Saarländer freuen sich mit Frankreich

"Mein Nachbar ist dann Europameister"

Fans der französischen und der deutschen Nationalmannschaft in St. Denis bei der Fußball-Europameisterschaft.
Fans der französischen und der deutschen Nationalmannschaft in St. Denis bei der Fußball-Europameisterschaft. © imago sportfotodienst
Wolfgang Schmitt im Gespräch mit Dieter Kassel |
In Leidingen, einem Dorf im Saarland direkt an der Grenze, hat man das 0:2 der deutschen Fußballer gegen "Les Bleus" nicht so schwer genommen. Schließlich hegt man dort auch Sympathien für Frankreich, erklärt Ortsvorsteher Wolfgang Schmitt.
Dieter Kassel: Ich habe gestern Morgen in dieser Sendung behauptet, in Leidingen werde man gestern Abend, also während des Fußballspiels Frankreich gegen Deutschland, auf jeden Fall großen Jubel hören, es käme nur darauf an, aus welcher Richtung der dann kommt. Und er ist wahrscheinlich im Wesentlichen aus Richtung Frankreich gekommen gestern, was aber da auch nicht weit ist, denn Leidingen liegt direkt an der Grenze und hat außerdem neben den vielen Deutschen auch einige französische Einwohner. Wie denn gestern gefeiert wurde, ob wirklich zusammen oder nicht, wie die Gefühle waren und die Stimmung, das wollen wir jetzt vom Ortsvorsteher von Leidingen im Saarland wissen, Wolfgang Schmitt. Schönen guten Morgen, Herr Schmitt!
Wolfgang Schmitt: Ja, schönen guten Morgen!
Kassel: Haben Sie denn am Ende des Spiels gejubelt?
Schmitt: Ach, innerlich ja, ein bisschen mit den Franzosen gejubelt, sind ja unsere Nachbarn, und die 30 Menschen auf der anderen Seite waren etwas verhaltener. Es liegt vielleicht daran, dass der demografische Schnitt auch dort sehr zum Alter hin tendiert. Also ein bisschen gestochen, ein bisschen gelitten hab ich schon, aber das gehört zum Ritual des Gewinners, dass dann nachher dieser Autokorso mit Hupen und so dann durch den Ort fuhr. Das hat mich natürlich etwas, ach, wie soll ich sagen, nicht schockiert, aber, ja, es drückt einen schon ein bisschen.
Kassel: Hatten denn alle Autos in diesem Korso ein französisches Kennzeichen?
Schmitt: Ja, die hatten alle französische, natürlich.
Kassel: Wie war das denn eigentlich gestern Abend, war das wirklich gemischtes Gucken? Dann gab es doch vermutlich Streit darüber, ob man nun den Bericht im deutschen oder im französischen Fernsehen sieht.
Schmitt: Ach, der Streit war ganz klar, Gewinner waren die Franzosen, die gucken französisches Fernsehen, ich habe deutsches geguckt mit ein paar Freunden, und Gerechtigkeit, glaube ich, kann man im Fußball nicht einfordern, weil eindeutig die deutsche Mannschaft, glaube ich, die bessere Mannschaft war. Aber trösten tut es mich halt schon ein bisschen, und ich denke, jetzt stehen die Franzosen auch in der Pflicht, die müssen auch Portugal besiegen. Dann kann ich immer sagen, immerhin ist mein Nachbar direkt gegenüber Europameister.
Kassel: Ja, ist er noch nicht, aber Sie wirken sehr überzeugt, und den Portugiesen geben Sie offenbar gar keine Chancen?
Schmitt: Sie sind schon gut, Ronaldo und Hintermannschaft, aber ich bin überzeugt, die Franzosen schaffen es. Es war ja ihr Vorteil gestern in Marseille auch, die haben ja einen Wahnsinnsbackground gehabt, die haben die unterstützt, ach, die waren voll dabei, und deshalb freut es mich auch für die Franzosen letztlich.
Kassel: Ja, das klingt schon so, als ob Sie als Leidinger ja auch sozusagen die doppelte Chance haben, am Ende zu gewinnen. Bisher waren Sie für die Deutschen, jetzt, wo die draußen sind, sagen Sie, ich war ja eh für die Franzosen.
