Saarland

Das abgehängte Bundesland

Blick von dem felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz.
Im Saarland gibt es viel Natur, aber wenig Infrastruktur. © dpa - picture alliance / Daniel Karmann
Von Tonia Koch |
Schlechte Infrastruktur, wenig kulturelles Angebot, Lehrermangel - im Saarland wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die Kommunen wollen handeln, doch es fehlt an finanziellen Mitteln.
Lang, langsam, psychedelisch, das ist Josh Haden mit seiner Band Spain. Die etwas andere Rock-Gruppe hat ihren Weg in die saarländische Provinz gefunden, nach Hemmersdorf. In einem Landgasthaus mit Sandsteinfassade, Geranien an den Fenstern, grünen Klappläden und einem etwas in die Jahre gekommenen Tanzsaal. Vor dem Treppenaufgang hat sich eine Schlange gebildet. Kenner der amerikanischen Band sind gekommen und Neugierige.
Ein Besucher: "Die Band kenne ich schon weit über 20 Jahre. Und da wollte ich, wenn das Ereignis mal hier ist, gucken gehen. Ich wäre im Umkreis von 100 Kilometern auf jeden Fall irgendwo hingefahren. Mutig, das an einem solchen Ort zu machen, oder? Ich besuche öfters Konzerte, egal jetzt auf dem Land oder der Stadt. Musik gehört überall hin. Durchaus richtiger Ansatz, mal schauen, wie es angenommen wird."

Internationale Bands ins Saarland holen

Verantwortlich für den etwas anderen Ansatz ist Christian Burr. Er leitet eine Konzertagentur und ist hier aufgewachsen. Burr: "Diese Art von Kultur, die wir jetzt heute Abend anbieten, eine internationale Band auf richtig hohem Niveau, die hat noch nie hier gespielt." Burr ist der festen Überzeugung, dass das kulturelle Angebot im Saarland verbreitert werden muss, wenn das Land für junge Leute attraktiv bleiben soll. 80 Prozent der Musik dieser Welt finden im Saarland nicht statt. "Wir haben überwiegend den Mainstream und kommerzielle Veranstalter können halt auch nur Mainstream anbieten, weil nur da verkaufen sie Tickets."
Neues wagen lautet die Devise des Musikmanagers. "Geld, Geld ist das was wir brauchen für solche Projekte, die den Mut haben, hier etwas Mutiges wachsen zu lassen."
Die Frage, ob jemand kulturell teilhaben kann, dürfe auch nicht daran scheitern, ob er auf dem Land oder in der Stadt wohne. Burr: "Das Wichtigste, ist dass man hier Sachen macht, die es grundsätzlich gar nicht gibt, dass die Leute die Möglichkeit haben, überhaupt an etwas teilzunehmen. Weil sie fahren nicht mehr in die Stadt, das ist zu weit, wenn sie hier auf dem Saargau leben im Saarland, ist es in der Tat eine Stunde hin und eine zurück mit dem Auto. Mit dem Zug kommt kann man noch hinfahren nach Saarbrücken. Aber nach einer Kulturveranstaltung kommt man nicht mehr zurück."

Ein Dorf ohne Infrastruktur

Kein Geld, aber auch keine Angst vorm Dorf hat Michael Engel. Engel: "Hey Bertram!". Seit drei Jahren ist der 45-Jährige Ortsvorsteher von Oberesch. 319 Einwohner zählt der Ort, man kennt einander. Bertram gehört zu den 100 Einwohnern, die in den vergangenen zehn Jahren zugewandert sind. Er hat seinen Anteil daran, dass Oberesch wegen seiner intakten dörflichen Gemeinschaft in diesem Jahr als ein Dorf mit Zukunft ausgezeichnet wurde.
Zwei Haupterwerbslandwirte gibt es, eine Hauptstraße, in der Bänke vor den Häusern zum Verweilen einladen. Walnussbäume, die reiche Ernte tragen, ein Spielplatz in tadellosem Zustand. Ein Idyll, das nur nicht angebunden ist, an das was man Infrastruktur nennt.
"Wir haben keinen Laden, wir haben keine Wirtschaft, bei uns kommt alles ins Dorf, da kommt der Metzger, da kommt der Bäcker, da kommt alles," Mathilde ist 81, sie trifft sich mit einer Reihe gleichaltriger Damen zum Nachmittagscafé im Gemeindehaus. Die Runde ist zu Scherzen aufgelegt.
Brigitte: "Es sind alles Witwen und Waisen hier, die haben alle die Männer beizeiten unter die Erde gebracht. Sie haben die Pilze gegessen…" Brigitte lebt seit Jahrzehnten in Oberesch, aber zum alten Landadel zähle sie noch immer nicht hinzu, sagt sie lachend. Nur weg wolle sie hier auf gar keinen Fall. Lotte nickt: "Ich wollte auch nicht sonstwo leben."

