger: Entweder das, oder sie nehmen es mir einfach übel. Oder andererseits, sie stehen da irgendwie erschüttert oder erstarrt vor diesem Zeichen, vor dieser Nummer und erinnern sich an, was geschehen ist, und möchten sich lieber nicht erinnern. Ich hatte das Gefühl, es löst ganz gemischte Gefühle aus bei den Menschen, die das sehen.
Timm: Sie haben sich in Ihrem Leben oft getrennt, Frau Klüger, von Menschen, von Orten. Sehr beherzt, aber oft auch aus Kränkung. Haben Sie aus Ihrer Jugend so was wie einen permanenten Hang zur Fluchtbereitschaft mitgenommen?
Klüger: Ja, das sage ich, ich laufe immer davon. Man begegnet Schwierigkeiten ja entweder, indem man gegen sie ankämpft, oder indem man vor ihnen davonläuft. Ich habe eher den Hang zum Davonlaufen und bin aber deshalb nicht unbedingt untreu, wenn ich jemanden ins Herz geschlossen habe. Aber wenn es zu schwierig wird, so laufe ich. Und das Urerlebnis da ist ja wohl diese Flucht als 13-Jährige von diesem Lager oder von diesem Marsch. Das war natürlich eine Flucht, die sich total bewährt hat, wir haben überlebt.
Timm: Sie werden 80. Wenn Sie zurückschauen, welche Zeit in Ihrem Leben würden Sie als Ihre glücklichste bezeichnen?
Klüger: Jetzt! Jetzt, ich bin total zufrieden. Total zufrieden ist man nie, das ist richtig, aber es geht mir eigentlich gut. Ich hatte vor paar Jahren eine Herzoperation, von der ich immer sage, es war eine Wunderoperation, und vorher konnte ich mich nur keuchend voranbewegen und jetzt kann ich laufen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und diese Bewegungsfreiheit gibt einem Auftrieb. Außerdem geht es mir einfach gut, weil ich praktisch keine Sorgen habe und noch dazu freundlich aufgenommen werde, wo immer ich hingehe. Also, die Jetztzeit ist gut, das Altern kann etwas sein, worauf sich die jüngeren Hörer von Ihnen – und das sind ja wahrscheinlich die meisten, die unter 80 sind –, auf das sie sich freuen können.
Timm: Welche Wünsche haben Sie noch?
Klüger: Ich möchte doch Gedichte schreiben. Ich habe Gedichte geschrieben und ich schreibe sie manchmal noch und ich habe die Absicht, noch mehr zu schreiben. Das ist ein Wunsch. Ich wollte immer Lyrikerin werden und bin stattdessen Germanistin geworden. Das ist ein nicht so hoch stehender Beruf und ich will das auch gar nicht beruflich, ich will einfach noch Gedichte schreiben, das ist mein Wunsch.
Timm: Frau Klüger, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen sehr und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Klüger: Ich wünsche Ihnen auch alles Gute, Frau Timm!
Timm: Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, in Deutschland vor allem bekannt geworden durch ihre Erinnerungen: "weiter leben" und "unterwegs verloren", beide erschienen im Zsolnay Verlag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Plädoyer für literarischen Pluralismus
Ruth Klüger: "Was Frauen schreiben", Zsolnay Verlag, Wien 2010, 261 Seiten
Keineswegs altersmilde
Ruth Klüger: "unterwegs verloren. Erinnerungen. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 240 Seiten *
Ruth Klüger: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Frau Klüger, Sie können sich immer so herzerfrischend freuen über solche Auszeichnungen, viel spontaner und viel unmittelbarer als manch ein anderer. Ist da auch ein Gutteil Genugtuung dabei, vor allem, wenn Sie in Wien geehrt werden?
Klüger: Nein, eigentlich nicht. Die Genugtuung, die ich in Wien empfinde hier und da und die wirklich eine tiefere Freude auslöst, ist, dass ich viele Freunde hier gefunden habe, Freundinnen vor allem, also vor allem Frauen. Ich habe eine ganze Reihe von Menschen, bei denen ich mich wohlfühle. Es sind natürlich alle jünger als ich, das ist klar, das wäre sowieso der Fall, aber mit den älteren Leuten, mit meinen eigenen Zeitgenossen hatte ich früher immer wieder die Frage im Kopf, was haben die damals gemacht. Und das ist weg, weil ja die Leute jetzt in einer anderen Altersgruppe sind, ich gehöre zu den Ältesten hier.
