Mit "Ich und meine Mutter" hat Vivian Gornick ihrer Mutter ein mitreißendes Denkmal gesetzt, meint Kim Kindermann.© Penguin Verlag
Das Sachbuch des Sommers 2019 von Kim Kindermann:
"Ich und meine Mutter"
Von Vivian Gornick
Aus dem Englischen übersetzt von Pociao
224 Seiten, 20 Euro, Penguin Verlag
Kim Kindermann meint: "Schon mit den ersten drei Sätzen dieses Buchs zieht Vivian Gornick uns in ihre Kindheit: ‚Ich bin acht. Meine Mutter und ich verlassen die Wohnung im ersten Stock. Mrs. Drucker steht auf dem Treppenabsatz vor ihrer offenen Wohnungstür und raucht.‘ Und schon ist man mittendrin in diesem grandiosen Buch und mittendrin im Leben dieser beiden Frauen – Mutter und Tochter – in einem Miethaus in der Bronx, in den 1940er Jahren. ‚Ich und meine Mutter‘ ist ein echtes Frauenbuch über die lebenslange Frage jeder Tochter: Wie hat meine Mutter mein Leben geprägt? Vivian Gornick verhandelt diese Frage meisterlich. Alles ist nicht nur furios beschrieben, sondern oft auch extrem lustig. Vivian Gornick hat ihrer Mutter ein kluges und mitreißendes Denkmal gesetzt. Unglaublich, dass dieser bereits 1987 erschienen biografische Roman, der in den USA als Klassiker der US-amerikanischen Frauenliteratur gilt, erst dieses Jahr auf Deutsch erschienen ist. Denn dieses Buch ist ein Muss für alle Töchter und alle Mütter. Bravo!"
„Ja heißt ja und...“ von Carolin Emcke: Selten habe René Aguigah in diesem Jahr einen so dialogischen Text gelesen, der so viel beim Lesen auslöse. © S. Fischer
Das Sachbuch des Sommers 2019 von René Aguigah:
"Ja heißt ja und..."
Von Carolin Emcke
112 Seiten, 15 Euro, S. Fischer
René Aguigah meint: "Dieser Text von Carolin Emcke ist ein Monolog zur #metoo-Debatte und zu sexualisierter Gewalt, der politisch vibriert. Er wechselt zwischen knappen Erzählungen, nachdenklichen Miniaturen, philosophischen Theorie-Splitter, analytischen Passagen und verdichteten Aphorismen. Mich beeindruckt, dass man während des Lesens spürt, wie sehr Carolin Emcke mit jeder einzelnen Fragestellung ringt und wie sehr sie sich darum bemüht, etwas tatsächlich Triftiges jenseits der großen und groben Parteinahme zu sagen. Und ich finde es tatsächlich einfach beeindruckend, dass man ihr Ringen und ihre Nachdenken diesem Text so sehr anmerkt, dass man selbst ins Nachdenken kommt. Ich habe selten einen so dialogischen Text gelesen in diesem Jahr, der so viel beim Lesen auslöst. Und deswegen verlässt mich dieses Buch nicht, und ich werde es wahrscheinlich noch ein drittes und viertes Mal lesen."
Mit „Lucrezia Borgia: Glanz und Gewalt. Eine Biographie“ liefert Friederike Hausmann ein prachtvolles Epochenbild, findet Maike Albath© C.H. Beck
Das Sachbuch des Sommers 2019 von Maike Albath:
"Lucrezia Borgia: Glanz und Gewalt. Eine Biographie"
Von Friederike Hausmann
320 Seiten, 24,95 Euro, C.H. Beck
Maike Albath meint: "Sie empfinden unsere Zeiten als unübersichtlich, beängstigend und politisch unbeständig? Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie privilegiert wir heute sind. So blieb selbst einer italienischen Papsttochter im späten Cinquecento nichts erspart: Mehrfache Eheschließungen, Kriege, Ermordungen ihrer engsten Verwandten, ganz zu schweigen von Syphilis, Malaria, unzähligen Schwangerschaften und Fehlgeburten. Die Historikerin Friederike Hausmann widmet der berüchtigten Lucrezia Borgia (1480-1519) eine fesselnde Biographie und fertigt en passant ein prachtvolles Epochenbild an. Denn Glanz und Gewalt prägten von Anfang an das Leben des Mädchens, das für ihren Vater, den Borgia-Papst Alexander VI., zum Spielstein in einem komplexen Machtgefüge wurde. Aber Lucrezia besaß ihren eigenen Kopf und machte ihn sich zu Nutze. Wie sie es schafft, alle Anfechtungen zu überstehen und auf ihre Weise mächtig zu werden, ist äußerst faszinierend. Ein Buch für alle, die sich für Italien interessieren und schon immer neugierig auf die tatsächliche Lucrezia waren."