Barrierefreie Treffpunkte schaffen

Ein Tante Emmaladen, das wäre schön, da sind sich die Damen einig, aber ohne Subventionen, das wissen sie, kann der nicht überleben. Und noch seien sie alle rüstig genug, um mit dem stündlich verkehrenden Bus in die 20 Kilometer entfernte größere Stadt zu fahren, um einen Arzt aufzusuchen oder Medikamente zu besorgen. Aber was passiert, wenn das nicht mehr geht? Das sind Fragen, die sich der junge Ortsvorsteher stellt. Engel:
"Für meine Generation wird es nicht mehr so schwer in Sachen Mobilität beziehungsweise in Sachen Infrastruktur, weil wir damit aufwachsen, uns Dinge im Netz zu besorgen. Also wir haben keine Bank im Ort sondern wir haben eine Online-Bank. Wir bestellen Lebensmittel gegebenenfalls online. Ich glaube, für die Generation 30 bis 40 wird das Problem Bankangelegenheiten, Post, später nicht das Problem sein. Wo ist der nächste Arzt, wie kann ich hier im Ort bleiben, das ist die große Herausforderung, die Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass ich hier eben alt werden kann und nicht dann in die Stadt muss."
Dafür hat auch Engel keine Lösung. Im Rahmen seiner finanziell bescheidenen Möglichkeiten schafft er zumindest Treffpunkte, die alle nutzen können. Der Weiher am Ortsrand ist einer davon. Engel:
"Wir wollen das Naherholungsgebiet halt zugänglich machen für Menschen mit Handicap. Also bedeutet: Für Rollstuhlfahrer, wenn man einen Rollator braucht, wir wollen es für Blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich machen. Und alles was man barrierearm gestaltet, hat halt den Vorteil, dass es sich auch für einen Familienausflug eignet. Ich komme auch mit dem Kinderwagen rum, wenn ich mit dem Rollator rumkomme und kann mit dem Baby und dem Opa hier hin."

Hoffnung auf Mut in der Politik

Die Menschen honorieren diese von der Gemeinschaft getragenen Anstrengungen, sie bleiben, zumindest im Moment. Aber ob es auch für die Zukunft reichen wird? Das Dorffest ersetzt eben keine Kulturveranstaltung, für einen Kindergarten oder eine Grundschule ist die Bevölkerungszahl zu gering und eine Pflegeeinrichtung mit Fachpersonal wird sich Oberesch allein nicht leisten können.
Anke Rehlinger, die Wirtschaftsministerin des Landes, weiß, dass in Berlin die Arbeitsgruppen, die zum Thema "Gleiche Lebensverhältnisse" eingerichtet wurden, genau darüber sprechen müssen, wenn die Politik den Auftrag ernst nimmt, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Unabhängig vom Ort müssten Grundangebote - ob nun Mobilität, Gesundheitsversorgung, Sport oder Kultur - für jeden vorgehalten werden und auch erschwinglich sein, sagt Rehlinger:
"Da muss die Berliner Politik den Mut haben, bei der Verteilung der Gelder nach der realen Situation und auch nach dem Bedürfnis vorzugehen und nicht ausschließlich nach der Gießkanne. Es muss nicht jedes Bundesland und jede Kommune in jedem Bundesland gleich viel bekommen, wenn es darum geht, am Ende ein gleiches Niveau zu bekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Das macht ein bisschen Mut erforderlich, ich hoffe, dass man ihn findet."

