Gian Domenico Borasio, Selbst bestimmt sterben. Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können
C.H. Beck, München 2014
207 Seiten, 17,95 Euro
Das gute Sterben
Der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio betreibt in seinem neuen Buch nüchterne Aufklärung und plädiert für eine empathische Sterbebegleitung. Es passt bestens in die aktuelle Debatte über Sterbehilfe und hat nicht nur deshalb das Zeug zum Bestseller.
Wieder ein Buch übers Sterben. Wieder von Gian Domenico Borasio, diesem begnadeten Palliativmediziner. Wieder eine Oberzeile, begleitet von drei Fragen. Und wieder hat dieses Buch wie auch das vorangegangene das Zeug zum Bestseller: Denn Borasio gelingt erneut der Spagat zwischen nüchterner Aufklärung und empathischer Begleitung diesmal zum Thema „selbstbestimmtes Sterben".
Am Lebensende verschieben sich die Realitäten
Und Borasio liegt damit genau richtig. Ging es anfangs in den meisten Publikationen noch darum, das Sterben zurück in eine Gesellschaft zu holen, die mit Hilfe von Hightech- Medizin das Sterben in die dunkeln Ecken der Krankenhäuser verbannt hatte, wo Ärzte den Tod zunächst als persönliches Scheitern begriffen und weniger als natürliches Ende des Lebens, wenden sich die aktuellen Debatten der Frage zu, ob man angesichts einer tödlich verlaufenden Erkrankung, den Zeitpunkt des Sterben selbstbestimmt festlegen darf oder nicht.
Und genau das sei zu kurz gegriffen, so Borasio. Mehr noch: Es sei realitätsfremd, wenn die Debatte über die Autonomie am Lebensende auf die Selbstbestimmung des Todeszeitpunkts reduziert werde. Denn am Lebensende gebe es für jeden Menschen viel wichtigere Realitäten: Sie wollen gut betreut, in einer liebevollen Umgebung, ohne große Schmerzen sterben – und zwar oft auch indem sie sich voll und ganz auf andere Menschen verlassen.
Ausführlich erklärt Borasio in diesem Zusammenhang, was aktive – verboten – und , passive oder indirekte (teils erlaubt) Sterbehilfe bedeuten und schildert dazu zahlreiche, bewegende Fallbeispiele. Vor allem letztere machen klar: Eine vernünftige Diskussion kann angesichts der derzeit herrschenden Grabenkämpfe von Befürwortern und Gegnern nicht gelingen, da beide die Zwischentöne nicht zulassen und einander reflexhaft gegenseitig als entweder freiheitsfeindlich oder menschenverachtend beschimpfen.
Denn im Grunde geht es beim Sterben um die Achtung der Würde, und zwar bis zum Ende - und die können und müssen in erster Linie die behandelnden Ärzte im Blick haben.
"Für eine nüchterne, sachgerechte Diskussion"
Erst wenn sie sich nicht länger von Unwissenheit und Ängsten steuern lassen und nicht alles tun, was medizinisch und technisch möglich ist, sondern „medizinisch indiziert" handeln, d.h. von der Sinnhaftigkeit ihrer medizinischen Maßnahme überzeugt sind, wird ein friedliches Sterben möglich, so Borasio. Der trotz dieser Grundannahme eine gesetzliche Regelung für unabdingbar hält, nach der Suizidhilfe in zwei Ausnahmefällen nicht unter Strafe gestellt wird: Erstens, wenn Angehörige oder andere nahstehende Personen einem freiverantwortlich handelnden Volljährigen Beistand leisten und zweitens, wenn ein Arzt nach ausführlichen Gesprächen und dem Einholen einer Zweitmeinung zu dem Schluss kommen, dass der unheilbarkranke Patient freiwillig um Suizidhilfe gebeten hat.
Erst mit einer solchen Regel, werde der Weg frei gemacht "für eine nüchterne, sachgerechte Diskussion". Zumal es sich zeigt, dass in Ländern, wo solche Fälle schon gesetzlich erlaubt ist, diese Möglichkeit nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung auch in Anspruch genommen wird.
Borasios Buch zu lesen, tut gut. Auch weil trotz aller Fakten, Statistiken und Argumente deutlich wird: Ein gutes Sterben gelingt nur dann, wenn Patienten umfassenden palliativ betreut werden - wenn sie einen persönlichen Kontakt zum Arzt haben, wenn man auf sie hört und achtet und sie passend medizinisch wie auch psychosozial betreut. Selbstbestimmtes Sterben bedeute genau das!