Schmitt: Ja, natürlich. Und vor allem, Sie müssen sehen, ich meine, hier in Europa sind ja die Franzosen gerade unsere ersten Partner, also ich sag mal, wir sind sehr befreundet mit denen. Wir sind Weltmeister, immer noch, und die sind dann Europameister. Insofern ist das so etwas Ausgeglichenes.
Kassel: Leidingen holt den doppelten Titel am Ende.
Schmitt: Genau.
Kassel: Sie haben die Autokorsos erwähnt, nun haben wir gestern in dem Vorbericht aus Leidingen gehört, dass man bei Ihnen im Ort und auch in der unmittelbaren Umgebung, auch auf der anderen Seite der Grenze, sehr vorsichtig sei mit dem Zeigen von Flaggen, also sowohl an Autos als auch vor den Kneipen sehe man in der Regel weder die französische noch die deutsche Flagge. Stimmt das also nicht so ganz?
Schmitt: Ja, gut, doch, das stimmt schon, wir halten uns da sehr zurück. Wir haben es jetzt auch gemacht. Ich meine, die Franzosen sind da Patrioten, und wenn Sie in einen Ort kommen, da hängt eine französische Fahne. Ich hab das jetzt auch gemacht, das heißt allein als Kennzeichnung, dass die deutsche Seite jetzt auch das schöne Schwarz-Rot-Gold trägt. Aber wie ja durch den Krieg geprägt, ist es so, dass wir sehr vorsichtig sind mit diesem Flaggezeichen, weil Fahnen sind ja diese äußeren Symbole von Nation, und es wurde ja auch sehr oft missbraucht. Da sind wir sehr vorsichtig. Und im Übrigen wissen die Leute ja auch, wer wo wohnt, wer Deutscher ist und wer Franzose ist.
Kassel: Das klingt mir aber alles so, als ob während der Fußballspiele und danach und auch, wenn gerade kein Fußball ist, das aber eigentlich ziemlich gut funktioniert bei Ihnen. Hat das was mit der EU zu tun, mit der deutsch-französischen Freundschaft, mit verordneten Dingen oder sagen Sie, das ist uns im Grunde genommen egal, wir wohnen einfach alle gemeinsam hier in dieser Ecke.
Schmitt: Leidingen ist eine offene Grenze, da gibt es keinen Stacheldraht oder Wachen. Die Tendenzen in Europa sind ja schon wieder so, und gerade dazu, die Front National, zum Beispiel Frau Le Pen, die hat ja jetzt auch ein Problem. Ich glaube, zwei Drittel der französischen Mannschaft hat einen Migrationshintergrund, jetzt müssen die auch stolz auf diese sein, die sagen, die dürfen bei uns nicht mehr rein zum Beispiel. Und das ist auch so ein Punkt, wo ich mich eigentlich freue, dass Les Bleus gewonnen haben – also letztlich, das ist natürlich so ein bisschen Alibi für mich auch, klar.
Kassel: Ja, gut, ich meine, man ist einerseits Ortsvorsteher und andererseits Fußballfan, das geht ja nicht immer hundertprozentig zusammen.
Schmitt: Ach, irgendwo sind wir, gerade in Leidingen, so eine Equipe. Wir sind eine Mannschaft, das heißt also, wir sind Stürmer, wir stürmen für unser Dorf und tun da jetzt sehr vieles in der Kooperation, und das gelingt uns sehr gut. Wir kriegen bestimmt eher keinen Europameistertitel dafür, aber wir bringen uns immer näher durch diese Aktionen.
Kassel: Das ist doch ein wunderbares Schlusswort. Dann wünsche ich Ihnen, Herr Schmitt, très bonne journée und bedanke mich sehr für dieses Gespräch!
Schmitt: Tschüss!
Kassel: Das war der Ortsvorsteher von Leidingen, Wolfgang Schmitt, der – wir haben es ja gehört – doch ganz gut damit zurechtkommt, dass gestern Frankreich gewonnen hat bei der Fußball-Europameisterschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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