Neil Irwin: Die Alchimisten. Die geheime Welt der Zentralbanker
Übersetzung von Stephan Gebauer
Econ-Verlag, Berlin, 2013
512 Seiten, 26 Euro
Die Strippenzieher der Weltwirtschaft
Ihre Aufgabe ist sensibel, ihre Macht groß: Die Notenbank-Chefs. Neil Irwin beleuchtet, wie drei von ihnen - Ben Bernanke, Jean-Claude Trichet und Mervyn King - handelten, um ein Chaos der Weltwirtschaft nach der Finanzkrise 2007 und 2008 zu verhindern.
Der Titel lässt aufhorchen. Alchimisten – das waren doch die geheimnisumwitterten Männer in der frühen Neuzeit, die die Chemie noch nicht kannten, aber scheinbar Naturstoffe verwandeln konnten. Und dann der Untertitel: Die geheime Welt der Zentralbanker. Der Autor, so erwartet der Leser, berichtet aus erster Hand über die Arbeit der Notenbankchefs. Die spielt sich nämlich zum Großteil hinter verschlossenen Türen ab. Denn nur so, lautet die verbreitete Überzeugung, können sie ihren Job erfolgreich erledigen: die Wirtschaft mit genug Geld zu versorgen, um sie am Laufen zu halten, und dabei gleichzeitig die Inflation zu dämpfen.
Doch Neil Irwin hat keinen Zutritt zum Geschehen hinter den Kulissen. Der Korrespondent der "Washington Post" wertete akribisch die veröffentlichungspflichtigen Sitzungsprotokolle der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed) und der britischen Bank of England aus. Er analysierte die Anhörungen von Fed-Chef Ben Bernanke im US-Parlament und die Auftritte von Jean-Claude Trichet auf Pressekonferenzen, der beim Ausbruch der Finanzkrise Präsident der Europäischen Zentralbank war. Leser, die mit dem Thema vertraut sind, fühlen sich deshalb vom Buchtitel getäuscht. Im englischen Original kommt der Untertitel weniger reißerisch daher. Übersetzt lautet er: „Drei Zentralbanker und eine Welt in Flammen“. Diese Worte bringen Irwins Programm auf den Punkt.
Er beschreibt die unterschiedlichen Wege von Bernanke, Trichet und Mervyn King, dem Chef der britischen Zentralbank, die sie wählten, um ein Chaos der Weltwirtschaft nach den ersten Beben der Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008 zu verhindern. Detailreich zeichnet er nach, wie der Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers sie und drei weitere Notenbankchefs veranlasste, gemeinsam die Leitzinsen zu senken. Eine in der über 350-jährigen Geschichte der Zentralbanken einmalige Maßnahme. Tatsächlich waren die Finanzmarktakteure derart überrascht von der konzertierten Aktion, dass sich die Lage vorübergehend entspannte.
Dem Autor fehlt eine eigene Meinung
Das Buch zerfällt in zwei Teile. Einem recht kurzen und soliden Abriss zur Geschichte der Zentralbanken folgt eine ausführliche Darstellung der Finanzkrise vom Subprime-Debakel bis zur Zypernkrise; vor allem aus Sicht der drei Notenbankchefs. In diesem zweiten Teil ist der Journalist Irwin am Werk, der das komplexe Geschehen mit den Reaktionen von Bernanke, Trichet und King verwebt.
Dieser Teil offenbart auch das Manko des Buches. Der Autor hat keine eigene Meinung, welche geldpolitische Strategie langfristig sinnvoll ist. Der Text wogt zwischen verschiedenen Standpunkten hin und her. Und versinkt mitunter im gleichen Chaos wie Europas Politiker im Kampf gegen die Krise. Dennoch bleibt Irwin ein Verdienst: Es gelingt ihm anhand zahlreicher Beispiele, die Grenzen der so häufig postulierten Unabhängigkeit der Zentralbanken von der Politik aufzuzeigen und umgekehrt das – vor der Krise ebenfalls verpönte – Hineinregieren der Zentralbanken in wirtschaftspolitische Entscheidungen.
Zentralbank-Kenner und Leser, die die Finanzkrise seit Beginn verfolgen, sollten das Buch eher nicht zur Hand nehmen. Neulinge werden es trotz der Schwächen und einiger Längen mit Gewinn lesen.