Sachbuch

Lieblingserklärungen der Wissenschaft

Von Gerrit Stratmann |
Welche der Hypothesen, Theorien und Erklärungen, die der menschliche Geist ersonnen hat, sollte man kennen? Der Literaturagent John Brockman fragte bekannte Forscher und Intellektuelle nach ihrer Lieblingserklärung. Vieles ist bekannt, manches aber doch verblüffend oder staunenswert.
Kaum jemand wird noch den Überblick über all die Hypothesen, Theorien und Erklärungen haben, die der menschliche Geist ersonnen hat. Und es werden jedes Jahr mehr. Welche davon sollte man kennen? John Brockman, Literaturagent und Begründer der Internetplattform "Edge", hat bei denen, die es wissen müssen, nachgehakt: Welches ist Ihre tiefgreifende, elegante oder schöne Lieblingserklärung?, fragte er bekannte Forscher und Intellektuelle. Fast 150 subjektive Antworten sind in diesem Buch versammelt.
Das Spektrum der Antworten ist breit. Kosmologen, Biologen, Psychologen, Soziologen, Publizlisten, Linguisten, Ökonomen, Neuro- und Geowissenschaftler, Mathematiker und Philosophen kommen zu Wort, aber nicht alle berichten unbedingt aus ihrem Spezialgebiet.
Spitzenreiter ist Darwins Selektionstheorie
Viele der genannten Theorien sind bekannt. Manche finden die Entschlüsselung der DNS besonders bedeutsam, andere den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, Einsteins Erklärung der Gravitation, Shannons Informationstheorie oder die Tatsache, dass Licht aus Photonen besteht und Krankheiten durch Keime entstehen. Unangefochtener Spitzenreiter für eine tiefgründige und schöne Erklärung unter den Autoren ist Darwins Theorie der natürlichen Selektion, die mindestens zehn Mal genannt wird. Und auch die Gegenfrage wird aufgeworfen:Ob es überhaupt sinnvoll ist, die Schönheit einer Theorie an ihre Bedeutung zu koppeln.
Manche Erklärungen sind nicht unbedingt weltenverändernd, aber dennoch verblüffend oder staunenswert. Das charmante "Peter-Prinzip" gehört dazu. Es stellt fest, dass jeder Mitarbeiter in einer Hierachie dazu neigt, solange befördert zu werden, bis er sein eigenes Inkompetenzniveau erreicht hat!
Bedeutende Theorien erfassen meist deutlich mehr Phänomene, als man ursprünglich versucht hat zu klären. Sie sind ein Augenöffner für verwandte Probleme. Ähnlich ergeht es einem mit diesem Buch. Es enthält Denkanstöße aus derart vielen Forschungsfeldern, dass sich damit ein ungeheures Spektrum wissenschaftlicher Fragen auftut. Damit liefert es vor allem einen beeindruckenden Querschnitt der Findigkeit des menschlichen Denkens.
Orientierung an Ockhams Rasiermesser
Sein Hauptproblem liegt in der Länge der einzelnen Artikel. Gerade einmal ein bis vier Seiten lang sind die einzelnen Aufsätze. Da bleibt wenig Platz für Überflüssiges, Ausschmückendes, Erzählendes. Wobei solch fehlende Redundanz den Urhebern wissenschaftlicher Theorien ja sogar als erstrebenswert gilt. Für Leser gilt das weniger. Die wüssten manchmal einfach gerne mehr, müssen sich hier aber mit knappen Anregungen zufrieden geben. Davon gibt es zum Trost reichlich.
Ein bisschen orientiert sich das Buch damit an Ockhams Rasiermesser, einem weiteren Lieblingspostulat einiger Autoren. Es besagt: Zur Erklärung eines Sachverhaltes sollen nicht mehr Annahmen herangezogen werden als unbedingt nötig. Oder, um es mit den Worten von Katinka Matson, der Mitbegründerin der Internetplattform "Edge", zu sagen: Fasse dich kurz.

John Brockman (Hrsg.): "Wie funktioniert die Welt? Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit stellen die brillantesten Theorien vor"
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2014
506 Seiten, 12,99 Euro

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