„Is Justified True Belief Knowledge? Ist gerechtfertigte, wahre Überzeugung Wissen?“ hat der amerikanische Philosoph Edmund Gettier zwar schon 1963 geschrieben, aber der Text ist immer noch sehr lesenswert, so Florian Felix Weyh.© Reclam Verlag
Das Sachbuch des Sommers 2019 von Florian Felix Weyh:
"Is Justified True Belief Knowledge? Ist gerechtfertigte, wahre Überzeugung Wissen?"
Von Edmund Gettier
Herausgegeben und übersetzt von Nadja-Mira Yolcu und Marc Andree Weber
106 Seiten, 6 Euro, Reclam Verlag
Florian Felix Weyh meint: "Mein Tipp für die Ferien passt in die Hosentasche. Ein Reclamheft mit 106 Seiten, wobei der eigentliche Text, um den es hier geht, nur fünf Seiten umfasst! Der Rest ist – notwendige! – Erläuterung und Kommentierung. In ‚Ist gerechtfertigte, wahre Überzeugung Wissen?‘ traktierte der amerikanische Philosoph Edmund Gettier schon 1963 ein Problem, das in Zeiten von Fake-News zentral zu sein scheint: Wann sagt jemand die Unwahrheit, obwohl er selbst glaubt, die Wahrheit zu sagen? Sagt jemand die Wahrheit, wenn er nur zufällig recht hat? Und was ist überhaupt Wissen? Seither arbeitet sich die Philosophie an den sogenannten Gettierfällen ab. Zugegeben, teilweise wird das schon ein bisschen kompliziert, aber dafür lerne ich auch Begriffe wie ‚überzeugungsunterminierende Informationen‘ oder ‚Antizufalls-Tugenderkenntnistheorie‘ kennen. Und wann wäre man als Normalsterblicher sonst bereit, seinen Geist mit so etwas zu konfrontieren, wenn nicht im Urlaub?"
Edmund Gettier: „Is Justified True Belief Knowledge?" - Der Lesetipp für die Hosentasche
„Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen“ herausgegeben von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema, Meron Mendel © Verbrecher-Verlag
Das Sachbuch des Sommers 2019 von Christian Rabhansl:
"Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen"
Herausgegeben von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema, Meron Mendel
270 Seiten, 18 Euro, Verbrecher-Verlag
Christian Rabhansl meint: "Trigger Warnung: Überall sollen Unterdrückte und Marginalisierte vor Verletzungen beschützt werden. Wer nicht selbst davon betroffen ist, darf nicht mehr mitdiskutieren. Und Marginalisierte haben automatisch recht. Stimmt das? Hat linke Identitätspolitik mittlerweile quasi religiöse Züge und ein fundamentalistisches Ausmaß erreicht? Dieser Band versammelt (selbst)kritische Stimmen zu identitätspolitischen Fallstricken. Spannend ist das, weil die Autorinnen und der Autor die Errungenschaften dieser Identitätspolitik für grundlegend richtig und wichtig halten. Und gerade deshalb für mehr Fehlertoleranz und weniger Dogmatismus werben. Dieses Buch steckt voll harter, konstruktiver Kritik, es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine offene und ehrliche Streitkultur, die aber Rücksicht nimmt. Und weil ich ganz ähnlich wie die Herausgeber befürchte, dass wir uns als Gesellschaft in eine Dialog-Unfähigkeit hineinmanövrieren, deshalb ist dieses Buch meine Empfehlung für die Sommerferien. Ein bisschen Abkühlung gegen geistige Überhitzung."
"Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen" - Plädoyer für eine offene Streitkultur