Sachbuch

Kriegsgeschichte für Schlachten-Fans

Französische Infanterie auf dem Schlachtfeld von Verdun im 1. Weltkrieg (1914-1918).
Dreihundert Tage und Nächte tobte die "Urschlacht des 20. Jahrhunderts“. © picture alliance / AFP
Von Philipp Schnee |
Militärhistorie zu erzählen, ohne in die Falle der Kriegsspielbegeisterung zu tappen - das gelingt Olaf Jessen in seiner Verdun-Erzählung nicht. Seine Schilderungen sind kenntnisreich, aber er distanziert sich zu wenig von seinen Quellen.
Der Erste Weltkrieg ist in diesem Jahr überall. Und mit ihm natürlich auch Verdun, jene "längste Schlacht der Weltgeschichte“ und "Sinnbild des totalen Krieges“. Der Publizist Olaf Jessen, bekannt geworden vor allem auch durch seine Familienbiografie "Die Moltkes“, hat sich daran gemacht, diese Geschichte neu zu erzählen.
Wie Militärgeschichte zeitgemäß dargestellt werden kann, ohne dass der Militaria-Muff von Kriegsspielbegeisterung aufziehen kann, ist eine Aufgabe, an der sich jede neue "Schlachtengeschichte“ messen lassen muss. Gleich vorweg - Olaf Jessen gelingt es nicht.
Das liegt nicht an mangelnder Kenntnis. Jessen steckt tief im Stoff und kennt die Quellen. Und immer wieder finden sich in seinem Buch, gut versteckt, auch eindrückliche Bilder und Szenerien, die einem das Geschehen auf den Schlachtfeldern um Verdun begreiflich machen.
Am 21. Februar 1916 begann das deutsche Heer den Angriff bei Verdun. Zweieinhalbmillionen Granaten lagen allein für die ersten sechs Kampftage des "Unternehmens Gericht“ bereit, 1300 Züge voller Munition wurden an die Front geschafft. Die enorme Feuerkraft der deutschen Artillerie war noch in 150 Kilometern Entfernung zu hören. Die Franzosen wurden überrascht, anfangs überrannt. Doch sie bauten ihre Verteidigung neu auf, und so begann eine unglaubliche Materialschlacht. Jessen verdeutlicht das etwa durch eine Schilderung der Nachschub-Wege. Die Landstraße, auf der der französische Nachschub herangebracht wurde, senkte sich unter den Lasten der LKW-Reihen um 20 Zentimeter pro Tag! 11.000 Soldaten schaufelten 750 Tonnen Schotter täglich unter die Fahrzeuge, um die Versorgungslinie in Stand zu halten, um Menschen und Material an die Front zu bringen.
"Urschlacht des 20. Jahrhunderts“
Die Schlacht bei Verdun – ein Stellungskrieg mit Flammenwerfern, Bajonett und Spaten und Feldern, übersät mit Leichenteilen und verwesenden Gefallenen: "Du merkst es erst, wenn du auf etwas Weiches, etwas Schwammiges trittst, dann weißt du, hier liegt ein Mensch.“
Dreihundert Tage und dreihundert Nächte tobte die "Urschlacht des 20. Jahrhunderts“ - für Jessen der "Inbegriff der Enthegung militärischer Gewalt“ - ehe die Franzosen die Deutschen zurückschlagen konnten und das Morden im Dezember 1916 ungefähr dort endete, wo es begann.
Doch leider schildert Jessen diese Geschichte viel zu distanzlos. Er ist sehr nah an den Quellen, zu nah, lässt sich von ihrer Sprache mitreißen. Er versucht sich an einer Art chronologischem Nachrichtenticker, die Abschnitte sind mit Ortsmarke, Zeit und Datum überschrieben. Minutiös und bis ins Detail schildert er die Entscheidungsfindung der Führungsebene, den genauen Ablauf der Angriffswellen, den Kampf an der Front, oft gespickt mit schwer verständlichem Militärjargon. Der Verlag nennt dies kinematographisches Schreiben, es ähnelt eher Mikroskop-Aufnahmen, die im Video-Clip-Stakkato aneinander geschnitten sind. Überblick und Einordnung gehen verloren. So gelingt es ihm weder, eine Geschichte zu erzählen, noch Geschichte zu schreiben.
Die Wucht der Quellen
Die Bedeutung dieser Schlacht, dieses Ereignisses, auch für die Bevölkerungen der beteiligten Länder kann nicht geklärt werden, wenn das Hauptaugenmerk auf der Operationsgeschichte liegt.
Wer zu Hause in Modelleisenbahnlandschaften gerne Schlachten nachstellt, mag Gefallen an diesem Buch finden. Alle anderen wohl eher nicht. Das ganze Buch hat etwas von einem Kostümfilm - und in seinen schlimmsten Szenen, wenn der Autor sich ganz von der Wucht der Quellen hinreißen lässt, von Landser-Heftchen-Prosa. Zu häufig rutscht Befindlichkeitsklatsch aus dem adeligen Führungskorps in den Text und man glaubt, der Autor hätte gern selbst mit am Kartentisch gesessen, als die Planspiele entworfen wurden – zumal man immer wieder das ungute Gefühl hat, dass es Jessen auch um eine Ehrenrettung der preußischen Militärtradition geht. Manchmal hat man förmlich Loriots Großvater-Gestalt vor Augen, wie sie die nächste Marschmusik zackig aufs Grammophon wirft.
Ja, Jessens Kenntnis und auch die von ihm ausgewählten Quellen beeindrucken. Aber: Eine neue Darstellung von Militärgeschichte? Da lautet das Fazit der Lektüre dieses Buches eher: Stillgestanden.

Olaf Jessen: Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts
C.H. Beck , München 2014
496 Seiten, 24,95 Euro

Mehr zum Thema