Timm: Wenn Sie heute durch Ihre Geburtsstadt Wien spazieren gehen, begleitet Sie dabei die Kindheit noch auf Schritt und Tritt oder ist die …
Klüger: … Auf Schritt und Tritt. Das ist klar, denn man kennt ja die Straßen, man erinnert sich, was für Gefühle man gehabt hat, wenn da diese Riesenstatuen waren, wo man gedacht hat, die fallen mir auf den Kopf. Und man erinnert sich natürlich auch, wie das war, da so mit dem Judenstern herumzuschleichen, an die Gefühle von Verengung und Ausgrenzung, die damals da waren. Ich kenne diese Stadt eigentlich mit Kinderaugen zu gut und dann wieder als Erwachsene zu schlecht, ich kenne mich eigentlich nicht richtig aus in Wien, ich bin hier doch eben Touristin, weil ich so früh weg bin von Wien.
Timm: Trotzdem ist es ja so was wie eine doppelte Stadt, eine helle mit Freunden und eine dunkle, die Sie ausstieß. Gibt es da irgendwelche Verbindungslinien?
Klüger: Nein, die beiden laufen auf parallelen Schienen nebeneinander her. Das hat natürlich so einen gewissen Reiz, ich komme gern her. Aber ich fahre auch gern wieder. Im deutschsprachigen Raum bin ich auf Besuch, aber ich wohne in Amerika.
Timm: Ich habe es gesagt, Sie sind spät in Ihrem Leben vielfach ausgezeichnet worden, geradezu überhäuft mit Preisen. Und bei aller Freude gibt es da ja auch sehr bissige Sätze von Ihnen über diesen späten Ruhm, zum Beispiel: Wenn eine Tierart ausstirbt, weil sie besonders intensiv gejagt wurde, werden die übrig gebliebenen Exemplare besonders gepflegt.
Klüger: Das bezieht sich nicht nur auf diese Ehrungen, obwohl man das ganz gut darauf beziehen kann, sondern auch, in Deutschland und in Österreich werden die jüdischen Gemeinden hier ja sehr gut behandelt. Es hängt damit zusammen, dass man vor einem halben Jahrhundert versucht hat, sie auszurotten, und dass das auch weitgehend gelungen ist, aber es hat die positive Seite, dass man als Jude hier leben kann. Ich möchte nicht, aber die Jüngeren können´s.
Timm: Wie ist das eigentlich, wenn Sie erfahren von neuem jüdischen Leben in Deutschland? In Berlin zum Beispiel sprießt ja wieder jüdisches Leben, in einer völlig anderen Zeit, und ein ganz anderes Miteinander. Freut Sie das oder betrachten Sie das immer noch mit …
Klüger: … es freut mich sehr. Nein, nein, das freut mich sehr, auch in Wien hat sich ein kulturelles jüdisches Leben entwickelt und nicht nur ein kulturell jüdisches Leben, sondern ein beachtlicher Beitrag von jüdischen Wienern zur Wiener Kultur. Übrigens ist das Jüdische Museum in Wien gerade jetzt wiedereröffnet worden, sehr schön neu gestaltet. Und dieser DANUBIUS-Preis, den Sie freundlicherweise erwähnt haben, der wird mir da im Jüdischen Museum überreicht werden.
Timm: Wenn diese Preisverleihung nun sein wird mit Festakt im Jüdischen Museum in Wien und Sie nehmen diesen Preis entgegen, schaut Ihnen dann das kleine Mädchen, das Sie mal waren, über die Schulter?
Klüger: Nein, ich glaube nicht, nicht mit diesem Preis. Denn das ist ja für Dinge, die ich geschrieben habe, das Lebenswerk, und ich hoffe, das bezieht sich auch auf meine germanistischen Arbeiten. Ich bin ja, wie Sie gesagt haben, hier bekannt geworden – das heißt, hier, im deutschsprachigen Raum bekannt geworden – mit dieser Autobiografie, aber ich bin von Beruf her Germanistin und keine Holocaust-Expertin. Ich werde am 28. Oktober eine Vorlesung im Wiener Rathaus halten und diese Vorlesung wird vom "Rosenkavalier" handeln. Darauf freue ich mich schon, das hat mir großen Spaß gemacht, eine Freudsche und feministische Interpretation vom "Rosenkavalier" loszulegen. Also, ich bin nicht nur einfach die Autorin von "weiter leben", obwohl ich sehr wohl zu schätzen weiß, dass mich das, sagen wir mal, unter die Leute gebracht hat.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der Schriftstellerin, Germanistin und Holocaustüberlebenden Ruth Klüger. Frau Klüger, viele Holocaustüberlebende haben diese eintätowierte Nummer behalten aus Verbundenheit mit den Toten. Auch Sie haben die lange noch weiter getragen und schließlich doch entfernen lassen. Welche Erlebnisse gaben dafür den Ausschlag?
