"'s ist leider Krieg - und ich begehre nicht schuld daran zu sein!"

Von Walter Laqueur · 18.02.2010
"'s ist leider Krieg - und ich begehre nicht schuld daran zu sein!", heißt es bei Matthias Claudius. Wer in Deutschland, wer in Europa will den Krieg? Niemand will ihn nach unerhörten Menschenopfern in zwei entsetzlichen Weltkriegen und der begründeten Aussicht, dass ein kommender Krieg noch viel furchtbarere Folgen haben würde.
Protest-Demonstrationen und Erklärungen gegen den Krieg haben in den letzten Jahrzehnten ein großes Echo gefunden. Wie hieß es doch schon in den 70er Jahren: Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin. Gehen wir also woanders hin - aber wohin?

Ach, wäre es nur so einfach. Denn was, wenn der Krieg zu uns kommt? Jeder Krieg ist schlecht, heißt es. Mag sein, aber ist jeder Krieg unvermeidlich? Was geht es uns an, wenn weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, wie es bei Faust heißt? Sind wir wirklich aller unser Brüder Hüter? Und selbst wenn alle unsere Brüder sind und eine moralische Pflicht besteht, Unterdrückten und Verfolgten zu helfen, so mag es nicht in unseren Kräften liegen, allen von ihnen zu helfen.

Ich habe Zweifel daran, ob der Krieg in Afghanistan sinnvoll ist - nicht aus moralischen Gründen, sondern weil ein erfolgreicher Krieg in diesem Land eine Anstrengung erfordern würde, zu der kein Land des Westens heute bereit ist.

Doch beim absoluten Pazifismus geht es nicht um Afghanistan. Dieser Pazifismus beruht auf der Annahme, dass es das Böse auf der Welt nicht mehr gibt, dass alle Konflikte friedlich zu lösen sind, dass Verteidigung auch gegen das Böse moralisch zu verdammen ist. Er beruht auf der Annahme, dass nicht nur wir den Krieg nicht wollen, sondern auch kein anderer, dass die Welt spätestens seit Hitler friedlich geworden ist.

Er beruht auf der Voraussetzung, dass es keine wirklichen Gefahren mehr gibt, keine Aggression, dass unser Glauben, unsere Werte, unsere Freiheiten von allen geteilt werden. Dass unser Beispiel der Gewaltlosigkeit der ganzen Welt als Vorbild dienen wird.

Doch die Tage des Messias sind noch nicht gekommen, die Schwerter sind nicht zu Pflugscharen geworden. Wer diesen Weg einschlagen will, so lobenswert und edel seine Absichten sein mögen, wird dem Frieden nicht dienen, er führt in eine Welt von Unheil. Es ist die historische Tragik des Pazifismus, dass er nur dann erfolgreich sein kann, wenn seine Grundthesen von allen Seiten geteilt werden. In vielen Religionen und Weltanschauungen gibt es pazifistische Strömungen, doch in keiner von ihnen hat sich das Prinzip der Gewaltlosigkeit durchgesetzt.

Und es gibt bekanntlich andere Religionen und Weltanschauungen, denen Pazifismus gänzlich fremd ist - dazu gehörten übrigens auch das antike Griechenland und Rom - und die, im Gegenteil ihre Ziele und Heilsbotschaften mit Gewalt durchsetzen wollen. Lässt sich Gewalt durch Gewaltlosigkeit abwenden? Wohl keine historische Figur, die den gewaltlosen Widerstand predigte, fand ein weiteres Echo als Mahatma Gandhi. Und selbst Gandhis massive Kampagne endete in Mord und Totschlag.

Wir leben im Zeitalter der Nationalstaaten. Es ist durchaus möglich, dass sich ein neuer Weltkrieg letztlich nur dann vermeiden lässt, wenn es eine Weltregierung geben wird. Vielleicht wird es eines Tages dazu kommen, als Resultat eines langen Prozesses oder einer großen Katastrophe. Heute fehlt die Bereitschaft dazu.

Der Pazifismus ist ein Ideal, auf dessen Verwirklichung wahrscheinlich das Überleben der Menschheit beruht. Man soll, man muss darauf hinarbeiten. Doch der Weg dahin führt nicht über die Illusion, dass Gewaltlosigkeit gegenüber Gewalttätern der beste, der einzige Weg ist zum ewigen Frieden.


Walter Laqueur, 1921 in Breslau geboren, studierte in Jerusalem und arbeitete in den 40er- und 50er-Jahren in Palästina und London als Zeitungskorrespondent und freier Autor. 1955 gründete er die Zeitschrift "Survey", ein Fachblatt zur Geschichte und Gegenwart der Sowjetunion und Osteuropas. Er war langjähriger Direktor der Wiener Library in London und Professor an der Universität von Waltham/Boston sowie an der Georgetown University in Washington.

Seit vielen Jahren ist Laqueur Vorsitzender des International Research Council am Center for Strategic and International Studies in Washington. Seine Kommentare zur weltpolitischen Lage werden in zahlreichen amerikanischen und europäischen Zeitungen veröffentlicht. Zuletzt erschienen seine Bücher "Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert", "Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht" und "Mein 20. Jahrhundert. Stationen eines politischen Lebens".