Sabine Bayerl u.a.: "Das TAT - das legendäre Frankfurter Theaterlabor"

Das "Theater am Turm" in Buchform

Blick auf das Frankfurter TAT-Theater
Blick auf das Frankfurter TAT-Theater © dpa/ picture-alliance/ Fabian Matzerath
Von Michael Laages |
Das Frankfurter "Theater am Turm" galt als eines der umstrittensten und innovativsten Zentren zeitgenössischer Bühnenkunst. In einem Buch lassen Zeitgenossen das Geschehen nun Revue passieren. Nicht ganz ohne eigene Eitelkeiten.
Nicht auszudenken, wenn alle Überlebenden der Gründerzeit derart viel Weihrauch hätten aufsteigen lassen über der eigenen Rolle in dieser Geschichte wie Claus Peymann, heute (und nicht mehr lange) Intendant im "Berliner Ensemble". Ja, er stand mit am Beginn der Wandlung dieses Theaters von der bieder-braven Wander- und Landesbühne Rhein-Main zum abenteuerlichsten Theater in Deutschland; und ja: Peymanns Uraufführung von Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" im April 1966 hat auf Dauer polarisiert wie kaum eine sonst. Die Chuzpe allerdings, mit der der Aufrührer von damals die Bedeutung dieser Initialzündung verlängert bis in die Gegenwart, mit der er das "Berliner Ensemble" zum eigentlichen Erben der Geschichte vom "Theater am Turm" ausruft - das ist mehr als frech. Das ist peinlich. Zum Glück steht Peymann aber allein mit dieser Haltung auf etwas mehr als 200 Seiten im reich bebilderten Großformat.

Lese-Erlebnis: politisch-ideologischer Kampf um Mitbestimmung des Ensembles

Wolfgang Wiens, der andere, weitaus bescheidenere, aber ähnlich charismatische Kopf am Start des 1965 gewandelten Theaters, starb vor vier Jahren, der Dramatiker und Mit-Direktor Wolfgang Deichsel im Jahr zuvor; als Cicerone, Geschichte- und Geschichten-Erzähler hat sich (begleitet von Lektorin Sabine Bayerl und der früheren TAT-Betriebsdirektorin Ulrike Schiedermair) nun Karlheinz Braun auf den Weg gemacht entlang der Lebens-, oft Überlebens-Stationen des TAT; auch Braun, damals im Theaterverlag des Hauses Suhrkamp tätig und später Mitbegründer vom selbstverwalteten "Verlag der Autoren", stand ja mit am Beginn vom "neuen TAT", er redete dem Noch-Landesbühnen-Chef Felix Müller die beiden Neuen aus der "Generation Studententheater" ein: Peymann eben und Wiens. Deren Furor, künstlerisch wie gesellschaftlich-politisch, war Müller bald nicht mehr gewachsen - 1971, als die Debatte um die "Mitbestimmung" in "seinem" Theater immer grundsätzlichere Formen annahm, verließ Müller das Theater, dessen Erneuerung er angestoßen hatte.
Der politisch-ideologisch aufgeheizte Kampf um Mitbestimmung, Selbstbestimmung gar von Ensemble und Theaterbetrieb markiert den aufregendsten Part im Buch. Das ist ein Lese-Erlebnis - wie Mitgründer Wiens, der spätere Intendant Hermann Treusch und Jung-Dramaturg Michael Eberth damals auf vielen Seiten über Sinn und Ziel der Mitbestimmung debattieren; und sich dabei immer im Kreis zu bewegen scheinen, ohne Aussicht auf irgendeine funktionelle Übereinstimmung. Da war das Ende vom Anfang schon fast erreicht; Vollversammlung hin, Marxismus-Kurse her. Dass Eberth, der Mit-Sucher von damals, in der Rückschau heute immer nur die bösen Marxisten als Schuldige am Scheitern sieht, ist auch ein bisschen armselig.

Frankfurter Lokalpolitik hat total versagt beim TAT

Die neue, junge "Schaubühne am Halleschen Ufer", auch Frankfurts städtisches Schauspiel und weitere Bühnen im Theaterland, etwa in Kiel, machten ja diese selbstquälerische Häutung durch - ins "mitbestimmte" TAT hinein wurde 1974 aber ein echter Monomane gepflanzt, der mit der "Mitbestimmung" außerhalb der eigenen Theater-Family nicht viel anfangen konnte: Rainer Werner Fassbinder, mitten im Aufstieg zur Kino-Größe, übernahm für gerade mal ein (besonders zerquältes) Jahr die Leitung am Turm-Theater; die Reste fegte danach Hermann Treusch zusammen - in politisch gewollter Konzentration auf's Kinder- und Jugendtheater, dem in dieser Zeit generell neue Bedeutung zuwuchs. Dies war die vorerst letzte Zeit des TAT als "normales", also mit einem festen Ensemble ausgestattetes Theater. Und auch die Politik machte nicht mehr mit - unter lautstarkem Protest das Theater 1979 dichtgemacht.
Und wieder eröffnet - als Spielstätte für freie Gruppen, auch für den Tanz, etwa mit Vivienne Newport und Rosamund Gilmore, für das musikalische Experiment. Der auch danach vor allem als international vernetzter Manager tätige Peter Hahn übernimmt die Leitung, kämpft lauthals gegen Kürzungen im Etat; und muss 1985 Tom Stromberg weichen. Den Boden hat er dem Nachfolger allerdings geebnet - der denkt die Freie-Gruppen-Strategie noch grundsätzlicher weiter und etabliert das Haus für immerhin mehr als ein Jahrzehnt als Zentrum der zeitgenössischen Moderne mit internationalem Zuschnitt. Nie war so viel vom TAT die Rede wie in dieser Zeit - das Haus produzierte nicht mehr Stücke, sondern Atmosphären, Horizonte, Innovation. Der exzellente internationale Ruf blieb - hielt die lokale Kulturpolitik aber nicht davon ab, die ruhmreiche Stätte durch acht gar nicht mehr ruhmreiche Jahre hindurch ins Aus und ins Nichts zu quälen. Legendär ist das Theater, legendär bleibt das Totalversagen der Politik.
Karlheinz Braun blieb ein genauer Beobachter bis heute, Statements von und Gespräche mit Zeitzeugen und Wegbegleiterinnen wachsen zusammen zur elementaren Spurensuche in der elementaren Geschichte eines Theaters in extrem bewegter Zeit.

Sabine Bayerl, Karlheinz Braun, Ulrike Schiedermair (Hrsg.): "Das TAT - das legendäre Frankfurter Theaterlabor"
Verlag Henschel, Leipzig 2016
208 Seiten, 29,95 Euro

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