Vom It-Girl zur Antifaschistin
Sie war der Star der Berliner Bohème der 20er-Jahre, inszenierte sich als neuer Frauentyp und schrieb darüber: Ruth Landshoff-Yorck fängt das temporeiche Leben der Goldenen Zwanziger Jahre in zahlreichen Reportagen ein. Als sie vor den Nazis nach New York flieht, taucht sie in die dortige Beatnik-Szene ein. Vor 50 Jahren starb sie bei einer Theater-Matinée.
"Alle klugen Männer, die ich kannte, die sagten immer: Wirklich interessant seien Gespräche nur, wenn keine Frauen dabei seien. Die lenken ab und machen Männer eitel. Wirklich kluge Gespräche."
Ruth Landshoff - der Star der Berliner Bohème der 20er-Jahre. In den Clubs und Cafés liegt man der koketten jungen Frau mit dem Bubikopf zu Füßen.
"Ich wollte mir das zu gerne einmal anhören. Der Graf Kessler, ein Dichter aus dem PAN-Kreis, der meine Gedichte gerne hatte und gerade für Josephine Baker und mich ein Ballett geschrieben hatte, versprach das zu arrangieren. Er gab ein Herrenessen. Ich bekam einen Smoking. Meine kurzen Haare wurden zurückgekämmt und angeklebt, und ich setzte eine Hornbrille auf. Ich sah aus wie ein junger Mann ... Niemand der Anwesenden merkte etwas. Ich aß fast nichts und hörte gut zu. Viele kluge Männer unterhielten sich. Mir schien aber der Unterschied nicht sehr erheblich."
Inbegriff des neuen Frauentyps
Ruth Landshoff wird 1904 als Tochter einer gutbürgerlichen jüdischen Familie geboren. Sie ist die Nichte des Verlegers Samuel Fischer und kennt schon früh fast jeden, der in der Kulturszene Rang und Namen hat.
Oskar Kokoschka zeichnet sie. Max Reinhardt lässt sie vorsprechen und der Filmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau gibt ihr in seinem Vampir-Film "Nosferatu" eine kleine Rolle.
Sie ist der Inbegriff des neuen Frauentyps: sportlich, spöttisch und selbstbewusst. Sie pfeift auf Konventionen und die Geschlechterrollen, lebt mit Männern und Frauen.
Mit Marlene Dietrich steht Ruth Landshoff auf der Bühne und verhilft ihr zu ihrer Rolle in "Der blaue Engel". Wenn Charlie Chaplin in Berlin Station macht, ist sie es, die ihm die Sehenswürdigkeiten zeigt.
Glamouröse Fotos, die sie mit Zigarette lässig im Mundwinkel zeigen, tauchen in Modemagazinen auf. In ihrem Cabriolet rast sie durch ganz Europa. Und sie beginnt über ihren Lebensstil zu schreiben. Die Reportagen, Skizzen und Anekdoten erscheinen in Blättern wie "Sport im Bild" oder "Die Dame". Es sind pointierte Texte, die das temporeiche Leben der Republik einfangen.
Der Weg zur Antifaschistin
Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ist die ausgelassene Stimmung vorbei. Eigentlich plante der Ullstein Verlag, die inzwischen mit einem Grafen verheiratete Landshoff-Yorck zu einer Bestseller-Autorin aufzubauen. Aber ihr "Roman einer Tänzerin" geht nicht mehr in den Druck.
1937 lässt sie sich scheiden und flieht in die USA. Viele ihrer Verwandten werden Opfer des Holocaust. Sie selbst muss sich eine neue Existenz aufbauen und macht eine Verwandlung zur engagierten Antifaschistin durch. In ihrem Roman "Sixty to Go" greift sie die Situation von Flüchtlingen im unbesetzten Südfrankreich auf.
Auch nach dem Krieg bleibt Ruth Landshoff-Yorck ihrem unkonventionellen Lebensstil treu. Sie verkehrt in Schwulen-Clubs, trifft mit der Avantgarde zusammen. Für das Theater schreibt sie Stücke über Rassismus und Homophobie. Ihr Biograf Thomas Blubacher über die letzte Lebensphase:
"Sie war mit dabei, als der Off-Off-Broadway, als diese alternative Szene New Yorks, sich gründete. Für diese jungen Literaten war es natürlich unglaublich faszinierend, Ruth Landshoff-York zu begegnen, was auch hieß, dem alten Europa zu begegnen. Mit einer Frau zu sprechen, die eben Bert Brecht kannte, oder Kurt Weill zu ihren Freunden zählte oder Thomas Mann. Wie so viele hatte sie es dann natürlich nicht leicht, nach dem Krieg in der Bundesrepublik wieder anzuknüpfen. Alfred Andersch war ein ganz entschiedener Fürsprecher für diese Literatin, die sozusagen wieder neu entdeckt werden musste in den 50er- und 60er-Jahren."
Plötzlicher Tod während einer Matinée
Ihr Deutsch hat durch die Jahre in der Emigration seinen treffsicheren Biss verloren. An ihre früheren Erfolge kann sie nicht mehr anschließen. Doch Deutschland lässt sie nicht los.
"Meistens wenn ich sage, dass ich gerne hier bin, sehen die Leute enttäuscht aus und vorwurfsvoll. Als versage ich ihnen etwas, worauf sie Anspruch zu haben glauben: Mitleid zum Beispiel. Das ist natürlich Unsinn. Denn Erfreuliches zu sehen und zu notieren, heißt ja nicht, das Traurige zu übersehen. Ich sollte, so bat man mich bei der Abreise, allerhand aus Deutschland berichten, für eine Zeitschrift in New York. Ich habe das noch nicht getan. Ich kann hinter dem Schleier der Unruhe noch nicht deutlich genug sehen."
Am 19. Januar 1966 stirbt Ruth Landshoff-Yorck während einer Theatermatinée in New York an einem Herzinfarkt. Ihre Texte werden erst seit der Jahrtausendwende wieder neu aufgelegt.