Bruno Latour: Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen
Aus dem Französischen von Gustav Roßler
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
666 Seiten, 39,95 Euro.
Gemeinsam den Untergang aufhalten
Die erhitzte Erde schlägt zurück, stellt der französische Soziologe Bruno Latour fest. Er fordert dazu auf, "diplomatische Instanzen" zu schaffen, die zwischen den widersprüchlichen Zielen von Wissenschaft und Wirtschaft vermitteln.
Der französische Soziologe Bruno Latour hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr für die Erweiterung des Themenspektrums seines Faches engagiert. Eine Soziologie, in der alles nur auf den Menschen zuläuft, und in der Tiere, Pflanzen, Pilze und Bakterien keine relevanten Akteure sind, verfehlt für ihn ihre Zielstellung. Denn sie ignoriert die nichtmenschlichen Lebewesen, obwohl diese doch gestaltend in den menschlichen Existenzraum eingreifen.
Mit seinem neuen Buch geht der 67-jährige Professor, der am Science Politiques Paris lehrt, den "Rückstößen der Modernisierungsfront" nach, die gegenwärtig "auf Gaia", auf die in der griechischen Mythologie personifizierten Erde stoßen. Angesichts der Gefahren, die der Erde durch Klimakatastrophen und Klimakriege drohen, "sind wir geladen, vor Gaia zu erscheinen."
Rückbesinnung auf Werte und Institutionen
Latour spricht von Gaia als einer merkwürdigen Figur, die doppelt buntscheckig ist, da aus Wissenschaft und Mythologie bestehend. Die erhitzte Erde, die wir bedroht haben und weiterhin bedrohen, bedroht nun uns. Angesichts der Klimaveränderungen argumentiert Latour, dass eine Rückbesinnung auf Werte (Vertrauen) und Institutionen (Universitäten) notwendig wäre. Er plädiert für die Schaffung einer diplomatischen Instanz, die zwischen konkurrierenden Lagern (Wissenschaft und Wirtschaft) vermitteln soll. Dass Latour ein brisantes Thema aufgreift, zeigt sein als Plattform gedachter Blog, in dem Tausende über seine Thesen diskutieren.
Aber es ist das Eine, worauf Latour mit seiner Forschung aufmerksam machen will, und etwas Anderes, wie er seine Theorie entwickelt. Selten lässt er sich auf konkrete Beispiele ein, wie etwa auf den Bericht von der Besteigung eines Berges, in dem er auf die Differenz zwischen der Erscheinung des Berges und einer Landkarte hinweist. Nichts von dem, was den Berg auszeichnet, findet sich auf der Karte wieder. Während einem Bergsteiger in eisigen Höhen die Hände erfrieren können, bekommt niemand kalte Hände, der die Karte dieses Berges aufschlägt.
Wichtig ist Latour die "unreduzierbare Unähnlichkeit" zwischen Existierendem und den über das Existierende angestellten Erkenntnissen. Als Gefahr sieht Latour, dass wir im Begriff sind, beides zu verlieren, die Karte und den Berg.
"Der Hegel unserer Zeit"
Selten erweist sich Latour in seinem Buch als schwierig – obwohl er behauptet, es zu sein. Auffällig ist hingegen, dass "der Hegel unserer Zeit" – wie ihn die Zeitung "Le Monde" bezeichnet – umständlich argumentiert. Seine Ausführungen sind zu langatmig und zu häufig verliert er sich im Allgemeinen. Auch Forderungen wie: "In diesem Stadium verlange ich vom Leser nicht, überzeugt zu sein, sondern bloß, das Projekt über die Existenzmodi zu akzeptieren...", wecken Unmut und Widerspruch.
"Überzeugen ist unfruchtbar", heißt es unter der Überschrift "Für Männer" in Benjamins "Einbahnstraße". Kein Autor sollte vom Leser etwas verlangen wollen, auch dann nicht, wenn die Probleme, auf die er ihn aufmerksam machen will, von höchster Dringlichkeit sind.