Das Saarland ist ziemlich pleite

Die Kommunen seien gefordert. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan, denn die saarländischen Städte und Gemeinden gehören zu den am höchsten verschuldeten in Deutschland, sie investieren deshalb immer weniger. Der Bund müssen ihnen helfen, fordert die SPD-Wirtschaftsministerin. Rehlinger:
"Was wir jetzt nicht investieren, führt nur dazu, dass unsere Infrastruktur in einen zunehmend schlechteren Zustand kommt, und den bezahlt dann auch die nächste Generation. Insofern sind das auch Schulden, sie haben halt nur eine andere Form. Auch marode Brücken und mit Löchern durchsäte Straßen sind im Grunde genommen Schulden."
Weil auch das Saarland ziemlich pleite ist, steht es seit Jahren unter der Aufsicht von Bund und Ländern, die darauf achten, dass das Land eisern spart. Es muss die Schuldenbremse einhalten und dank der Niedrigzinspolitik der europäischen Notenbank und guter Konjunktur wird das wohl klappen. Ab 2020, wenn der neue Länderfinanzausgleich greift, kann es auch wieder in bescheidenem Maße Geld ausgeben.

Kaum Lehrer im Saarland

Den Lehrern dauert das zu lange. Sie haben vor wenigen Wochen zur Demonstration aufgerufen, für mehr Personal, für mehr Sozialarbeiter und Schulpsychologen, um den steigenden Anforderungen an differenziertes Lernen, Integration und Inklusion zu genügen. Lisa Brausch, Vorsitzende des saarländischen Lehrerinnen- und Lehrverbandes: "Es muss jetzt was passieren, nicht 2020. Was nützt uns ein sanierter Haushalt auf Kosten der Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer."
Bildungsminister Ulrich Commercon zweifelt nicht daran, dass die Forderungen berechtigt sind, aber er könne sie eben nicht alle umsetzen: "Da bin ich in ständigem Gespräch mit dem Finanzminister drüber. Ich erinnere aber noch einmal dran, wir haben heute eine bessere Schüler-Lehrer-Relation als zu Beginn meiner Amtszeit. Aber wir brauchen noch mehr."

Eisern sparen und investieren - passt das?

Ein bisschen mehr dürfte es auch bei der Landeshauptstadt sein. Saarbrücken muss ebenfalls, aufgrund seiner aus dem Ruder gelaufenen Verschuldung, die Landesregierung fragen, wofür die Stadt Geld ausgibt. Sport, Kultur, Instandsetzung, bei den sogenannten freiwilligen Ausgaben - eben dort wo der Bürger den Gestaltungswillen einer Stadt sieht und spürt, da wird gerne gespart, wenn es nicht reicht. Und so hat es Monate gedauert, bis der Haushalt der Stadt mit dem Land abgestimmt war.
In der städtischen Grundschule im Füllengarten wurde in den Ferien eine Großbaustelle eingerichtet. Über zwei Millionen Euro fließen bei laufendem Betrieb in die Renovierung. Allein für die Grundschulen hat die Stadt in diesem Jahr 6,2 Millionen Euro veranschlagt, rechnet Jens Gräber vor, der kaufmännische Leiter des zuständigen Gebäudemanagements. Gräber: "Wir haben 35 Grundschulprojekte, die wir gleichzeitig stemmen."
Nicht überall ist eine Totalsanierung nötig und nicht alles, was wünschenswert ist, wird auch gemacht. Bei Kitas und Grundschulen aber sei man sich einig mit dem Land, unbegrenzt zu warten ginge nicht. Gräber: "Saarbrücken wächst, wir haben einen Zuzug und vor diesem Hintergrund müssen wir erweitern." Kommunen, deren Haushalt auf Kante genäht ist, sitzen zwischen Baum und Borke. Eisern sparen und gleichzeitig investieren, das passt vielfach nicht zusammen. Die Leidtragenden sind die Bürger, die sich ungleich behandelt fühlen. Und da tröstet die Menschen im Saarland auch nicht, dass es in anderen Bundesländern ganz ähnlich aussieht.
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