Sachbuch

Lässt sich Demenz verhindern?

Auf dem Bild ist ein an Demenz erkrankter Mann in einem Seniorenheim zu sehen. In der rechten Hand hält er eine Hantel. Der Rentner nimmt an der Morgengymnastik teil.
Vorbeugung durch Bewegung? Ein bereits an Demenz erkrankter Mann bei der Morgengymnastik. © picture alliance / dpa / Foto: Felix Kästle
Von Susanne Billig |
Der Buchtitel klingt reißerisch, doch die These des Autors ist ernst: In "Die Alzheimer-Lüge" will Michael Nehls aufzeigen, dass Demenz auf ungesundes Verhalten zurückzuführen ist - und keine natürliche Begleiterscheinung des Alterns ist.
Alzheimer-Demenz ist keine natürliche Begleiterscheinung des Alterns, sondern auf ungesundes Verhalten zurückzuführen, das sich leicht ändern ließe - wenn man es denn täte. So reißerisch Titel und Umschlaggestaltung des Buches daher kommen - tatsächlich legt der Arzt und Molekulargenetiker Michael Nehls in seinem Buch "Die Alzheimer-Lüge" eine Fülle stichhaltiger Argumente für seine These vor. Hunderte von Studien zeigen: Die epidemisch um sich greifende Demenz - in den USA beträgt das Alzheimer-Risiko der über 90-Jährigen mehr als 50 Prozent - lässt sich stark beeinflussen durch Ernährung, Bewegung, Stress und Schlafverhalten.
Männer im japanischen Okinawa haben zum Beispiel ein fünffach geringeres Alzheimer-Risiko als gleichaltrige Männer in den USA; für Frauen fällt der Unterschied leicht geringer aus. Wandern Japaner in die USA aus und übernehmen den dortigen Lebensstil, klettert ihr Risiko drastisch - was nicht der Fall ist, wenn sie japanischen Bewegungs- und Ernährungssitten treu bleiben.
Ähnliche Unterschiede lassen sich zwischen den USA und Nigeria belegen. Auch im Tierversuch zeigen sich diese Effekte: Mäuse, die durch eine genetische Manipulation eigentlich zu hundert Prozent an Alzheimer erkranken, bleiben völlig von der Krankheit verschont, wenn Forscher sie aus der Laborkäfig-Tristesse erlösen und in eine abwechslungsreiche Umgebung mit Spielmöglichkeiten setzen.
Chemie könne kein Fehlverhalten korrigieren
Viel Zeit nimmt sich der Autor, die physiologischen Mechanismen dahinter verständlich zu erklären. In der Erinnerungsschaltstelle des Gehirns, dem Hippocampus, können Nervenverbindungen lebenslang neu wachsen - doch nur bei Impulsen von außen. Bleiben diese aus, schrumpft die Gehirnstruktur unerbittlich, bis der Niedergang der Nervenzellen auf das gesamte Gehirn übergreift. Dann allerdings helfen weder Medikamente noch Verhaltensänderungen. Einmal ausgebrochen, ist die Alzheimer-Krankheit nach wie vor unheilbar.
Für Michael Nehls ist eine medikamentöse Heilung auch nicht zu erwarten, weil Chemie kein Fehlverhalten korrigieren kann. Statt gewinnbestrebten Pharmaunternehmen zu vertrauen, ginge es darum, sich frühzeitig - spätestens mit vierzig Jahren - einen Lebensstil anzueignen, der den biologischen Bedürfnissen des Menschen entspricht und die Vitalität des Gehirns beschützt.
Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, übermäßiger Alkoholkonsum, Depressionen, Rauchen und Bildungsmangel treiben die grauen Zellen in Richtung Demenz. Vorbeugend wirken eine gesunde Ernährung, deren Grundzüge das Buch ausführlich erläutert, im Verbund mit ausreichendem Schlaf, Stressvermeidung und regen geistigen und körperlichen Aktivitäten.
Von sterilem Training hält der Autor jedoch nicht viel, sondern betont den Wert einer umfassenden, als sinnvoll und erfüllend empfundenen Verankerung im Leben. Hier liegt schließlich auch die Sprengkraft dieses lesenswerten und ernst zu nehmenden Buches: Mit dem Schneller, Höher, Weiter der Konkurrenzgesellschaft sind seine Ratschläge kaum vereinbar.

Michael Nehls: Die Alzheimer-Lüge - Die Wahrheit über eine vermeidbare Krankheit
Heyne Verlag, Paperback
464 Seiten, 16,99 Euro

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