Friedemann Schreiter
Das älteste deutsche Gefängnis
Die JVA Waldheim ist bekannt durch die Prozesse von 1950 - als in mehr als 3000 Schnellverfahren NS-Täter verurteilt und viele hingerichtet wurden. Doch Waldheim ist weit mehr als die Geschichte politischer Justiz der DDR, wie dieses Buch zeigt.
Die Waldheimer Prozesse: Das ist ein berüchtigtes Kapitel der DDR-Justizgeschichte. Sie fanden 1950 weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die mehr als 3000 Angeklagten, mutmaßliche Nazi-Verbrecher, waren aus den Internierungslagern der Sowjetorgane im Februar nach Waldheim transportiert worden. Im Eiltempo, ohne Beweisaufnahme, Zeugenbefragung, meist ohne Verteidiger wurde gegen sie verhandelt. Die meisten erhielten hohe Haftstrafen von bis zu 25 Jahren, 145 wurden zu lebenslänglicher Haft und 31 zum Tode verurteilt. Die Waldheimer Prozesse waren bereits im Juli 1950 beendet.
Waldheim - das ist aber weit mehr als die Geschichte politischer Justiz der DDR. "Die scheußlichste aller scheußlichen Folterkammern" nannte schon der Historiker Franz Mehring die Strafanstalt Waldheim. Damit meinte er vor allem die Behandlung der politischen Gefangenen Mitte des 19. Jahrhunderts, die nach dem Mai-Aufstand 1849 in Sachsen in Waldheim für Jahre hinter Gitter gebracht wurden. Tatsächlich wurde zu jener Zeit besonders viel und besonders hart geprügelt. Die Gefangenen, unter ihnen auch Frauen, wurden auf den so genannten Schimmel geschnallt, einen Holzbock, und es gab Hiebe mit der Rute oder mit dem Stock.
Geschlagen wurde in Waldheim jedoch von Anfang an. Für jeden neuen und jede neue Gefangene gab es das "Willkommen" - auch das nichts anderes als Prügel, oft sogar an eine Strafsäule gefesselt, vor den anderen Gefangenen, mit dem Stock oder der Peitsche.
Die Geschichte Waldheims begann als "Zucht-, Armen und Waisenhaus". Die Strafgefangenen hießen zu Beginn noch "Züchtlinge", später Sträflinge, heute Strafgefangene. Friedemann Schreiter schildert in seinem Buch die Historie der Anstalt, eingebettet in die Zeitgeschichte, auch in Anekdoten.
Beeindruckend sind die Lebensgeschichten von Gefangenen
So erfahren wir, dass Richard Wagner, damals Hofkapellmeister in Dresden, engen Kontakt mit dem russischen Anarchisten Michail Bakunin hatte, selbst an den Mai-Unruhen beteiligt war und nur mit viel Glück einer Verhaftung entkam. Gottfried Semper, Hofbaumeister, soll sich über den Dilettantismus beim Barrikadenbau geärgert haben und schließlich "wahre pyramidale Kunstwerke errichtet haben, deren Statik er noch Jahre später stolz erläuterte".
Es sind jedoch vor allem die Kurzbiografien bekannter und unbekannter ehemaliger Gefangener, die das Elend hinter Gittern anschaulich machen. Wir begegnen zum Beispiel Karl May, als Dieb, Hochstapler und Betrüger verurteilt zu vier Jahren Zuchthaus, der erst nach seiner Knastzeit seine großen Erfolge als Schriftsteller erlebte. Besonders beeindruckend sind die Lebensgeschichten der Gefangenen in der Nazi-Zeit, zum Beispiel die des Künstler-Ehepaares Alexander und Gertrud Neroslow, die den Terror zwar überlebten, Gertrud Neroslow jedoch als gebrochene Frau.
Ein Opfer des Kalten Krieges wurde die junge Studentin Edeltraut Eckert, die voller Elan und literaturbegeistert an der Humboldt-Universität Deutsch studierte, dann durch eine frühere Freundin in Kontakt mit der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" in Westberlin geriet und Botendienste erledigte. Die Gruppe flog auf, Edeltraut Eckert wurde vom Sowjetischen Militärtribunal wegen Spionage zu 25 Jahren Haft und Arbeitslager verurteilt. In der DDR-Strafanstalt Waldheim arbeitete sie unter anderem in der Näherei. Bei der Arbeit geriet sie mit ihren Haaren in eine Spule, wurde skalpiert, überlebte den schrecklichen Unfall zunächst, starb aber kurz danach an einer Tetanus-Vergiftung im Alter von 25 Jahren.
Das Buch hat zwar nur 224 Seiten, ist aber - ganz wie ein Katalog - in einem großen Format erschienen, der Text ist zweispaltig gedruckt, die Fotos von Menschen, Gebäuden, Karten und Dokumenten beleben die Geschichten und Exkurse.
Das Buch ist nicht nur eine Geschichte der Strafanstalt Waldheim, die übrigens heute Strafvollzugsanstalt heißt. Es ist auch eine Geschichte des Strafens - von der Marter über die Zuchthäuser mit Prügelstrafe und Isolierhaft bis zum modernen Strafvollzug, der sich der Resozialisierung der Gefangenen zur Aufgabe gemacht hat oder machen sollte. In Waldheim gibt es heute etwa 400 Plätze für Gefangene im Wohngruppenvollzug und 18 Plätze im offenen Vollzug.
Strafanstalt Waldheim - Geschichten, Personen und Prozesse aus drei Jahrhunderten.
Ch. LInks Verlag, Berlin 2014,
224 Seiten, 112 Abbildungen, 29,90 Euro