Klüger: Ja, ich wurde zu viel angestarrt. Das war mir dann einfach zu unangenehm. Ich wurde, gerade in Deutschland und in Österreich war auch eine gewisse Entrüstung spürbar, als würde ich mich bloßstellen, als würde ich als ein Mahnmal herumlaufen oder den Leuten Vorwürfe machen, wenn ich im Sommer kurze Ärmel getragen habe. Und das wurde mir zu viel. Es ist für viele Überlebende ein Zeichen von Verbundenheit mit den Toten, darum lassen sie es sich nicht entfernen. Anfänglich war es sowieso nicht so leicht, es sich entfernen zu lassen, dann musste man ein Stück Haut herausschneiden woanders, auf einem anderen Körperteil, und das einsetzen, jetzt lässt sich das mit Laser machen. Und da war einmal, das war, glaube ich, in Wien, eine Überschrift über einem Bericht mich betreffend: Die Auschwitz-Nummer nicht verdecken. Und das war mir peinlich, das war mir unangenehm. Es war mir, nachdem ich sonst, nachdem ich dieses Buch geschrieben hatte, nicht mehr so wichtig, dieses Zeichen, diese Hundemarke im Grunde als Erinnerung an die Geschehnisse zu behalten. Ich hatte ja das Buch geschrieben, dachte ich. Und da habe ich es entfernen lassen und war froh darüber, das ist in Ordnung.
Timm: Also, Sie hatten den Eindruck, andere verlangen von Ihnen, eine Bluse mit langen Ärmeln zu tragen?
Klüger: Entweder das, oder sie nehmen es mir einfach übel. Oder andererseits, sie stehen da irgendwie erschüttert oder erstarrt vor diesem Zeichen, vor dieser Nummer und erinnern sich an, was geschehen ist, und möchten sich lieber nicht erinnern. Ich hatte das Gefühl, es löst ganz gemischte Gefühle aus bei den Menschen, die das sehen.
Timm: Sie haben sich in Ihrem Leben oft getrennt, Frau Klüger, von Menschen, von Orten. Sehr beherzt, aber oft auch aus Kränkung. Haben Sie aus Ihrer Jugend so was wie einen permanenten Hang zur Fluchtbereitschaft mitgenommen?
Klüger: Ja, das sage ich, ich laufe immer davon. Man begegnet Schwierigkeiten ja entweder, indem man gegen sie ankämpft, oder indem man vor ihnen davonläuft. Ich habe eher den Hang zum Davonlaufen und bin aber deshalb nicht unbedingt untreu, wenn ich jemanden ins Herz geschlossen habe. Aber wenn es zu schwierig wird, so laufe ich. Und das Urerlebnis da ist ja wohl diese Flucht als 13-Jährige von diesem Lager oder von diesem Marsch. Das war natürlich eine Flucht, die sich total bewährt hat, wir haben überlebt.
Timm: Sie werden 80. Wenn Sie zurückschauen, welche Zeit in Ihrem Leben würden Sie als Ihre glücklichste bezeichnen?
Klüger: Jetzt! Jetzt, ich bin total zufrieden. Total zufrieden ist man nie, das ist richtig, aber es geht mir eigentlich gut. Ich hatte vor paar Jahren eine Herzoperation, von der ich immer sage, es war eine Wunderoperation, und vorher konnte ich mich nur keuchend voranbewegen und jetzt kann ich laufen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und diese Bewegungsfreiheit gibt einem Auftrieb. Außerdem geht es mir einfach gut, weil ich praktisch keine Sorgen habe und noch dazu freundlich aufgenommen werde, wo immer ich hingehe. Also, die Jetztzeit ist gut, das Altern kann etwas sein, worauf sich die jüngeren Hörer von Ihnen – und das sind ja wahrscheinlich die meisten, die unter 80 sind –, auf das sie sich freuen können.
Timm: Welche Wünsche haben Sie noch?
Klüger: Ich möchte doch Gedichte schreiben. Ich habe Gedichte geschrieben und ich schreibe sie manchmal noch und ich habe die Absicht, noch mehr zu schreiben. Das ist ein Wunsch. Ich wollte immer Lyrikerin werden und bin stattdessen Germanistin geworden. Das ist ein nicht so hoch stehender Beruf und ich will das auch gar nicht beruflich, ich will einfach noch Gedichte schreiben, das ist mein Wunsch.
Timm: Frau Klüger, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen sehr und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Klüger: Ich wünsche Ihnen auch alles Gute, Frau Timm!
Timm: Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, in Deutschland vor allem bekannt geworden durch ihre Erinnerungen: "weiter leben" und "unterwegs verloren", beide erschienen im Zsolnay Verlag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Plädoyer für literarischen Pluralismus
Ruth Klüger: "Was Frauen schreiben", Zsolnay Verlag, Wien 2010, 261 Seiten
Keineswegs altersmilde
Ruth Klüger: "unterwegs verloren. Erinnerungen. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 240 Seiten *